„Es häufen sich Fälle von Androhung und Ausübung“ DRK-Präsidentin beklagt Angriffe auf Klinikpersonal

Berlin · Derzeit arbeiten die Kliniken am Limit, es gibt kaum noch Intensivbetten. Die DRK-Präsidentin sieht eine Steigerung von Übergriffen auf das Personal. Viele Mitarbeiter sind selbst erkrankt, hinzu kommt ein Mangel bestimmter Medikamente.

Ein Kleinkind mit einem Atemwegsinfekt wird auf der Intensivstation der Kinderklinik des St. Joseph-Krankenhauses in Berlin non-invasiv beatmet. (Archiv)

Ein Kleinkind mit einem Atemwegsinfekt wird auf der Intensivstation der Kinderklinik des St. Joseph-Krankenhauses in Berlin non-invasiv beatmet. (Archiv)

Foto: dpa/Christoph Soeder

Nach Ansicht führender Intensivmediziner ist die Lage in deutschen Krankenhäusern derzeit außergewöhnlich angespannt. „Es gibt in vielen Regionen so gut wie keine freien Intensivbetten mehr“, sagte Intensivmediziner Christian Karagiannidis unserer Redaktion. „Corona-Infektionen sind in diesem Winter nicht mehr das Hauptproblem. Derzeit kämpfen wir gegen sehr breit gefächerte Krankheitsbilder: Grippe, RS-Virus, Corona und andere Atemwegserkrankungen, dazu die üblichen Notfälle“, sagte Karagiannidis, der auch Mitglied der Regierungskommission für Krankenhausversorgung ist. „Der Krankenstand in der Gesellschaft ist aktuell extrem hoch, so etwas habe ich noch nicht erlebt“, fügte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin hinzu.

Doch ist Besserung in Sicht? Und wenn ja, wann? „Ich setze darauf, dass wir uns bald in die Feiertage retten können. Dann ebbt üblicherweise das Aufkommen in den Kliniken ab, die Kapazitäten in den Krankenhäusern steigen wieder“, so Karagiannidis.

Die Probleme der Kliniken sind vielseitig. Zur hohen Patientenzahl kommt ein hoher Krankenstand beim Personal. Zudem würden Lieferengpässe bei Medikamenten große Probleme verursachen, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Problematisch sei die Lage bei Antibiotika, Krebspräparaten und Notfallmedikamenten für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Die größte Herausforderung stellen Gaß zufolge derzeit Lieferengpässe bei Notfallmedikamenten dar. Betroffen sei unter anderem bereits seit April der Wirkstoff Alteplase, der als lebensrettende Maßnahme zum Beispiel nach Herzinfarkten und Schlaganfällen eingesetzt werde. Alternativen dafür seien rar oder fehlten ganz, sagte Gaß. Sehr problematisch seien in der derzeitigen Welle von Atemwegserkrankungen aber auch fehlende Mittel wie beispielsweise das Breitband-Antibiotikum Amoxicillin.

Grund für die Engpässe sind den Angaben zufolge oft akute Probleme in der Herstellung, aber auch unzureichende Produktionskapazitäten und eine steigende Nachfrage. In diesem Jahr seien viele Arzneimittel betroffen, die zur Basisversorgung zählten – beispielsweise gewöhnliche Antibiotika oder Medikamente, die für die Krebstherapie existenziell seien. „Im Moment haben wir Probleme bei paracetamol- und ibuprofenhaltigen Fiebersäften für Kinder“, berichtete der Klinikvertreter weiter.

Zuvor hatten bereits die Kinderärzte in Deutschland wegen Engpässen vor allem bei Fiebersaft, aber auch bei anderen Medikamenten Alarm geschlagen. Die Bundesregierung arbeite „mit Hochdruck“ an Lösungen bei der Arzneimittelknappheit, sagte Familien- und Jugendministerin Lisa Paus (Grüne) dem TV-Sender Welt. Ziel sei es, „kurzfristig“ Ersatzprodukte für Medikamente zu beschaffen, die gegen Erkältung, Grippe oder das RS-Virus benötigt würden.

