Bundestagspräsidentin Bärbel Bas „Der Ton ist eindeutig rauer geworden, seitdem die AfD im Bundestag ist“

Interview | Berlin · Die Bundestagspräsidentin über die Auflösung der Linksfraktion, eine alarmierende Entwicklung in Plenardebatten, neue Sicherheitskonzepte im Reichstag – und ihre nicht vorhandene Reisefreudigkeit.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. (Archiv)

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. (Archiv)

Foto: IMAGO/photothek/Thomas Trutschel/imago

Frau Bas, am 6. Dezember löst die Linksfraktion sich auf. Wie schauen Sie auf diesen historischen Vorgang im Parlament?

Bas In den Anfangsjahren des Deutschen Bundestages gab es mehrere Fälle, in denen sich eine Fraktion mitten in der Legislaturperiode aufgelöst hat. Heute hat das aber ganz andere Dimensionen. Zum Beispiel sind viel mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen. Auch die finanziellen Auswirkungen sind deutlich größer. Viele lernen gerade anhand dieses Falles dazu, aber wir sind auf alles gut vorbereitet.

Ist es klar, dass die Fraktion sich in zwei Gruppen aufspalten wird?

Bas Das bleibt abzuwarten. Anfang Dezember sehen wir sicherlich klarer. Dann werden wir wissen, wie viele Anträge auf Bildung einer Gruppe gestellt werden. Die Geschäftsordnung sieht vor, dass der Bundestag mit Mehrheit, also mit den Stimmen der anderen Fraktionen, über die Anerkennung von Gruppen entscheidet. Die Fraktionen handeln auch aus, welche Rechte die künftigen Gruppen haben sollen. Das wird noch interessant.

Gibt es bereits Ideen für die neue Sitzordnung im Parlament?

Bas Ja, es gibt erste Vorstellungen, die davon geprägt sind, dass der Unterschied zwischen den Fraktionen und den künftigen Gruppen sichtbar wird. Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass nach Auflösung der Linksfraktion Tische abgebaut werden.

Werden dann die neuen Gruppen nebeneinander und links vom Rednerpult sitzen?

Bas Über die Sitzordnung im Bundestag entscheiden die Fraktionen. Können diese sich nicht einigen, muss das Plenum darüber mit Mehrheit abstimmen, so wie zu Beginn dieser Wahlperiode. Natürlich kann man darüber nachdenken, ob die künftigen Gruppen sich den Platz der bisherigen Linksfraktion im Saal teilen. Aber das ist nur eine unter mehreren denkbaren Varianten.

Beobachten Sie mittlerweile eine andere Atmosphäre bei Plenardebatten als früher?

Bas Der Ton ist eindeutig rauer geworden, seitdem die AfD im Deutschen Bundestag ist. Es gibt mehr persönliche Angriffe und Diffamierungen von allen Seiten. Zur Halbzeit dieser Legislatur haben wir bereits deutlich mehr Ordnungsrufe als in der gesamten vorherigen Wahlperiode. Das ist besorgniserregend.

Sie wollen das Ordnungsgeld auf 2000 Euro verdoppeln. Wie kommt das bei den Abgeordneten an?

Bas Alle Reaktionen auf meinen Vorschlag waren positiv, sowohl von Seiten der Abgeordneten als auch von vielen Bürgerinnen und Bürgern. Als Parlament haben wir eine Vorbildfunktion für die Art und Weise, wie Debatten im Land geführt werden. Wer sich nicht an die Regeln hält, sollte das deutlich zu spüren bekommen. Daher wünsche ich mir, dass mein Vorschlag möglichst schnell umgesetzt wird. 2000 Euro tun schon richtig weh.

Sie treiben ein Gesetz für die Bundestagspolizei voran. Warum?

Bas Der Deutsche Bundestag verfügt über rund 200 eigene Polizeikräfte, die im Innern des Gebäudes für die Sicherheit zuständig sind. Doch bislang mangelt es an einer eigenen Rechtsgrundlage, die die Besonderheiten der Polizeiarbeit im Parlament berücksichtigt. Mit einem eigenen Bundestagspolizeigesetz schaffen wir mehr Rechtssicherheit. Das ist wichtig für die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen, aber auch für die von den Polizeimaßnahmen Betroffenen.

Wann soll das fertig sein?

