Testpflicht, Ausgangssperren, Lockdown Was das neue Corona-Infektionsschutzgesetz bringt

Berlin · Testpflicht für Unternehmen, Ausgangssperren ab 21 Uhr und wieder ein Lockdown für Geschäfte und Museen: Am Dienstag hat die Bundesregierung die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes auf den Weg gebracht. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.

 Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag im Gespräch mit Außenminister Heiko Maas (SPD, links) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD).

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag im Gespräch mit Außenminister Heiko Maas (SPD, links) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD).

Foto: dpa/John Macdougall

Mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes will der Bund – in Absprache mit den Ländern und den Bundestagsfraktionen – mehr Einheitlichkeit in der Pandemiebekämpfung erreichen. Die Verhandlungen sind kompliziert, am Dienstag verständigte sich aber das Kabinett auf eine entsprechende Formulierungshilfe.

  • Welche Punkte sind nicht mehr strittig, wo hakt es noch? Die Bundesregierung hat sich am Dienstagmorgen grundsätzlich darauf verständigt, dass Landkreise oder kreisfreie Städte ab einer Inzidenz von 100 Fällen pro 100.000 Einwohnern binnen einer Woche unter anderem eine nächtliche Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr am nächsten Morgen verhängen müssen. Ab einer Inzidenz von 200 Fällen müssen Schulen zudem ihren Präsenzunterricht einstellen. Zudem soll es eine Testpflicht in Unternehmen geben. In Koalitionskreisen hieß es, dahinter stehe eine politische Einigung: Die SPD akzeptiert die von der Bundeskanzlerin vorangetriebenen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, die Union im Gegenzug die neue Arbeitsschutzverordnung mit der Testpflicht in Betrieben. Allerdings kommen die Pläne jetzt erst in die parlamentarischen Verhandlungen von Bundestag und Bundesrat. Besonders strittig sind die Regelungen zu den Ausgangssperren, die beispielsweise SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach häufig als wirksam bewirbt, die aber von Ärzten und Forschern als übertrieben kritisiert werden. Offen blieb auch noch die Frage, ob tatsächlich ab einer Inzidenz von 200 nur noch Distanzunterricht an Schulen möglich sein soll. Viele Bundesländer üben Kritik an den einzelnen Regelungen. Im Bundesrat müssen sie aber nicht zustimmen. Die Länderkammer hat lediglich das Recht zur Stellungnahme. Allerdings strebt der Bund eine weitgehende Einigkeit auch mit den Ländern an.
  • Welche Regeln beim Testen sollen in Firmen gelten? Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die Betriebe per Verordnung verpflichten, ihren Präsenzbeschäftigten mindestens einmal pro Woche einen Corona-Test anzubieten. Dies sieht der Entwurf für eine Änderung der Arbeitsschutzverordnung vor, die ebenfalls am Dienstag dem Kabinett vorgelegt wurde. Für bestimmte Beschäftigtengruppen hat der Arbeitgeber demnach sogar zwei Tests pro Kalenderwoche anzubieten. Dies gelte etwa für Beschäftigte, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht seien  – oder auch Beschäftigte, „die unter klimatischen Bedingungen in geschlossenen Räumen arbeiten, die eine Übertragung des Coronavirus Sars-Cov-2 begünstigen“. Die Kosten sollen die Arbeitgeber tragen, so Heil. Sie werden in der Verordnung im Schnitt mit 130 Euro pro Beschäftigtem bis Ende Juni beziffert. Zudem werden alle anderen geltenden Corona-Schutzregeln im Arbeitsschutz bis zum 30. Juni verlängert. Dazu gehört auch, dass Arbeitgeber Beschäftigten wo immer möglich das Arbeiten von Zuhause anbieten müssen.
  • Was kritisieren die Wirtschaftsverbände daran? Die Testpflicht sei eine „Misstrauenserklärung gegenüber den Unternehmen und ihren Beschäftigten", erklärte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter. „Die Testpflicht führt zu mehr Bürokratie und diskreditiert das freiwillige Engagement der Unternehmen zunehmend. Auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer sagte: „Eine gesetzliche Testpflicht für unsere Handwerksbetriebe halten wir weiter weder für notwendig noch zielführend. Das ist eine gesetzgeberisch unnötige Aktion und der Versuch, die beim Staat liegende Verantwortung für die Pandemiebekämpfung auf die Wirtschaft zu verlagern.