Der GKV-Spitzenverband der Krankenkassen verwies darauf, dass bereits im Sommer Maßnahmen gegen Lieferengpässe vereinbart wurden. „Apotheken können Fiebersäfte im Rahmen einer Rezeptur selbst anfertigen und bekommen das bezahlt“, erklärte die Verbandsvorsitzende Doris Pfeiffer. In der aktuellen Notsituation müssten die Apotheken den Patienten „mit Rat und Tat“ beiseite stehen. „Kein Verständnis haben wir, wenn in dieser angespannten Lage für diese ureigene Aufgabe der Apotheken nach zusätzlichem Geld gerufen wird.“

Intensivmediziner Karagiannidis schlägt einen ungewöhnlichen Weg zur Bekämpfung der Mängel vor. „Ich bin dafür, dass der Staat in Kooperation mit hiesigen Pharmaherstellern bestimmte Medikamente auf Vorrat produzieren lässt, damit diese immer in ausreichenden Mengen verfügbar sind“, sagte er. „Das wird für das Land zwar teuer, aber ich finde es bedenklich für ein Land wie Deutschland, dass wir seit langer Zeit immer wieder mit solchen Engpässen zu kämpfen haben und sich dieser Mangel wegen der vielen Infekte in diesem Jahr besonders verschärft hat.“

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) forderte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu schnellem Handeln auf. „Die Bundesregierung muss dieses Thema jetzt zügig angehen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um möglichst rasch wieder verlässliche und schnelle Lieferwege zu gewährleisten“, sagte er. „Dafür sollte der Bund noch vor Weihnachten einen Gipfel mit allen beteiligten Institutionen einberufen und gemeinsam mit Ärzteverbänden, Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Apothekern, Pharmagroßhändlern und pharmazeutischen Unternehmen nach Lösungen suchen. Der Dialog ist in Berlin zuletzt zu kurz gekommen“, kritisierte Holetschek. Leider höre man vom Bundesgesundheitsminister nur vage Ankündigungen hinsichtlich eines Generikagesetzes. „Herr Lauterbach verschärft das Problem sogar noch! Mit seinem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sorgt er dafür, dass auch im Bereich der innovativen Arzneimittel am Ende ein noch größerer Teil der Produktion in den asiatischen Raum und andere Billiglohnländer verlagert wird“, sagte Holetschek. „Uns droht eine Abhängigkeitsfalle. Wir brauchen jetzt dringend wirksame Maßnahmen zur Stärkung des Arzneimittelstandorts Deutschland und eine Wiederaufnahme des Pharma-Dialogs, den die Bundesregierung leider hat einschlafen lassen“, so der CSU-Politiker.

Unterdessen warnte Krankenhaus-Verbandschef Gaß vor einer weiterhin schwierigen Lage der Kinderkliniken. „Pflegekräfte aus den Erwachsenenstationen können nur bedingt die Engpässe auf den Kinderstationen lindern, da in der Pädiatrie auf ihren Bereich hochspezialisierte Fachkräfte arbeiten“, sagte er auf Anfrage. „Die Krankenhäuser organisieren diese Umschichtungen aber bereits ohne die Initiative des Bundesgesundheitsministers, um die Situation zu bewältigen“, so Gaß. Lauterbach hatte vor zwei Wochen diese Umschichtung angeregt.

Die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Gerda Hasselfeldt, sieht ein weiteres Problem: einen Anstieg von Angriffen auf das Krankenhauspersonal. „Es häufen sich Fälle von Androhung oder der tatsächlichen Ausübung psychischer und physischer Gewalt gegenüber dem Gesundheitspersonal“, sagte sie unserer Redaktion. Aufgrund der Personalknappheit und des Zeitdrucks sei eine gute Einbindung der Eltern oft „nur unzureichend möglich, was wiederum zu Informationsverlusten, der Häufung von Beschwerden und wachsender Anspannung auf allen Seiten führt“, betonte Hasselfeldt. Zugleich müssten Eltern mit kranken Kindern teilweise stundenlang in den Notaufnahmen sitzen oder auch kranke Kinder auf Krankenhausfluren übernachten. Kurzfristige Abhilfe zu schaffen sei aber kaum möglich, ergänzte die DRK-Präsidentin. „Was die knappen personellen und materiellen Ressourcen betrifft, bedarf es einer nachhaltig gesicherten Finanzierung“, forderte Hasselfeldt. Das Pflegefachpersonal müsse dringend entlastet werden.

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