Bas Ich hoffe, dass die Fraktionen sich schnell auf die Inhalte verständigen können und das Gesetz im nächsten Frühjahr kommt.

Der Bundestag hat sich nach den brutalen Terroranschlägen der Hamas gemeinsam hinter Israel gestellt und ein klares Zeichen der Solidarität gesetzt. Bröckelt diese Solidarität aus Ihrer Sicht in der Bevölkerung?

Bas Ich nehme die Enttäuschung der jüdischen Gemeinden in Deutschland wahr, dass an Solidaritätskundgebungen für Israel weniger Leute teilnehmen als an Pro-Palästina-Demos. Ich werbe für mehr Differenzierungen in der Debatte. Im Grunde sollte jeder von uns sich hinter einer klaren Absage an jede Form von Antisemitismus versammeln können. Als Deutsche tragen wir eine ganz besondere Verantwortung für den Schutz von Jüdinnen und Juden. Deshalb wünsche ich mir, dass der fortdauernde Terror der Hamas, der sich gegen Israel, aber auch gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen richtet, bei uns in Deutschland noch viel häufiger und lauter verurteilt wird. Auf der anderen Seite ist nicht jede Aufforderung, auf den Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu achten, automatisch Antisemitismus.

Sie haben die Bundesregierung bereits ermahnt, dass nicht jedes Gesetz im Ausnahmemodus durch das Parlament gepeitscht werden darf. Gab es Besserung?

Bas Es ist schon besser geworden, aber es gibt Luft nach oben. Nach wie vor führen die vielen gleichzeitigen Krisen dazu, dass die Ampel-Regierung ihre Vorhaben in einem extrem hohen Tempo durch Bundestag und Bundesrat bringen will. Bei sehr eiligen Angelegenheiten wie damals in der Finanzkrise ist das nachvollziehbar. Grundsätzlich aber gilt, dass Abgeordnete ausreichend Zeit haben müssen, Entwürfe gründlich zu lesen, Expertinnen und Experten anzuhören und mit den Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie dies bei ihren Zeitplanungen fest im Blick hat.

Nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Klimafonds wird die sogenannte Bereinigungssitzung in der kommenden Woche fortgesetzt. Ist das gut oder aus Ihrer Sicht nur das kleinere Übel in einer schwierigen Situation?

Bas Nächste Woche soll nach einer öffentlichen Anhörung die abschließende Beratungssitzung stattfinden. Diese ist meines Wissens einstimmig so beschlossen worden.

Die Wahlrechtsreform soll den Bundestag verkleinern, doch auch dagegen gibt es eine Verfassungsklage. Sind Sie zuversichtlich, dass die Reform kommen kann?

Bas Beim Wahlrecht brauchen wir schnell Klarheit. Am Tag der Wahl darf es keine Zweifel an einem verfassungsrechtlich einwandfreien Wahlrecht geben. Mit der jüngsten Reform des Wahlrechts ist ein wichtiger Schritt gemacht worden. Der Bundestag hat künftig eine feste Größe von 630 Abgeordneten. Das stärkt die Arbeitsfähigkeit des Parlaments und zeigt, dass wir in eigener Sache handlungsfähig sind. Umso mehr bedauere ich, dass sich für diese Lösung keine fraktionsübergreifende Mehrheit finden ließ.

Sie sind für vier Jahre gewählt, die Hälfte Ihrer ersten Amtszeit als Bundestagspräsidentin ist um. Was hätten Sie vorher so nicht erwartet, was Ihnen im Amt begegnet ist?

Bas Vor allem zwei Dinge: Wie viele SMS man als Präsidentin von Abgeordneten mit Fragen, Anliegen und Anregungen bekommt. Und wie oft man als Parlamentspräsidentin reisen muss.

Stört Sie das so sehr?

Bas Ich war noch nie reisefreudig. Ich habe bislang Urlaub vor allem in Deutschland gemacht. Mein erster Satz als Präsidentin an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war in klarer Duisburger Sprache: Reisen könnt ihr vergessen! Sie haben damals nur milde gelächelt. Und heute lachen sie jedes Mal wieder, wenn eine Reise für mich ansteht. Aber in den vergangenen zwei Jahren habe ich gelernt, wie wichtig und notwendig gerade in diesen Zeiten auch für Parlamente eine enge internationale Zusammenarbeit ist.

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