Klimakongress Industrie warnt vor Rückschritten bei Klimaschutz und Wohlstand
Berlin · Eigentlich wollte die Industrie bei ihrem hochkarätig besetzen Klimakongress vor allem über Wege hin zum klimaneutralen Wirtschaften debattieren. Doch düstere Warnungen vor einer reihenweisen Abwanderung deutschen Unternehmen ins Ausland überschattet den Blick in die Zukunft.
Die Ungeduld in der Industrie ist mit Händen zu greifen. Ob das Deutschlandtempo, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufen hat, schon zu sehen sei, wurde Siegfried Russwurm am Dienstag gefragt. Die Antwort des Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) fiel knapp aus: „Leider nicht.“ Bei der Entlastung der Unternehmen wegen hoher Strompreise, beim Ausbau von Strom- und Wasserstoffnetzen, bei der Beschleunigung von Planungen und Genehmigungen – es geht zu langsam voran. So der Tenor beim BDI-Klimakongress am Dienstag.
Dabei hat die Bundesregierung aus Russwurms Sicht in der Energiekrise im vergangenen Jahr bewiesen, dass sie „Krisenhandling“ unter Zeitdruck kann. Doch seine aktuelle Analyse fiel ernüchternd aus: „Wenn wir so weitermachen wie in den letzten Jahren, dann werden wir auf der einen Seite unsere Klimaziele nicht erreichen, auf der andere Seite aber auch als Industrienation und als Exportland weiter nach hinten durchgereicht.“ Russwurm kritisierte, dass bei dem vom Kanzler vorgeschlagenen „Deutschland-Pakt“ nichts vorangehe. Scholz müsse nun Führung zeigen, so der Industriepräsident. Das Schreckenszenario der reihenweisen Abwanderung deutscher Unternehmen ins Ausland war beim Klimakongress sehr präsent.
Dabei sollte es bei diesem Spitzentreffen doch um Wege hin zum klimaneutralen Wirtschaften gehen, um Wege in eine wirtschaftlich bessere Zukunft. Mehr Klimaschutz und mehr Wachstum – nach Darstellung von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hängt das eine mit dem anderen zusammen. “Klimaschutz wird nur dann gelingen, wenn es mit wirtschaftlicher Prosperität einhergeht“, sagte Habeck. In diesem Punkt war sich der Vizekanzler einig mit seinem Kabinettskollegen von der FDP, Verkehrsminister Volker Wissing. „Ohne Wachstum wird unser Industriestandort keine Chance haben“, sagte Wissing am Dienstag. Er sehe „mit Schrecken“, dass man sich in Deutschland und der EU an vielen Stellen selbst im Wege stehe, so der FDP-Politiker. Dabei erwartet die Industrie gerade von der Bundesregierung, die Fesseln zu lösen und für bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu sorgen.
So wurde am Dienstag auch die Debatte um eine Absenkung der hohen Strompreise weitergeführt. Die Industrie befürwortet den politisch umstrittenen Industriestrompreis. „Es geht mitnichten darum, zu sagen, man entlastet die Großen und die Kleinen nicht“, sagte Russwurm mit Blick auf Befürchtungen einer ungleichen Behandlung bei der Entlastung. „Es geht darum, zu sagen, wer im internationalen Wettbewerb ist und hohe Energieintensität hat, hat keine Chance, den Preis weiterzugeben.“ Die Industrie fordert darüber hinaus eine Absenkung der Stromsteuern sowie der Netzentgelte. „Wir verlieren Unternehmen, wir verlieren Wertschöpfung und wir verlieren damit die Grundlage unseres Wohlstandes in Deutschland“, betonte der Industriepräsident.
Wirtschaftsminister Habeck ist ein Fürsprecher für den Industriestrompreis, über den in der Bundesregierung seit Wochen gerungen wird. Habeck sprach von einem „dramatischen Einbruch“ bei der Produktion in der energieintensiven Industrie von rund 20 Prozent in den vergangene Monaten. Das sei „existenziell“ für diese Branche.
Derweil steht Habeck auch beim Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur im Fokus. Wasserstoff soll eine wesentliche Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität spielen, etwa in der Stahlindustrie. Holger Kreetz, operativer Vorstand des verstaatlichten Energieversorgers Uniper mit Sitz in Düsseldorf, forderte, dass das Kernnetz, das Wasserstoffproduzenten und -konsumenten miteinander verbinden soll, „sehr schnell“ umgesetzt werde. Aktuell sei nicht klar, „ab wann zentrale Transportkorridore, beispielsweise von Wilhelmshaven in die großen industriellen Verbrauchszentren für die Stahlproduktion in Duisburg und Salzgitter oder für die Chemische Industrie im Rheinland, zur Verfügung stehen werden“, so Kreetz. Er fordert eine Fertigstellung bis 2027. Habeck kündigte an, dass das sogenannte Wasserstoffbeschleunigungsgesetz „quasi fertig“ sei und das Kabinett im Oktober erreichen werde.



