Der Fall Jan Böhmermann Wie der Beleidigungsparagraf die deutsche Justiz beschäftigte

Berlin · Paragraf 103 im Strafgesetzbuch stellt die Beleidigung von Diplomaten unter Strafe. Bislang kam er vor deutschen Gerichten kaum zur Sprache. Mit dem Fall Böhmermann könnte ein weiterer hinzukommen.

Wer ist Jan Böhmermann? Der ZDF-Satiriker und Moderator im Porträt
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Das ist Jan Böhmermann

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Foto: dpa/Christophe Gateau

Die Bundesregierung prüft in diesen Tagen, ob es zu einer Strafverfolgung gegen den Satiriker Jan Böhmermann kommt oder nicht. Das hatte die Türkei wegen seines Schmähgedichts gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan gefordert — auf der Rechtsgrundlage von Paragraf 103 des Strafgesetzbuches.

Dieser besagt Folgendes:

"Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."

Regierungssprecher Steffen Seibert nannte am Montag in der Bundespressekonferenz keine vergleichbaren Fälle der vergangenen Jahre. Seibert verwies nur darauf, dass nun die Prüfung des Falls beginnen werde. Beschäftigt hat der Paragraf die deutsche Justiz dennoch mehrfach — prominent sind die Beispiele, die den Schah von Persien betreffen, weshalb er auch als "Schah-Paragraf" bekannt ist.

Einige Beispiele aus der Zeit nach 1953, als die Vorschrift in bundesdeutsches Recht übertragen wurde.

  • 1964: Der "Kölner Stadtanzeiger" veröffentlicht eine Fotomontage mit dem Schah Reza Pahlavi, gegen die der persische Botschafter protestiert. Schließlich werden die beiden Mitarbeiter, die für die Montage verantwortlich sind, auf Grundlage von Paragraf 103 zu einer Geldstrafe verurteilt.
  • 1967: Bei den Demonstrationen zum Besuch des persischen Schahs werden Plakate gezeigt, auf denen "Persien ist ein KZ" zu lesen ist. Die Justiz leitet Ermittlungen ein, verweist aber darauf, dass man sich auch mit den Zuständen in Persien beschäftigen müsse. Daraufhin reist Bundesinnenminister Paul Lücke nach Teheran und bewegt den Schah, auf eine Strafverfolgung zu verzichten.
  • 1975: Demonstranten postieren vor der chilenischen Botschaft in Bonn ein Spruchband gegen Diktator Augusto Pinochet. Darauf wird die chilenische Regierung als "Mörderbande" bezeichnet, der Botschafter ist beleidigt. Das Gericht bejaht in diesem Fall die Strafbarkeit nach Paragraf 103, das Spruchband wird beschlagnahmt.
  • 2010: Der Verwaltungsgerichtshof Bayern entscheidet, dass eine Abbildung von Papst Benedikt XVI. beim Christopher Street Day im Jahr 2006 zu Unrecht aus dem Verkehr gezogen worden ist. Der Papst war unter anderem mit Aidsschleife und Kondomen abgebildet worden. Dieses Verbot wertete der Verwaltungsgerichtshof als rechtswidrig. Im Mittelpunkt habe nicht die Verunglimpfung des Staatsoberhaupts gestanden, sondern ein Beitrag zur Debatte über die Sexualethik der Kirche.
  • 2012: Der Vatikan zieht kurz vor Prozessbeginn eine Klage gegen das Satiremagazin "Titanic" zurück. Die Zeitschrift hatte Papst Benedikt XVI. als inkontinenten Greis dargestellt. Auf seiner Soutane war ein großer gelbbrauner Fleck zu sehen. In Anspielung auf den Skandal um den Verrat von internen Vatikan-Dokumenten hieß es: "Halleluja im Vatikan — Die undichte Stelle ist gefunden!"

mit Agenturmaterial

(das)
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