Jens Spahn im Interview „Bruch der Koalition wäre unverantwortlich“

Berlin · Am Abend tritt Jens Spahn bei der Regionalkonferenz in Düsseldorf auf. Der Gesundheitsminister und Kandidat für den CDU-Parteivorsitz spricht im Interview mit unserer Redaktion über seine Konkurrenten, seine Pläne, die Migrationsfrage, Europa und die AfD.

 Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Foto: imago

Er ist der jüngste der drei Kandidaten, die den CDU-Vorsitz erobern wollen. Sein Programm an Auftritten, TV-Talks und Interviews ist in diesen Tagen gigantisch. Wir treffen Jens Spahn in einem nüchtern eingerichteten Besprechungsraum in einem Nebengebäude des Bundestags. Spahn trinkt Cola. Er zeigt sich optimistisch, trotz der schlechten Prognosen zu seiner Aussicht auf den CDU-Vorsitz. Am Mittwochabend stellt er sich der Parteibasis in Düsseldorf vor.

Herr Spahn, fünf Regionalkonferenzen hat die CDU zur Vorstellung der Kandidaten für den Parteivorsitz schon veranstaltet, drei folgen noch. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?

Spahn Es werden am Ende etwa 15.000 Mitglieder bei den Konferenzen gewesen sein, 150.000 haben schon im Livestream zugeschaut. In der Partei spüren wir Aufbruch, Erneuerung und Lust an der Debatte. Der ganze Prozess tut der CDU sehr gut. Allein dafür hat es sich gelohnt, zu kandidieren.

Nach Umfragen sind Ihre Chancen gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz nicht rosig.

Spahn Damit kann ich gut umgehen. Meine Motivation ist weiterhin groß. Umfragen sagen wenig über das Verhalten der 1001 Delegierten aus. Mein Angebot ist ein Neustart. Meine Generation muss Verantwortung übernehmen und ihre Perspektive einbringen für die Zukunft unseres Landes. Dem geht es so gut wie nie, doch gleichzeitig ist die Stimmung oft getrübt – aus Sorge um die Zukunft. Wir müssen wieder die berechtigte Zuversicht verbreiten, dass es den nachfolgenden Generationen noch besser gehen kann.

Drängt Sie jemand, Ihre Kandidatur zurückzuziehen?

Spahn Nein.

Werden Sie es zugunsten von Friedrich Merz tun?

Spahn Ich möchte Parteivorsitzender werden.

Wer würde unter Ihnen Generalsekretär oder Generalsekretärin werden?

Spahn Der oder die neue Vorsitzende hat die Aufgabe ein Team zu bilden, das eint. Die allermeisten Mitglieder freuen sich über den Wettbewerb und die Debatte. Aber sie wollen, dass wir nach der Wahl beieinander bleiben. Das ist mein Ziel. Deswegen halte ich nichts davon, schon vorab Personalentscheidungen zu treffen. Die Teamzusammenstellung entscheidet über die Zukunft der Partei.

Die Unterliegenden könnten ins Kabinett kommen und in ihrem Fall als Kabinettsmitglied gäbe es eine Sonderaufgabe?

Spahn Ich freue mich über jeden, der aktiv mitmachen will. Und ich möchte ein Team führen, das die besten Köpfe der Partei zusammenbringt.

Wie enttäuscht sind Sie von Wolfgang Schäuble, Carsten Linnemann und Paul Ziemiak, die Sie unterstützt haben und dann umschwenkten, als Merz kandidierte?

Spahn Wir haben einen Wettbewerb von drei Kandidaten. Ich habe Ideen und Erfahrungen aus der Regierung, aus 16 Jahren Bundestag. Ich biete der CDU Ideen und Impulse an, die die nächsten 20 bis 30 Jahre im Blick haben. Das ist das Gesamtpaket mit allen Stärken und Schwächen, die ich habe.

Wie sehr wird es auf die Tagesform der Kandidaten beim Parteitag ankommen?

Spahn Es gibt das erste Mal seit 47 Jahren in der CDU überhaupt einen Wettbewerb um den Parteivorsitz. Viele werden sich anschauen, wie wir als Kandidaten miteinander umgehen und dann auf dem Parteitag entscheiden.

Wer von Ihnen dreien steht am ehesten für den Fortbestand der großen Koalition?

Spahn Ich kann da nur für mich sprechen. Ich hielte einen Bruch der Koalition und Neuwahlen für unverantwortlich. Warum sollten wir das tun? Weil Parteichef und Kanzlerin sich nicht verstehen? Das könnte kein Wähler nachvollziehen. Wir sind gewählt. Und dann müssen wir auch liefern. Ich kann mir sehr gut eine Zusammenarbeit mit Angela Merkel vorstellen. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber wir arbeiten auch jetzt schon vertrauensvoll zusammen. Ich denke, das sieht sie genauso. Wichtig ist: Ich habe Zeit.

Was würden Sie angehen?

Spahn Wenn ich Parteichef bin, hätte ich nicht sofort das nächste Amt im Blick. Die Partei braucht die volle Aufmerksamkeit. Davon hat sie in den vergangenen Jahren zu wenig gehabt. Sie braucht strukturelle Veränderungen. Sie braucht Kampfkraft für Wahlkämpfe, offensive Kommunikation und moderne Social-Media-Kampagnen. Wir müssen Themen setzen. Wir reagieren zu oft nur und setzen zu selten eigene Akzente.

An was denken Sie?

Spahn Nehmen Sie die Organspende. Darüber gibt es eine Diskussion heute im Bundestag. Die habe ich angestoßen, weil wir uns darüber unterhalten müssen, wie wir die Spenderzahlen endlich wieder steigern. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation sagt jetzt, allein durch diese Diskussion gehen die Zahlen wieder etwas nach oben. Ein weiteres Beispiel ist der UN-Migrationspakt. Weil wir hier die aktive Diskussion gescheut haben, ist der fatale Eindruck entstanden, wir würden uns um eine offene Debatte drücken wollen. Das war auch schon bei TTIP so. Das schafft den Raum für Verschwörungstheorien. Jetzt werden Bundestag und Bundesparteitag über den Migrationspakt sprechen. Dafür habe ich gekämpft. Und ich bin sicher: Es wird der CDU gut tun und unserem Regierungshandeln mehr Akzeptanz bringen.

Als Parteichef und Gesundheitsminister müssten Sie zugleich eine gestaltende und eine dienende Rolle im Verhältnis zur Kanzlerin einnehmen.

Spahn Gleichzeitig regieren und in der Opposition sein wollen, funktioniert nicht. Das sieht man an der SPD. Der entscheidende Punkt ist: Wir müssen in der Partei über die Fragen reden, die über diese große Koalition hinausführen.

Welche?

Spahn Diese Koalition ist Gegenwart. Die CDU muss grundsätzlicher die Zukunftsfragen diskutieren. Was bedeutet die Alterung für die Gesellschaft? Wo geht es mit der Digitalisierung hin? Wie sieht Deutschland in 30 Jahren aus? Damit müssen wir uns beschäftigen. Ich würde einen Umwelt-Parteitag abhalten. Strohhalm-Verbote gegen Plastikmüll sind mir zu kleines Karo. Die CDU muss größer denken! Wir müssen die Partei sein, die Umwelt, Klimaschutz und Arbeitsplätze und Wachstum wieder zusammen bringt. Und vor der Europawahl würde ich einen großen Europa-Parteitag machen. Das alles ist wichtig für eine lebendige Partei und darf nicht an den Ressourcen scheitern.

Wie sieht Ihre Europa-Idee aus?

Spahn Was wir brauchen ist ein neues Leit-Narrativ für die EU. Mehr Realismus, weniger Sonntagsreden. “Bürger schützen, Globalisierung gestalten, Digitalisierung als Chance nutzen”, muss unser Motto sein. Ich werbe dafür, dass Deutschland mehr Geld für Europa ausgibt. Für Innovation, für ein europäisches Stanford, für Infrastruktur. Nicht für Sozialtransfers und Umverteilung. Ein Europa der souveränen Nationalstaaten, die zu ihrem Glück und Mehrwert engstens und enger zusammenarbeiten. Wir müssen um die großen Linien ringen.

Was erwarten Sie von der Islam-Konferenz?

Spahn Ich wünsche mir sehr, dass wir den liberalen Muslimen eine Stimme und eine aktive Rolle auf der Islam-Konferenz geben. Wir schauen beim Islam zu oft darauf, was schriftgläubige Verbände fordern. Die vertreten tatsächlich übrigens relativ wenig Gläubige. Wir haben Religionsfreiheit und es soll auch Moscheen in Deutschland geben. Aber Integration gelingt dauerhaft nur, wenn sich diese Moschee-Gemeinden als deutsche Moschee-Gemeinden verstehen und nicht zum Beispiel als türkische. Warum hat nicht Bundespräsident Steinmeier die Moschee in Köln eröffnet, sondern Herr Erdogan? Wenn in Deutschland ausgebildete Imame von Gemeinden nicht akzeptiert werden, können wir das nicht einfach hinnehmen.

Sie haben mal ein Islamgesetz gefordert. Halten Sie das weiter für sinnvoll, um mehr Verbindlichkeit zu schaffen?

Spahn Für mich kommt es nicht darauf an, ob wir ein Islamgesetz, eine Islamverordnung oder eine Vereinbarung schaffen. Entscheidend ist, dass es Verbindlichkeit gibt.