“ Die große Mehrheit der Betriebe sei längst freiwillig dabei, ihre Beschäftigten zu testen oder bereiteten dies unmittelbar vor. „Für dieses freiwillige Engagement sollten sie nicht durch eine gesetzliche Regelung abgestraft werden“, sagte Wollseifer. „Eine gesetzliche Testpflicht ist praxisfern und lässt außer Betracht, dass Testungen für die eher kleineren und mittleren Betriebe im Handwerk mit einem deutlich größeren Aufwand verbunden sind als etwa für große Unternehmen, was etwa die Test-Kit-Beschaffungen oder die Testorganisation wegen wechselnder Einsatzorte betrifft“, erklärte er. „Corona-Tests in Betrieben sind zum Schutz der Belegschaften zwar sinnvoll, doch die Testpflicht-Diskussion darf nicht davon ablenken, dass Testungen letztlich nicht das Instrument sind, mit dem wir aus der Pandemie herauskommen. Nur mit mehr Impfungen werden wir die Pandemie hinter uns lassen können“, sagte Wollseifer. Der CDU-Wirtschaftsrat rechnete damit, dass die Tests die deutschen Unternehmen insgesamt monatlich mehr als sieben Milliarden Euro kosten. Grundsätzlich können allerdings die Firmen die Kosten für Schnelltests im Rahmen der Überbrückungshilfe III geltend machen, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen, erklärte das Wirtschaftsministerium.
  • Was sieht der Gesetzentwurf des Bundes zu Ausgangssperren vor? Im bisherigen Entwurf des Infektionsschutzgesetzes sind nächtliche Ausgangssperren zwischen 21 und 5 Uhr in Regionen mit Inzidenzwerten von über 100 vorgesehen. Kritik daran kommt aus den Ländern und Kommunen, die den Inzidenzwert von 100 nicht als alleiniges Kriterium für Ausgangssperren akzeptieren wollen. Vielfach wird zudem ein Schwellenwert von 200 gefordert. Noch ist unklar, ob es zu der strengen Regelung kommt.Auch die Ärzte sehen die bisher geplanten Regeln zur Ausgangssperre kritisch. „Ein besonders tiefer Einschnitt in die persönlichen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger ist ohne Frage die mit der Notbremse vorgesehene Ausgangssperre“, sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt unserer Redaktion. „Übertragungen im Freien sind nicht nur sehr selten. Sie führen in der Regel auch nicht zu Clusterinfektionen. Nicht zuletzt aus psychosozialen Gründen sollten wir mit Augenmaß vorgehen und den Aufenthalt im Freien nicht ohne Not erschweren“, forderte der Ärzte-Chef. Ob eine Ausgangssperre sinnvoll und notwendig sei, hänge maßgeblich davon ab, ob sie riskante Zusammenkünfte der Menschen in Innenräumen verhindern könne. „Abendspaziergänge oder auch Sport im Freien sind nach wissenschaftlichem Kenntnisstand keine Infektionstreiber“, sagte Reinhardt. „Es kann sogar kontraproduktiv sein, solche Freizeitaktivitäten im Freien zu verbieten, wenn dies dazu führt, dass sich die Menschen stattdessen verstärkt in Innenräumen treffen“, erklärte der Präsident der Bundesärztekammer. „Die Gesellschaft für Aerosolforschung weist aktuell darauf hin, dass Übertragungen fast ausnahmslos in Innenräumen stattfinden“, erklärte Reinhardt.
  • Was sagen Länder und Kommunen zur Umsetzung?Aus Ländern wie Sachsen und Niedersachsen gab es teils scharfe Kritik, auch die FDP in NRW hat Vorbehalte insbesondere gegen Ausgangssperren. Die Grünen, die in elf von 16 Landesregierungen sitzen, wollen für eine Zustimmung im Bundesrat erreichen, dass ab einer Inzidenz von 100 in einem Landkreis Klassen im Wechselunterricht mit entsprechenden Schutzkonzepten und verpflichtenden Tests zwei Mal pro Woche unterrichtet werden und Kitas auf Notbetreuung umstellen. Die Kommunen zeigen sich kritisch. Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, pochte auf klare und gerichtsfeste Regeln. „Es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, was gilt. Deshalb unterstützen wir klare bundeseinheitliche Regeln für die Notbremse bei hohen Infektionszahlen im Infektionsschutzgesetz“, sagte Jung. „Das Chaos mit den unterschiedlichen Lösungen in den Ländern kostet jeden Tag Vertrauen in die Corona-Maßnahmen. Deshalb muss jetzt Schluss sein mit dem Wünsch-Dir was. Dafür brauchen wir jetzt den gemeinsamen bundeseinheitlicher Rahmen“, sagte Jung. „Was Bund und Länder jetzt im Eiltempo im Infektionsschutzgesetz für die Notbremse regeln, muss aber auch sitzen. Wir können es uns nicht leisten, dass einzelne Punkte wie Ausgangssperren wieder von den Gerichten kassiert werden“, sagte Jung. Zudem forderte er Öffnungsperspektiven. „Klar ist auch, wenn die Zahlen wieder sinken, müssen die Städte Öffnungsschritte gehen und Modellprojekte vor Ort ausprobieren können. Und umfangreiches Testen und Impfen müssen weiter Hand in Hand gehen. Das schafft Perspektive für Kultur, Handel, Sport und das öffentliche Leben, wonach sich alle sehnen“, sagte Jung.
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