Richter- und Staatsanwaltstag in Weimar Ist die Scharia auch deutsches Recht?

Weimar · Anstatt vor staatliche Gerichte zieht es strenggläubige Muslime auch in Deutschland lieber zu islamischen Streitschlichtern. Die Gefahr einer Paralleljustiz muss stärker diskutiert werden, heißt es beim Richter- und Staatsanwaltstag in Weimar.

 Zahlreiche Trauergäste nahmen 2012 in Berlin an einer Trauerfeier für einen jungen Muslim teil.

Zahlreiche Trauergäste nahmen 2012 in Berlin an einer Trauerfeier für einen jungen Muslim teil.

Foto: dpa

Ein Schreckgespenst geht um in deutschen Großstädten: Es heißt Scharia, was übersetzt so viel bedeutet wie "Weg" oder "zur Quelle". Klingt harmlos, ist es aber nicht. Auch auf dem Richter- und Staatsanwaltstag in Weimar wurde die deutsche Rechtskultur von radikalisierten Verfechtern mit islamischen Rechtsauffassungen mit Nichtbeachtung gestraft.

Der Journalist und Kriminologe Joachim Wagner, bekannt durch sein aufklärerisches Buch "Richter ohne Gesetz", gab ein eindrucksvolles Beispiel von Schattenjustiz mitten im Einwanderungsland Deutschland: Ein muslimisches Mädchen aus Berlin verliebt sich in einen jungen Libanesen und will ihn heiraten. Die Familie des Mädchens lehnt den jungen Mann jedoch ab und "bestraft" das Mädchen durch schwere Körperverletzung. Die Tat wird nicht etwa nach deutschem Strafrecht geahndet; vielmehr tritt ein islamischer Streitschlichter in Erscheinung. Dieser im Viertel bekannte Kriminelle empfiehlt, die Täter nicht zu bestrafen. Im Gegenzug bekommt das Mädchen seine Heiratserlaubnis.

Die Scharia, das islamische Recht, basiert auf dem Koran und der überlieferten Lebenspraxis des Propheten Mohammed. Sie regelt Rechtsnormen wie das Familien- und Strafrecht und die religiösen Vorschriften für Muslime — ohne dabei die Sphären von Religion und Staat zu trennen. Radikale Muslime rechtfertigen deshalb auch extreme Strafen wie die Steinigung mit der Scharia.

Im Fall des verliebten muslimischen Mädchens aus Berlin wurde von den beteiligten Clans das Ziel verfolgt, Frieden zwischen den Familien herbeizuführen — jedoch unter Missachtung des deutschen Rechtsstaates und seiner Normen. Wagner: "Unser staatliches Strafmonopol wird unterlaufen, entweder durch Verhinderung einer Strafanzeige, Fälschen der Beweise oder entlastende Aussagen des Opfers zugunsten des Täters."

Die Scharia-Schattenjustiz tritt in ihrer krassen Variante als Blutrache, Entführung, Ehrenmord oder Zwangsverheiratung auf. Auf der Richter- und Staatsanwaltstagung war auch von der Gefahr einer Parallelgesellschaft die Rede: Imame würden mitten im Rechtsstaat Zwangsehen schließen, islamische Geistliche das Verbot der Polygamie (Vielehe) nicht beachten. In der Scharia-Rechtskultur stellten manche Clanchefs zudem Haftbefehle aus — wenn sich etwa eine islamische Großfamilie auf die Suche nach einem Schuldner aus einer ebenfalls islamischen Familie macht und das Opfer zwingt, seine Schulden zurückzuzahlen. Eine Strafanzeige werde dabei in der Regel nicht gestellt. Ganz nach dem Motto: "Das regeln wir unter uns."

Die Schattenjustiz existiert weitgehend im Dunkeln, vorwiegend in Berlin, Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Mathias Rohe, Jurist und Islamwissenschaftler aus Erlangen, sagte allerdings, dass auch in Bayern jährlich mehrere Tausend "Scharia-Problemlösungen" vorbei am deutschen Recht stattfänden. Rohe räumte ein, dass die meisten Muslime in Deutschland ihre Streitigkeiten vor deutschen Gerichten austrügen; aber man dürfe nicht länger verniedlichen, dass in bestimmten Großstadt-Milieu oft mit kurdischem oder arabischem Hintergrund, deutsches Recht ignoriert werde. Rohe: "Das ist eine Gefahr für unser Land."

Auch Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, erklärte in Weimar: "Es darf keine eigene Paralleljustiz für bestimmte Bevölkerungsgruppen geben, sonst wird der Rechtsstaat ad absurdum geführt."

Zum Schluss meldete sich Arnold Mengelkoch, Integrationsbeauftragter in Berlin-Neukölln, zu Wort: Er berichtete von einem Vorfall, bei dem zwei muslimische Männer zwei muslimische Mädchen in einem Bus belästigten. Die Mädchen wehrten sich, wurden daraufhin bespuckt und verprügelt.

Eines der Mädchen fiel in Ohnmacht. Zweieinhalb Jahre später kam es nicht zur Schattenjustiz, sondern zu einem Verfahren vor einem deutschen Gericht. Die Täter gebärdeten sich frech, die Opfer hatten Angst, gegen sie auszusagen. Mengelkoch: "Da stimmt was nicht bei uns und unserer Staatsgewalt. Unser System schwächelt."

(RP)
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