IS-Terror Wolfsburger Extremisten drohen mehrere Jahre Haft

Wolfsburg · Zwei Wolfsburger, die sich dem IS-Terror anschlossen, kommen nun in Niedersachsen vor Gericht. Was brachte sie in der florierenden Autobauer-Stadt mit der mustergültigen Integration vieler Ausländer in die Fänge der Extremisten?

In zivilen Polizeifahrzeugen werden die beiden Angeklagten zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe gebracht.

In zivilen Polizeifahrzeugen werden die beiden Angeklagten zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe gebracht.

Foto: dpa, rw fdt sun hoh

Die Gräuel der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) spielen sich weit weg ab, in Syrien und im Irak. Auf im Internet kursierenden Fotos von Kämpfern in Heldenpose mit schweren Waffen, aber auch hierzulande tauchen bekannte Gesichter auf. Inzwischen mehr als 700 Dschihadisten haben sich aus Deutschland auf den Weg ins Kampfgebiet gemacht, die Tendenz ist laut Verfassungsschutz steigend. Mindestens 20 davon kommen aus Wolfsburg, seit langem ein Zentrum radikaler Islamisten in Niedersachsen. Nach der Rückkehr im Sommer 2014 wird zweien von ihnen von Montag an wegen der Unterstützung des IS der Prozess gemacht. Ihnen drohen einige Jahre Haft.

Warum ausgerechnet die VW-Stadt, die mit ihrer internationalen Bevölkerung bekannt ist für die gelungene Integration tausender Arbeiter aus dem Ausland? Die Frage stellt sich neben der generellen Frage, was junge Leute in die Fänge der Extremisten treibt.

IS-Terror: Wolfsburger Extremisten drohen mehrere Jahre Haft
Foto: afp, apr

Wolfsburg ist anders als andere Städte wohlhabend. Der Autobauer hat hier seinen Sitz. Die Stadt bietet für seine rund 125 000 Einwohner überdurchschnittlich viel. Es gibt ein renommiertes Kunst- und ein Wissenschaftsmuseum sowie die Autostadt, eine Art Freizeitpark von Volkswagen. Die Festnahme eines der zwei mutmaßlichen Dschihadisten erfolgt denn auch nicht dem Klischee entsprechend in einem tristen Vororthochhaus, sondern in einer Straße mit Einfamilienhäuschen im Stadtteil Reislingen.

Als Gebetshaus für türkisch- und tunesischstämmige Muslime, meist der älteren Generation von VW-Arbeitern, beschreibt der Landesvorsitzende der Türkisch-Islamischen Union (Ditib), Yilmaz Kilic, die Moschee beim Bahnhof. Dort soll laut Bundesanwaltschaft ein IS-Mitglied die beiden Männer rekrutiert haben, die nun vor Gericht kommen. "Die Radikalen klappern meist bestehende Moscheen ab - mit dem Versuch, sich dort zu festigen." So sei es auch bei der radikalen Clique gewesen, die zunächst in der arabischen und später der Ditib-Moschee Hausverbot bekam. Eine ganz normale Moschee, sagt auch der Verfassungsschutz, der das Gotteshaus nicht unter Beobachtung hatte.

"Dem äußeren Anschein nach war dies ein ganz normaler jugendlicher Freundeskreis. Sie kamen zum Gebet und unterhielten sich untereinander", so Kilic. Erst nach Hinweisen gab es ein Hausverbot. Der Annahme, dass sich die Radikalisierung quasi unbemerkt in dem ansonsten unspektakulären Wolfsburg abspielte, widerspricht Kilic. "Der letzte Stand der Dinge ist, dass schon vor Bekanntwerden der Terrorzelle diesbezüglich Gespräche mit der Stadt, dem Bürgermeister, Landeskriminalamt und Verfassungsschutz geführt wurden."

Das Landeskriminalamt widersprach Medienberichten, nach denen sich Angehörige wegen der drohenden Abreise eines der Männer an das LKA gewandt haben, die Behörden die Ausreise aber nicht verhindert hätten. Laut LKA gab es lediglich einen mündlichen Hinweis auf eine mögliche Ausreise. Da der Hinweisgeber den Kontakt abbrach, hätten die Behörden zu wenig für einen Passentzug in der Hand gehabt.

Was aber ist das Profil der Islamisten "made in Germany", die in Krisengebiete aufbrechen, aus denen die örtliche Bevölkerung zu Hunderttausenden flieht? Besonders anfällig für islamischen Extremismus seien junge Muslime, denen ein männliches Leitbild fehle, sagte kürzlich der Geschäftsführer des Landespräventionsrates, Erich Marks. Für den Geschäftsführer des Islamischen Kulturzentrums Wolfsburg, Mohamed Ibrahim, könnten die Gründe für eine Radikalisierung unter anderem Perspektivlosigkeit, Ausgrenzung und Langeweile sein. "Aber eine genaue Begründung dazu kann ich Ihnen nicht liefern", sagte er nach den Berichten zur Terrorzelle.

"Wir hatten mit Religion nichts zu tun", beteuerte einer der Angeklagten in einem in der Untersuchungshaft geführten Interview mit NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung". Ein "falscher Prediger" sei gekommen und habe Druck aufgebaut. "Wie kannst Du in Ruhe schlafen, also in der Wärme mit Heizung, wo junge Muslime gerade verhungern oder Frauen vergewaltigt werden?", soll er gefragt haben. Der Mann machte demnach auch Versprechungen: Von teuren Autos und vier Frauen gleichzeitig sei die Rede gewesen.

Der Wirbel um die Wolfsburger Zelle und die gefassten mutmaßlichen Terrorhelfer hinterlässt in der Stadt Spuren: "Man schaut sich mehr um", sagt eine 15-Jährige, die mit Freundinnen am Pizzastand ansteht. Obwohl ihr natürlich klar sei, dass nicht jeder bärtige Mann extrem ist. Die Islamistenszene sei Thema im Freundeskreis. "Es verunsichert natürlich, wenn man merkt, das kommt näher." Bis vor kurzem hätten sie nichts davon geahnt.

Eine ältere Dame, eine frühere Lehrerin, drückt es nüchterner aus: "Es ist nicht schön." Sie hofft, dass keiner ihrer früheren Schützlinge unter den Islamisten ist. "Ich habe keine Angst. Aber es tut mir leid um diese jungen Leute."

(dpa)
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