Interview mit Thomas de Maizière „Wir müssen 2017 eine deutlich höhere Zahl abschieben“

Düsseldorf · Bundesinnenminister de Maizière fordert einen neuen Politikstil. Der CDU-Politiker will klar benennen, wo die Probleme liegen – auch in der Flüchtlingpolitik. Im Interview mit unserer Redaktion sprach er über Populismus und political correctness.

 Bundesinnenminister Thomas de Maizière zu Besuch in unserer Düsseldorfer Redaktion.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière zu Besuch in unserer Düsseldorfer Redaktion.

Foto: Anne Orthen

Bundesinnenminister de Maizière fordert einen neuen Politikstil. Der CDU-Politiker will klar benennen, wo die Probleme liegen — auch in der Flüchtlingpolitik. Im Interview mit unserer Redaktion sprach er über Populismus und political correctness.

Die CDU schien richtig erleichtert, dass Angela Merkel als Kanzlerkandidatin noch einmal antritt. Hat die Union sonst niemanden?

De Maizière Die Entscheidung der Bundeskanzlerin, noch einmal anzutreten, ist gut für die CDU, auch für die CSU und natürlich für Deutschland. Alle weiteren Spekulationen sind überflüssig. Ich sehe durchaus einige begabte Politikerinnen und Politiker mit Potential, insbesondere in der nächsten Generation…

Wen?

De Maizière …deren Namen ich jetzt nicht nenne. Da können Sie fragen, sooft Sie wollen.

Baut die CDU denn solche Persönlichkeiten bewusst auf? Oder dürfen die nicht zu schnell hochkommen?

De Maizière Wer sich in der Bundestagsfraktion oder Landesregierungen hervortut, erfährt die Förderung der Partei. Mehr ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu sagen.

Im neuen Zeitalter des Populismus läuft alles wieder auf eine große Koalition hinaus, weil die klassischen Formationen Rot-Grün oder Schwarz-Gelb keine Mehrheit bekommen. Fördert das nicht die ohnehin große Unzufriedenheit vieler Wähler?

De Maizière Ich bezweifle Ihre Analyse, dass wir in einem Zeitalter des Populismus leben.

Brexit, Trump, Hofer, Italien — sind das nicht deutliche Beispiele?

De Maizière Es stimmt, dass das, was Sie unter Populismus verstehen, zunimmt. Aber deswegen vom Zeitalter des Populismus zu sprechen, halte ich für absolut übertrieben. Populismus kommt übrigens von Populus, das ist das Volk. Dem besser zuzuhören, hat noch keinem Politiker geschadet. Aber ich gebe Ihnen recht: Eine große Koalition muss der Ausnahmefall bleiben. Jedenfalls im Bereich der inneren Sicherheit hat die jetzige große Koalition allerdings besser gearbeitet als die schwarz-gelbe zuvor. Aber es ist nicht gut, wenn es keine großen Debatten zwischen den politischen Lagern im Parlament mehr gibt.

Brauchen wir demokratische Populisten?

De Maizière Auch wir Politiker in Funktionen und Ämtern müssen uns verändern. Politik darf nicht nur von denen verstanden werden, die sich innerhalb des S-Bahn-Rings der Hauptstadt Berlin mit Politik beschäftigen.

Was muss sich konkret ändern?

De Maizière Wir müssen besser zuhören, Dialogformen finden. Das Belehrende und übertriebene politische Korrektheit müssen raus aus unseren Reden. Zugleich muss ein Dialog anständig verlaufen.

Wo wollen Sie nicht mehr politisch korrekt sein?

De Maizière Wir haben zum Beispiel bei der Herkunft von Straftätern zu lange herumgedruckst. Jetzt wird die Herkunft klar benannt, um zu wissen, wo die Probleme liegen.

Sind denn Flüchtlinge wirklich krimineller?

De Maizière Die Syrer in ihrer Gesamtheit sind unterdurchschnittlich an Straftaten beteiligt, die Nordafrikaner überdurchschnittlich. Das heißt natürlich nicht, dass alle Nordafrikaner dann von vorneherein verdächtig sind. Aber wir müssen die Zahlen zur Kenntnis nehmen.

In den sozialen Netzen wird der Fall der ermordeten Joggerin in Freiburg heftig diskutiert. Dass der Täter ein 17-jähriger afghanischer Flüchtling ist, hat zur Aufregung beigetragen.

De Maizière Das ist eine fürchterliche Tat, die Dank guter Ermittlungsarbeit aufgedeckt wurde. Ja, mit dieser Tat nimmt das Misstrauen gegen Flüchtlinge wohl zu. Dagegen müssen wir uns aber stemmen — mit einem besseren Schutz unserer Bürger und einer rigorosen Strafverfolgung.

Lange Zeit waren viele Flüchtlinge nicht registriert und die Sicherheitsbehörden konnten Mehrfachtäter kaum identifizieren. Haben da die Behörden versagt?

De Maizière Nein. Aber es gab kein zentrales System und damit keinen vollständigen bundesweiten Überblick bei allen Behörden. Das haben wir geändert. Alle, die einen Asylantrag gestellt haben, sind mit Fingerabdrücken eindeutig identifiziert. Diese Daten stehen allen Behörden, die sie benötigen, nun auch zur Verfügung.

