Die Causa Böhmermann und ihre Folgen Wie viel Satire erträgt Demokratie?

Berlin · Hinter der Suche nach den Motiven Böhmermanns und Merkels im Streit um das Erdogan-Schmähgedicht steckt eine viel aufwühlendere Frage: die nach notwendigen und erwarteten Grenzen der Meinungsfreiheit.

Jan Böhmermann – seine größten Aufreger im Überblick
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Jan Böhmermann – seine größten Aufreger

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Foto: Screenshot Youtube

Im Streit um Jan Böhmermanns Schmähgedicht über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan hat sich die öffentliche Debatte auf einen bemerkenswerten Gegensatz konzentriert: Hier der Moderator, der zur heiligen Johanna der Meinungsfreiheit stilisiert wurde, dort die scheinbar von Erdogan erpressbare Kanzlerin, die den Weg zur Unterdrückung der Satire in Deutschland frei macht. Unter dieser meterdicken Mischung aus medialer Inszenierung und politischem Schmäh-Kalkül ist die spannendste Frage verschüttet: Wie viel Satire erträgt die Demokratie?

Wir fördern sie wieder zu Tage, wenn wir die Provokation bewusst ins Unerträgliche steigern, indem wir eine winzige Veränderung in Böhmermanns Gedicht vornehmen. Streiche "Erdogan", ersetze "Flüchtling". Ein Moderator, der pauschal Flüchtlinge auf derart obszöne Weise herabwürdigen würde, wäre seinen Job binnen Minuten los. Und in den Feuilletons würde nicht das hohe Lied der Satire gesungen, die grundsätzlich alles dürfe, was gefälligst auch ein türkischer Staatspräsident zu lernen habe, sondern wahrscheinlich die bange Frage gestellt, wie weit es mit dem Rassismus gekommen ist, wenn derart schamlos die Grund- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

Bei Steinbach wurde anderes Maß angelegt

Wie kommt man auf einen derart absurden Vergleich? Indem wir uns die Auseinandersetzung um Erika Steinbachs Bild mit dem einen weißen Jungen im Kreis von fremdländischen Kindern neu ansehen. Die begleitenden Erläuterungen "Deutschland 2030" und "Woher kommst Du denn?" wollte auch die kritisch zur aktuellen Flüchtlingspolitik eingestellte CDU-Politikerin als zugespitzte Satire verstanden wissen. Viele beschimpften sie deswegen, forderten als Konsequenz aus dieser Geschmacklosigkeit ihren Rücktritt als menschenrechtspolitische Sprecherin. Nur eines war nicht zu vernehmen: die Solidarisierung mit Steinbach unter der Überschrift "Satire darf alles".

Natürlich darf sie das nicht. Jedenfalls nicht, wenn der eine Nachbar sich als Satiriker versteht, während er den anderen Nachbarn mit Genital- und Sexualpraktik-Passagen aus dem Böhmermann-Gedicht überzieht. Und auch die rassistische Verunglimpfung von Flüchtlingen erhält vom demokratischen Rechtsstaat Grenzen aufgezeigt. Das bekommen derzeit immer mehr Schmähkritiker in den sozialen Netzwerken zu spüren, denen analoge Strafbefehle wegen ihrer digitalen Grenzverletzungen ins Haus flattern. Keiner käme auf den Gedanken, ihre menschenverachtenden Verbal-Attacken auf Ausländer als Freiheit der Satire zu entschuldigen.

Person der Zeitgeschichte muss sich deutlich mehr gefallen lassen

Hat also ein konkreter Tayyip weniger Anspruch auf Schutz als die Gruppe der anonymen Mustafas, Alis und Aishes, die hierher geflüchtet sind? Ja. Denn eine herausragende Person der Zeitgeschichte muss sich deutlich mehr gefallen lassen, zumal dann, wenn sie selbst immer wieder kräftig austeilt und die Verantwortung für einen bestenfalls problematisch zu nennenden Umgang mit Demonstrations-, Meinungs- und Pressefreiheit trägt.

Wo liegen also die Grenzen? Zwischen bekannten Politikern und anderen Prominenten auf der einen und Gruppen oder Einzelpersonen aus der Bevölkerung auf der anderen Seite? Da haben Bundeswehrsoldaten andere Erfahrungen gemacht. Mögen sie auch noch so sehr für den Schutz der Bevölkerung ihr Leben riskieren, sie müssen sich gefallen lassen, nach dem Tucholsky-Zitat als "Mörder" verunglimpft zu werden. Das darf Satire im zugespitzten Meinungsstreit um die Rolle der Streitkräfte, urteilten die Verfassungsrichter. Tatsächlich hat die Demokratie das ertragen, ohne Schaden zu nehmen. Schon die erste Veröffentlichung führte 1932 zum Freispruch des verantwortlichen Redakteurs. weil keine konkreten Wehrmachtsangehörigen bezeichnet worden seien.

Auch Politiker haben Persönlichkeitsrechte

Die Satirefreiheit über Gruppen ist somit nicht eindeutig. Und auch die Aussagen über Personen der Zeitgeschichte fallen unterschiedlich aus. Gerhard Schröder setzte auf dem Gerichtsweg durch, dass Mutmaßungen über getönte oder gefärbte Haare zu unterbleiben haben. Bei seiner Amtsnachfolgerin Angela Merkel amüsierte sich die Republik über Fotomontagen in Struwwelpeter-Manier als Werbe-Gag. Auch Politiker machen also unterschiedlich von ihren Persönlichkeitsrechten Gebrauch. Aber sie haben sie.

Unterschiedlich sind auch die nationalen Wahrnehmungen. Mit seinen Bonmots über Merkel bringt der Kabarettist Volker Pispers regelmäßig die Säle zum Prusten: Das Problem bei Merkel sei, dass sie sich "überhaupt nicht für Politik interessiert". Das läuft hier als gelungene Satire. In den USA bräuchte er andere Kaliber, da wird in den Satire-Formaten eher im Böhmermann-Stil geholzt. Dagegen wäre in der Türkei fraglich, ob Pispers mit einem ähnlichen Gag über Erdogan punkten könnte. Ähnlich der Umgang mit dem Holocaust. Den Völkermord zu leugnen, wie feinsinnig oder grob auch immer, sprengt in Deutschland die Grenzen. In den USA nicht.

Unterschiedlich sind auch die Zielobjekte. Die Karikatur setzt als selbstverständlich voraus, dass ein Christus, der sichtbar die Hosen voll hat, klassische Satire ist. Dagegen ist eine ähnliche Mohammed-Karikatur schwer vorstellbar.

Wie viel Satire wer auszuhalten hat, lässt sich also nicht aus einer einfachen Formel errechnen oder aus international anerkannten Definition ableiten. So wie sich Gesellschaften verändern, ändert sich auch das Empfinden für schmerzliche, aber unbedingt zulässige Provokationen. Und für deren Grenzen. Das im Lichte der Menschen- und Persönlichkeitsrechte für jeden Einzelfall und die Grundfreiheit der Demokratie immer wieder neu auszutarieren, können nur Gerichte leisten. Und ihre Berufungsinstanzen.

(may-)
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