Aber reicht eine Vereinbarung?

Spahn Wenn sie verbindlich funktioniert, dann ja.

Wenn man sich das Agieren von Ditib anschaut, funktioniert es nicht ohne rechtliche Regelungen . . .

Spahn Die Aufgabe bleibt, dass Bund und Länder den rechtlichen Rahmen für muslimisches Leben in Deutschland setzen. Über den konkreten Weg müssen wir mit den Muslimen reden. Solange Ditib der Arm einer Behörde ist, die aus der Türkei gesteuert wird und auch in Deutschland türkische Staatsbeamte an der Spitze hat, ist das ein Problem. Da stellt sich die Frage: Geht es um Religion oder um Politik?

Trauen Sie der Islamkonferenz zu, dass sie bei den Regeln für die Organisation muslimischen Lebens in Deutschland weiterkommen?

Spahn Ja. Es geht erst einmal darum, diese wichtigen Fragen offen anzusprechen. Wenn dort eine konstruktive Diskussion ohne Tabus entsteht, ist schon viel gewonnen.

Wir haben jetzt noch nicht verstanden, wo Sie in dieser Frage stehen.

Spahn Für mich ist klar, dass es um Menschen, um Bürger, geht, egal welchen Glauben sie haben. Unsere Aufgabe als Staat ist es, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Integration und ein gutes Zusammenleben gelingt. Das Ziel dafür ist klar: Moscheen dürfen nicht aus dem Ausland finanziert werden, auch nicht über Umwege. Die Imame müssen in Deutschland ausgebildet werden und müssen auch Deutsch sprechen. Sie sollten wissen und verstehen, wie der deutsche Alltag funktioniert. Wir brauchen eine transparente Jugendarbeit in Moscheen, die sich als Teil der deutschen Gesellschaft verstehen. Die Islamkonferenz sollte festlegen, wie wir das gestalten können.

Welchen Vorschlag haben Sie dazu?

Spahn Es gibt keine zentrale muslimische Institution, die auch für säkulare und liberale Muslime sprechen kann. Umso wichtiger ist es, dass wir Rahmenbedingungen setzen, die für alle Moschee-Gemeinden verbindlich gelten. Dabei geht es nicht um Gängelung, sondern um die Basis für ein gelingendes Zusammenleben. Das ist notwendig und steht außer Frage. Über das Wie muss die Islamkonferenz reden. Dafür ist sie da.

Was läuft falsch in Deutschland, dass wir uns immer wieder mit den Straftaten junger, männlicher Intensivtäter aus muslimischen Ländern befassen müssen?

Spahn Bei Rechtsstaat und Sicherheit dürfen wir keine Kompromisse machen, weder im öffentlichen Raum, in Parks oder Clan-Vierteln noch an der EU-Außengrenze. Es muss schon an der EU-Außengrenze entschieden werden, wer warum einreisen darf – und wer eben nicht. Das gilt insbesondere für Migranten beispielsweise aus den Maghreb-Staaten. Die Verfahren gegen Ausreisepflichtige müssen schneller abgeschlossen und vollzogen werden. Bei Intensivstraftätern können wir die Kommunen nicht alleinlassen. Viele Bürgermeister und Landräte sagen, dass sie damit schlicht überfordert sind. Bund und Länder müssen den Kommunen helfen. Die Bewegungsfreiheit von Intensivtätern muss auch auf Dauer eingeschränkt werden können. Ein Problem ist auch, dass wir bei zigtausenden Ausreisepflichtigen nur 475 Abschiebehaftplätze in ganz Deutschland haben. Das reicht einfach nicht.

Lässt sich die AfD halbieren, wie es Friedrich Merz der CDU in Aussicht gestellt hat?

Spahn Alle sagen, dass die Union wieder auf 40 Prozent Zustimmungswerte kommen will. Es reicht aber nicht, dass wir das nur beschwören. Unser strategisches Ziel muss es sein, die AfD wieder aus den Parlamenten verschwinden zu lassen. Wir haben eine Mitverantwortung dafür, dass sie heute in 16 Bundesländern und im Bundestag sitzt, auch durch die Art und Weise wie wir diskutiert haben.

Haben Sie es achselzuckend hingenommen?

Spahn Nein. Ich habe in den vergangenen drei Jahren immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr mich das Thema umtreibt und wie wichtig ich es finde, dass wir in der Führung der CDU mehr tun, um das Vertrauen und diese Wähler zurückzugewinnen. Wir brauchen breite gut geführte Debatten, die nicht den Eindruck erwecken, dass man irgendetwas nicht sagen darf. Wir dürfen aber nicht nur über Probleme reden. Wir müssen sie konkret lösen – vom Flughafenbau bis zum persönlichen Sicherheitsbedürfnis der Bürger.

(qua)
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