Schlagabtausch zur Industrie im Bundestag Wirtschaftsschwäche drängt Robert Habeck in die Defensive
Berlin · Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck steht unter Druck: Die Opposition macht ihn verantwortlich für die Stagnation der Wirtschaft. Der Grünen-Politiker wehrt sich – und appelliert an die Union, die Wachstumsinitiative der Regierung im Bundesrat nicht zu blockieren.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kommt an diesem Freitag nach einer Corona-Infektion geradewegs aus der selbstverordneten Quarantäne. Doch der Grünen-Politiker wirkt nicht geschwächt, im Gegenteil: Bei seinem Auftritt im Bundestag startet er eine Attacke gegen die Union. Die wirtschaftliche Lage sei „zu herausfordernd und zu ernst, um sich in plumpen Parolen zu ergehen“, sagt Habeck, an den Füßen Turnschuhe wie einst Joschka Fischer. Er reagiert damit auf den Vorwurf aus Unionsreihen, die aktuelle Wachstumsschwäche sei ein hausgemachtes Problem dieser Bundesregierung. „Die Ampel hat an vielen Stellen den Hebel umgelegt“, hält der Wirtschaftsminister dagegen, und zählt auf: bei der Fachkräftezuwanderung, der Frauenerwerbsarbeit, der Arbeitsaufnahme von Geflüchteten, bei Investitionen in die Infrastruktur, bei der „Wegräumung“ von Bürokratie bis hin zur neuen Wachstumsinitiative.
Habeck steht unter großem Druck: Die deutsche Wirtschaft stagniert seit drei Jahren, zahlreiche Industrieunternehmen haben den Abbau Tausender Stellen angekündigt, mit VW, ThyssenKrupp oder ZF Friedrichshafen straucheln gerade auch namhafte Flaggschiffe. Die Union macht ihn dafür als Wirtschaftsminister zum Hauptverantwortlichen, die drohende Rezession sei vor allem auch Habecks Rezession.
In dieser Woche schlug auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Alarm und warnte vor der Deindustrialisierung des Landes, wenn die Regierung nicht gegensteuert. Eine vom BDI in Auftrag gegebene Studie machte einen Investitionsbedarf von 1,4 Billionen Euro bis 2030 aus. Private Investitionen müssten durch staatliche Mehrausgaben für eine bessere Infrastruktur, Bildung und Gebäude flankiert werden. Mit mehr staatlichen Schulden hat der BDI kein Problem: Er fordert kreditfinanzierte Sondervermögen des Staates etwa für eine bessere Infrastruktur – eine Idee, die auch Habeck zu gern weiterverfolgen würde, allerdings sind ihm die Hände gebunden: Der Koalitionspartner FDP macht dabei einfach nicht mit.
Im Bundestag gesteht der Minister ein, wie sehr die Wirtschaft schwächelt. Habeck zitiert den BDI und auch den jüngsten Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU, vorgestellt vom ehemaligen italienischen Regierungschef Mario Draghi, der Europa gegenüber China und den USA im Hintertreffen sieht. Draghi hat umfassende Reformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU gefordert, etwa eine gemeinsame Rüstungsbeschaffung. Zudem müssten jährlich 800 Milliarden Euro mehr investiert werden, damit Europa bei Digitalisierung oder Verkehr nicht den Anschluss verliert, so Draghi.
Es ist kein Geheimnis, dass auch Habeck für neue staatliche Sondervermögen plädiert. „Bessere Rahmenbedingungen sind essenziell, es braucht dann aber Investitionen – bei der Infrastruktur, Bildung, Hochschulen, der Transformation, der Sicherheit. Hier hat der BDI mit dem Sondervermögen einen guten Vorschlag gemacht“, sagt Habeck unserer Redaktion nach dem Bundestags-Auftritt. Doch das Problem mit der Schuldenbremse wird der Grüne in dieser Legislaturperiode wegen des Widerstands der FDP nicht mehr lösen können – und deshalb bleibt ihm jetzt nur, sich auf andere Felder zu konzentrieren.
So appelliert er an die deutsche Wirtschaft, bei neuen Technologien wie der Künstlichen Intelligenz (KI) zur Weltspitze aufzurücken. „Wir haben über die letzten 20 Jahre kein Google, kein Apple, kein Alibaba, hervorgebracht. Dass darf sich bei der KI nicht wiederholen“, sagt er. „Neue Technologien sollten wir als Chance wahrnehmen: CCS, KI, Wasserstoff und kein Kulturkampf mehr gegen das E-Auto, sondern Klarheit und Verlässlichkeit“, betont Habeck.
Die Situation sei ernst. „Aber unser Land, unsere Wirtschaft hat große Stärken. Nur müssen wir jetzt in aller Ernsthaftigkeit daran arbeiten, dass sie zukunftsfähig wird“, sagt Habeck. „Mario Draghi mahnt alle, dass wir mehr Wachstum brauchen und dass dies in Zeiten des demografischen Wandels nur über mehr Produktivitätswachstum zu erreichen ist“, so der Minister. „Das schaffen wir nur, wenn Europa den Anschluss an die Wachstumsmotoren der Zukunft findet.“ Draghi skizziere auch, wie Wettbewerbsfähigkeit und die klimaneutrale Erneuerung der Industrie zusammengehen.
Die Union will Habeck an diesem Freitag im Bundestag allerdings nicht davonkommen lassen. CDU-Wirtschaftssprecher Jens Spahn zählt die vielen Unternehmen auf, die derzeit Jobs abbauen wollten. „Wer kann, investiert im Ausland“, sagt Spahn. „Wir haben Ihnen ein Land im Wachstum übergeben, und Sie haben ein Land der Stagnation und Rezession daraus gemacht. Das ist Ihre Rezession. Aus Ihrem grünen Wirtschaftswunder ist ein blaues Wunder des Abstiegs geworden“, ätzt Spahn an die Adresse Habecks.
Der Angesprochene wehrt sich: Mit dem Schlechtreden des Wirtschaftsstandorts folge die Union nur der AfD, kontert der Grüne. „Geben Sie Ihren Kampf gegen technischen Fortschritt auf.“ Die Wirtschaftsschwäche habe ihren Ursprung in Wahrheit in der Regierungszeit der Union, sagt Habeck. Die Konjunktur bessere sich, die Inflation gehe zurück. Er fordert die Union auf, das Gesetzespaket der Ampel zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts im Bundesrat mitzutragen. Würden alle Maßnahmen der Wachstumsinitiative wie geplant umgesetzt, könnte das Potenzialwachstum der Wirtschaft pro Jahr um 0,5 Prozentpunkte höher ausfallen, sagt Habeck im Bundestag. „Das ist nicht wenig.“