Und helfen diese Dateien bei der Ermittlung von Straftätern, die dem IS oder der syrischen Geheimpolizei angehörten?

De Maizière Natürlich können diese Daten auch dabei helfen. Aber die Dateien mit den Fingerabdrücken sind wertlos, wenn wir sie nicht abgleichen können mit internationalen Listen, die diese Straftäter enthalten. Daher ist die internationale Zusammenarbeit auch so überragend wichtig.

Viele Bürger haben den Eindruck, dass die Menschen aus dem Nahen Osten oder Nordafrika erst einmal bleiben, wenn sie im Land sind. Ob sie tatsächlich asylberechtigt sind, spielt nicht die entscheidende Rolle.

De Maizière Es muss klar sein, dass die, die keinen Schutz brauchen, Deutschland dann auch wieder verlassen. Hier haben wir viel geschafft. Es liegt aber auch noch viel Arbeit vor uns. Dieses Jahr werden wir wohl bis zu 100.000 wieder zurückschicken. Da sind auch diejenigen dabei, die freiwillig gehen…

… weil wir Geld bezahlen.

De Maizière Wenn es nicht zu viel ist, so dass manche ein Geschäft daraus machen, ist das absolut sinnvoll und auch günstiger. Wir müssen aber auch wirklich abschieben. Denn nur wenn auch eine Abschiebung zu befürchten ist, gehen viele andere freiwillig.

Wie viele wollen Sie 2017 abschieben?

De Maizière Wir müssen eine deutlich größere Zahl erreichen. Dafür brauchen wir einen gemeinsamen Kraftakt von Bund und Ländern.

Reichen die jetzigen Methoden dafür aus?

De Maizière Wir werden am 8. Dezember mit den Ländern weitere Maßnahmen diskutieren, um schneller rückführen und abschieben zu können. Dazu gehört zum Beispiel mehr Zwang bei den Vorladungen von Asylbewerbern. Wenn die Menschen trotz Ladung bei Gericht oder in ihrer Botschaft nicht erscheinen, muss es ernste rechtliche Folgen für sie haben. Ein entsprechender Vorschlag von mir liegt auf dem Tisch.

Die Unternehmensberatung McKinsey hat eine Studie erstellt, wie man schneller und wirksamer abschieben kann. War Ihnen das nicht vorher schon klar?

De Maizière Wir wissen eine ganze Menge. Aber keine Behörde, egal ob beim Bund oder in den Ländern, gibt gerne Schwachstellen zu. Und manchmal ist es eben sinnvoll Sachverstand für ein Projekt von außen hinzuziehen. Hier können wir zu einer schnelleren Klärung kommen.

Was würden Sie denn von McKinsey übernehmen?

De Maizière Wir benötigen ein gemeinsames Koordinierungszentrum von Bund und Ländern, in denen alle staatlichen Stellen, die mit dem Thema Abschiebung zu tun haben, zusammenarbeiten.

Oft tauchen die nicht berechtigten Asylbewerber ab, wenn sie ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren drohen. Was können Sie dagegen tun?

De Maizière Wir müssen die Möglichkeit, solche Personen in Abschiebegewahrsam zu nehmen, verbessern. Die vier Tage Gewahrsam, die jetzt möglich sind, sind zu wenig. Wir brauchen mehr. Dann können wir effizienter gegen die vorgehen, die sich einer drohenden Abschiebung entziehen.

Die harte Debatte über die innere Sicherheit zeigt, dass die CDU in einem Gebiet verliert, in dem die Wähler ihr Kompetenz zumessen. Das haben klassisch die Konservativen in Ihrer Partei besetzt. Gibt es die nicht mehr?

De Maizière Die CDU ist weiterhin eine konservative Partei, genauso wie sie auch christlich-soziale und liberale Wurzeln hat. Das eine sollte man nicht gegen das andere aufwiegen.

Was ist denn heute konservativ?

De Maizière Konservativ ist eine Haltung. Sie stellt das Gemeinwohl vor den Egoismus, das Land vor die Partei. Die Ordnung ist für einen Konservativen die Voraussetzung für Freiheit. Außerdem versteht er sich wertgebunden.

Das ist doch ein weichgespülter Konservatismus. Patriotismus, die Werte der Familie, bestehend aus Mann, Frau und Kindern, die Ehrfurcht vor dem Leben an dessen Anfang und Ende und eine soziale Dienstpflicht waren früher Merkmale eines gelebten Konservatismus.

De Maizière Nein. Außerdem hat sich das geändert. Familie ist heute nicht nur die klassische Familie, sondern beinhaltet auch andere Formen. Ein Konservativer hält aber viel von einer lebenslangen Bindung. Patriotismus heißt für einen Konservativen Einsatz für das eigene Land. Aber wer sein Vaterland liebt, hasst nicht andere. Der Schutz des Lebens ist eine christliche Maxime. Eine Dienstpflicht ist aus konservativer Sicht zu begrüßen, aber die ist nach Europarecht ein Zwangsdienst, wenn sie nicht der Wehrpflicht dient. Und hier sind bloße sechs Monate nicht sinnvoll, wenn zugleich die Ansprüche an eine High-Tech-Armee so hoch sind wie heute.

Martin Kessler fasste das Gespräch zusammen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort