Gesundheitsminister Bahr im Interview "In der FDP ist es mir im Moment zu ruhig"

Berlin · Gesundheitsminister Daniel Bahr spricht im Interview mit unserer Redaktion über das Thema Impfung, die Finanzierung der Gesundheitskosten und seine zukünftige Rolle in der FDP. Nach welchen Kriterien sucht sich der Gesundheitsminister die Klinik aus, in der sein Kind zur Welt kommen soll?

Daniel Bahr: Ein Bergsteiger will hoch hinaus
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Gesundheitsminister Daniel Bahr spricht im Interview mit unserer Redaktion über das Thema Impfung, die Finanzierung der Gesundheitskosten und seine zukünftige Rolle in der FDP.

Nach welchen Kriterien sucht sich der Gesundheitsminister die Klinik aus, in der sein Kind zur Welt kommen soll?

Bahr Das wichtigste Kriterium ist, das meine Frau zufrieden ist und sich wohl fühlt. Zudem sollte es eine Klinik sein, die viel Erfahrung hat. Wir haben uns nach einem Besuch für die Klinik entschieden, wo wir eine gute und menschliche Betreuung vermuten.

Wie beurteilen Sie als werdender Vater die Gesundheitsversorgung von Kindern in Deutschland?

Bahr Das gesunde Aufwachsen von Kindern ist uns wichtig. Mit dem Präventionsgesetz werden wir mehr tun. Wir müssen in Deutschland dringend die Impfquote der Kinder erhöhen. Aktuell erhalten beispielsweise zu wenige Kinder beide Impfungen für einen wirksamen Masernschutz. Ziel sollte 95 Prozent sein. Nur dann ist Schutz voll wirksam.

Aber es gibt doch sehr viel Werbung und Aufklärung für Impfung...

Bahr Wir stellen fest, dass einige Eltern aus Verunsicherung ihre Kinder nicht impfen lassen. Sie befürchten Nebenwirkungen durch das Impfen. Dabei kommt es nur in äußerst seltenen Fällen zu Gesundheitsstörungen durch Impfungen. Diese sind aber immer weitaus seltener als die Komplikationen, die bei der Erkrankung auftreten können.

Zum Beispiel?

Bahr Wir könnten in Deutschland die Kinderkrankheit Masern eben viel effektiver zurückdrängen, wenn deutlich mehr Kinder geimpft würden. Skandinavien und die USA sind masernfrei, wir nicht. Das liegt an einer zu geringen Durchimpfungsrate.

Sollte es eine Impfpflicht geben?

Bahr Ich bin Liberaler. Ich bin ein großer Freund davon, dass der Erziehungsauftrag bei den Eltern bleibt. Ich will keinen Zwang zum Impfen, sondern überzeugen. Die wissenschaftliche Forschung ist soweit, dass alle Experten die Impfung gegen Masern und andere Krankheiten empfehlen.

Im Westen ist die Impfrate schlechter als im Osten. Manche Eltern veranstalten sogar Masernpartys, damit ihre Kinder die Krankheit durchleben...

Bahr Das ist verantwortungslos und grob fahrlässig. Masern können Hirnhautentzündungen und viele Folgeschäden verursachen. Es geht um kleine Kinder, die sich nicht wehren können. Die Gesundheit der Kinder ist ein Erziehungsauftrag der Eltern. Die Kinder sind darauf angewiesen, dass ihre Eltern kluge Entscheidungen für sie treffen. Wir werden unsere Aufklärungsarbeit noch weiter verstärken. Wir werden auch die Präsenz von Ärzten an Schulen erhöhen.

Was versprechen Sie sich von Ärzten in Schulen?

Bahr Mit Zahnärzten in Schulen haben wir große Erfolge gehabt und die Zahngesundheit der Kinder deutlich verbessert. Ich bin dafür, generell mehr Vorsorge in die Schulen zu tragen. Das heißt ja nicht, dass Eltern ihre Kinder nicht auch weiter zu den Ärzten bringen, denen sie vertrauen.

Erwarten Sie, dass das Präventionsgesetz messbare Gesundheitsverbesserungen der Bevölkerung bringt?

