Steinbrück greift Gabriel an In der SPD liegen die Nerven blank

Die Führungsriege in der SPD ist offenbar heillos zerstritten. Mit einem beispiellosen öffentlichen Appell greift Kanzlerkandidat Peer Steinbeinrück den Vorsitzenden Sigmar Gabriel an - und das unmittelbar vor dem wichtigen Partei-Konvent. Gabriel bemüht sich, die Wogen zu glätten. Dennoch ist bereits von einer bevorstehenden Nacht der langen Messer zu hören.

Peer Steinbrück - ein Wahlkampf voller Pannen
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Spannungen und ein gesättigtes Misstrauen soll es zwischen Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und Parteichef Sigmar Gabriel schon lange gegeben haben. Nach außen beschworen beide sozialdemokratische Einigkeit nach dem Motto "Das Wir entscheidet".

Am Dienstag soll es Streit gegeben haben

Nun aber treten die Differenzen offen zutage. Und das ausgerechnet vor dem Start in die heiße Wahlkampfphase, der mit dem Parteikonvent für Sonntag angesetzt war. In einem Interview unterstellte Steinbrück Gabriel mangelnde Loyalität. Nur eine Bündelung aller Kräfte ermögliche es der SPD, die Bundesregierung abzulösen, sagte er dem "Spiegel".

Gehört der erste Satz noch fest zum Baukasten der Wahlkampfrhetorik, offenbarte der darauffolgende, wie sehr in der Partei die Nerven inzwischen blank liegen: "Ich erwarte deshalb, dass sich alle - auch der Parteivorsitzende - in den nächsten 100 Tagen konstruktiv und loyal hinter den Spitzenkandidaten und die Kampagne stellen." Hintergrund sind Vorkommnisse bei einer Sitzung der Fraktion am Dienstag, wo Gabriel sich nach Steinbrücks Lesart gegen ihn gestellt habe.

Gabriel spricht von einem lebendigen Verhältnis

Am Sonntag bezog der so direkt angegriffene Parteivorsitzenden vor den 200 Delegierten bei dem Konvent Stellung: Ihre "politische Ehe" sei intakt, beteuert Gabriel.

Gabriel bemühte sich nach Kräften, bei dem letzten großen Parteitreffen vor der Bundestagswahl am 22. September den Konflikt zu entschärfen. Ihr Verhältnis sei "ziemlich lebendig, meistens fröhlich", sagte Gabriel.
"Es gibt zwischen uns keine Streitereien", versicherte er.

Gelegentlich gebe es im Wahlkampf Spannungen und Reibungen. "Reibung erzeugt Wärme", sagte Gabriel und betonte an Steinbrücks Adresse: Wenn der Kanzlerkandidat meint, er müsse den Parteivorsitzenden in den Senkel stellen, dann dürfe er das auch ruhig einmal tun.

Gabriel soll offen widersprochen haben

Bei dem Konvent standen inhaltlich unter anderem die Pläne für kostenlose Krippen- und Kitaplätze im Fokus. Die Beitragsfreiheit entlaste Eltern im Schnitt um bis zu 160 Euro pro Monat und 1900 Euro pro Jahr, betont die SPD. Dennoch war die Stimmung bei vielen Delegierten zu Beginn gedrückt, da der öffentlich ausgetragene Disput nicht gerade förderlich für den Wahlkampf sein dürfte.

In der besagten Fraktionssitzung am Dienstag ging es um die Haltung zu Vorschlägen der schwarz-gelben Bundesregierung für die Schaffung einer europäischen Bankenunion. Steinbrück warb für ein Ja, zehn Abgeordnete waren dagegen. Nach Angaben von Teilnehmern warb Gabriel für ein intensives Beschäftigen mit den Einwänden - besonders in der Frage, ob mit deutschen Steuergeld Banken gerettet werden können. Mitglieder der Fraktion berichteten zudem, dass Gabriel mehr Wahlkampfeinsatz gefordert habe.

Der Zeitpunkt ist denkbar schlecht gewählt

"Situationen wie am vergangenen Dienstag in der Fraktion dürfen sich nicht wiederholen", sagte Steinbrück nun dem "Spiegel". Der damit erstmals deutlich öffentlich ausgetragene Disput zwischen Kanzlerkandidat und Parteichef dürfte den Wahlkampf der SPD weiter belasten. Außerdem wird Gabriel ein schwieriges Verhältnis zu dem Bundestagsfraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier nachgesagt. Die drei bilden seit zwei Jahren die so genannte SPD-Troika.

Vor allem der Zeitpunkt der Auseinandersetzung ist bemerkenswert. 100 Tage vor dem Wahltermin ist ein denkbar ungünstiger Punkt für parteiinternen Zwist. Üblicherweise muss eine Partei in einer solchen Phase geschlossen auftreten. Noch an diesem Wochenende war in Analysen zu den sozialdemokratischen Chancen zu vernehmen, dass die Partei durchaus noch Aussichten auf ein achtbares Ergebnis habe, wenn sie denn ihre Stammwählerschaft mobilisieren könne - durch Entschlossenheit, Kampfkraft, Einigkeit.

"Nacht der langen Messer"

Was sich nun offenbart, ist das genaue Gegenteil. Welt.de schreibt bereits von einer bevorstehenden Nacht der langen Messer. Die Partei sei auf dem besten Wege, sich noch vor der Wahlniederlage gegenseitig den Garaus zu machen. Die Süddeutsche Zeitung wähnt den Gegner der SPD nun auch im Willy-Brandt-Haus. Und gibt diese Wahl für die SPD bereits verloren: "Merkels Schlafwagen-Strategie von 2009 scheint wieder aufzugehen."

Der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Ralf Stegner ermahnte Steinbrück und Gabriel zu Geschlossenheit im Wahlkampf. "Unser Gegner heißt Schwarz-Gelb", sagte Stegner der Deutschen Presse-Agentur. "Die Partei erwartet von der gesamten Führung, dass wir jetzt geschlossen und entschlossen den Kampf aufnehmen."

In Umfragen kommt die SPD derzeit nur auf 24 bis 27 Prozent - das würde derzeit nur für die Juniorrolle in der großen Koalition reichen. Steinbrück hat erklärt, dafür nicht zur Verfügung zu stehen.
Sein erklärtes Wahlziel ist ein Bündnis von SPD und Grünen.

(dpa/pst)
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