Nach dem Parteitag Irritationen über neue SPD-Chefin

Berlin · Mit einer Twitter-Nachricht offenbart die neue SPD-Chefin Saskia Esken, dass sich die neuen Machtzentren bei den Sozialdemokraten erst einmal abstimmen müssen.

 Norbert Walter-Borjans (67) und Saskia Esken (58) sind die neuen Vorsitzenden der SPD.

Norbert Walter-Borjans (67) und Saskia Esken (58) sind die neuen Vorsitzenden der SPD.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die Szenen sind selten geworden, in denen nach Gremiensitzungen der CDU ein Spitzenpolitiker nach dem anderen das Konrad-Adenauer-Haus verlässt und sich alle gleichlautend äußern. Gestern geschah es mal wieder: Nein, es werde keine Nachverhandlungen mit der SPD geben. Beim Thema Klimaschutz müsse nun der Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern entscheiden. Eine Notwendigkeit, die Investitionsmittel zu steigern, sehe man nicht.

Aus München sekundierte CSU-Chef Markus Söder: „Es wird keinen neuen Koalitionsvertrag geben.“ Während die CDU-Leute ihre Kritik an der SPD zurückhaltend mit Hinweisen formulierten, die SPD müsse sich sortieren, wurde Söder deutlicher. Die SPD habe keine neue Zeit anbrechen lassen, es sei die alte Richtung, sagte er. Mit Blick auf den Linksschwenk der Sozialdemokraten betonte er: „Ein Rezept, das nicht funktioniert, wird nicht dadurch besser, wenn man die Dosis erhöht.“

Einig sind sich CDU und CSU, dass es mit der neuen SPD-Führung nicht leichter werde. Es war auch bisher schon schwer in dieser dritten großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel. Besorgt verweisen die Unionsstrategen auf die vielen Machtzentren in der SPD: Das neue Führungsduo, die Fraktion, die Minister der Bundesregierung, die Ministerpräsidenten der Länder.

Wie kompliziert das werden kann, darauf gab es am Montag schon einen Vorgeschmack. Ein Beitrag der neuen Parteichefin Saskia Esken beim Kurznachrichtendienst Twitter löste Irritationen aus. Auf die vielen öffentlich gestellten Fragen der Union, mit wem bei der SPD sie nun eigentlich reden müssten, schrieb  Esken als Antwort: „Tipp: Der Koalitionsvertrag wurde zwischen den Parteien geschlossen.“ Das ist grundsätzlich korrekt. Esken ließ aber außen vor, dass den Vertrag für das Regierungshandeln selbstverständlich auch die Fraktionschefs unterschrieben haben. Bei den Sozialdemokraten wurde der Hinweis als mindestens ungeschickt formuliert aufgenommen. Zumal Esken in der Fraktion nicht sehr beliebt ist. Eine Reihe führender Sozialdemokraten sieht eher in Walter-Borjans den moderateren, verlässlicheren Ansprechpartner. In der SPD wollte man den Tweet ironisch verstanden wissen. Esken selbst sagte unserer Redaktion: „Es gibt nur eine SPD, und egal ob Parteivorstand, Fraktion oder Ortsverein – wir stehen zusammen.“

Das neue  Führungsduo ist in der ersten Reihe der Bundespolitik kaum bekannt. An Walter-Borjans erinnern sich CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder aus dessen Zeit als NRW-Finanzminister. Esken hatte bisher zu den Koalitionsspitzen keinen persönlichen Kontakt.

Ein Kennenlerntreffen der neuen Parteichefs mit Kramp-Karrenbauer soll voraussichtlich noch in dieser Woche stattfinden. Telefoniert hat man schon. Ein Koalitionsausschuss werde noch vor Weihnachten zusammenkommen, versichern Union und SPD übereinstimmend. Einen Termin gibt es allerdings noch nicht. Am Dienstag wollen sich Esken und Walter-Borjans erst einmal im Willy-Brandt-Haus vorstellen.

Während die Union die Devise ausgibt, dass Verträge geschlossen seien und man die Koalition bis zu deren regulärem Ende 2021 führen wolle, ist diese Frage in der SPD weiterhin offen. Geplant ist, dass die neue Führung nun mit der Union über die Forderungen verhandelt, die sich aus dem beim Parteitag beschlossenen Leitantrag ergeben. Anschließend soll der Parteivorstand bewerten, ob die Ergebnisse ausreichen, die Koalition fortzusetzen. Es dürfe kein „Weiter so“ geben, hatte der bisherige Juso-Chef und neue Parteivize Kevin Kühnert ausgegeben.

Die Zusammensetzung des Parteivorstands deutet allerdings eher auf einen pragmatischen Kurs als auf eine klare Anti-Groko-Linie hin. Auch die Fraktion hat großes Interesse, dass das Regierungsbündnis erst einmal hält. Teile des linken Parteiflügels spekulieren allerdings darauf, dass man nach drei Monaten zu dem Ergebnis kommt: Das reicht nicht. Für die SPD sind die wichtigsten Themen eine deutliche Zunahme staatlicher Investitionen – zur Not auch mit Krediten, was wohl ein Ende der schwarzen Null bedeuten würde – sowie der Klimaschutz und eine Erhöhung des Mindestlohns auf perspektivisch zwölf Euro.

Mehrfach betonten die Spitzen der Union am Montag, wie gut sie bisher mit den Ministern der SPD zusammengearbeitet hätten. Die geraten durch die Erwartungen des neuen Führungsduos allerdings unter Druck. Dass in der SPD inzwischen alles für möglich gehalten wird, zeigt eine Anekdote rund um den früheren SPD-Vize Ralf Stegner. Er wurde Opfer eines Telefonscherzes, bei dem er gefragt wurde, ob er sich vorstellen könne, Finanzminister zu werden. Stegner bat sich zwar Bedenkzeit aus, gab grundsätzlich aber ein positives Signal.

(qua)
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