Bahr Wir werden eine ständige Präventionskonferenz beim Bundesgesundheitsministerium einrichten. Wir werden konkrete Ziele vereinbaren, an denen sich die Partner im Gesundheitswesen nach einem Jahr messen lassen sollen. Entscheidend ist, klare Ziele zu verfolgen: eine Reduzierung der Diabetes-Neuerkrankungen, eine Reduktion der Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Jeden Tag steigt die Zahl der Demenz-Kranken um 100. Muss man eine Vorsorge für Personen ab 65 Jahre einführen?

Bahr Bisher sind wir noch nicht soweit, dass wir, wie bei Darmkrebs zum Beispiel, Früherkennungsuntersuchungen haben, die wissenschaftlich als Vorsorge anerkannt sind. Aber dahin wollen wir kommen. Deswegen haben wir ja eine Allianz für Demenz mit der Alzheimergesellschaft gestartet: Lokale Netzwerke und Hausärzte sollen erste Anzeichen und erste Signale frühzeitig erkennen.

Werden Sie noch in dieser Legislaturperiode ein Konzept für einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff vorlegen?

Bahr Ich setze darauf, dass der Pflegebeirat uns bald sein Ergebnis vorlegen wird und wir bei dem Thema weiterkommen. Umsetzen können wir ein Konzept aber erst in der nächsten Legislaturperiode.

Wie viel teurer darf die Pflege durch eine Neudefinition des Begriffs denn werden?

Bahr Wir warten jetzt erstmal die Ergebnisse des Beirats ab. Aber wenn durch den neuen Pflegebegriff keiner schlechter gestellt werden soll, dann wird das nicht zum Nulltarif zu haben sein.

Also müssen die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen?

Bahr Die Pflegeversicherung ist bis ins Jahr 2017 solide finanziert, wenn es keine Leistungsausweitungen gibt. Aber wir wollen ja Verbesserungen schaffen und die kosten Geld. Über die Finqanzierung muss dann entschieden werden.

Wenn Sie Gesundheitsminister bleiben sollten, dann wird es in der nächsten Legislaturperiode eine Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs geben?

Bahr Ja. Ich will das fortsetzen, was wir begonnen haben. Wir wollen die Versorgung von Demenzkranken weiter verbessern.

Die SPD plant einen Wahlkampf gegen die Kopfpauschale.

Bahr Ich will keine Kopfpauschale. Ich merke nur, bei der SPD zündet nichts im Wahlkampf.

In einer neuen Legislaturperiode wird auch Schwarz-Gelb kein Modell auflegen, dass wie eine Kopfpauschale oder Gesundheitsprämie aussieht?

Bahr Wir haben die wichtige Entscheidung getroffen, dass die künftigen Gesundheitsausgaben nicht mehr automatisch die Arbeitskosten belasten. Daran halte ich fest. Deshalb halte ich es auch für richtig, dass die Zusatzbeiträge, die sozial ausgeglichen werden, weiterentwickelt werden. Auch damit die Versicherten vom Wettbewerb der Krankenkassen profitieren und in Euro und Cent vergleichen können.

Das heißt, jede weitere Kostensteigerung bei den gesetzlichen Krankenkassen wird über den Zusatzbeitrag finanziert werden.

Bahr So ist die Gesetzeslage, und die halte ich für richtig.

In der FDP gibt es keinen Machtkampf mehr. Trotzdem liegt die Partei bei nur vier Prozent.

Bahr In der FDP ist es mir ein bisschen zu ruhig im Moment. Wir müssen in die Offensive kommen. Wir müssen die Unterschiede zu Rot-Grün deutlicher machen. Auch zur Union werden Unterschiede erkennbar: Die FDP ist die einzige Partei, die für Geldwertstabilität, Leistungsgerechtigkeit und Entlastung steht. Wir sind die einzige Partei, die sich um die Mitte der Gesellschaft und die Bürgerrechte kümmert. Und da sollten wir ein bisschen mehr Tempo machen.

Ist der Spitzenkandidat Rainer Brüderle zu ruhig?

Bahr Nein. Der Spitzenkandidat ist sehr aktiv, der Bundesvorsitzende auch. Aber ich glaube, wir sollten jetzt unsere Schwerpunktthemen verdeutlichen.

Streben Sie wieder ein Parteiamt an?

Bahr Das steht derzeit ja nicht an. Ich bin Gesundheitsminister. Da kann ich viel bewegen.

Andreas Gruhn und Eva Quadbeck führten das Gespräch

(qua)
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