Bericht des Ostbeauftragten Im Osten wächst der Unmut

Berlin · Kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober wirft der Ostbeauftragte einen Blick auf die Gemütslage in Ost und West. Die Ergebnisse sind in Teilen erschreckend und weisen große Unterschiede aus. Doch es gibt auch positive Trends im Land.

 Der Ostbeauftragte Carsten Schneider (SPD) stellt den Bericht der Bundesregierung für Ostdeutschland 2022 mit dem Titel "Ostdeutschland. Ein neuer Blick." vor.

Der Ostbeauftragte Carsten Schneider (SPD) stellt den Bericht der Bundesregierung für Ostdeutschland 2022 mit dem Titel "Ostdeutschland. Ein neuer Blick." vor.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Ob sich der Ostbeauftragte Carsten Schneider seinen ersten Bericht zur Deutschen Einheit so vorgestellt hat? Schneider spricht jedenfalls oft von „wir“, wenn er vom Osten Deutschlands berichtet. Dort habe er die Erfahrungen gesammelt, von denen er heute als Ostbeauftragter der Bundesregierung erzählt. Es klingt beinahe schwärmerisch, wenn der SPD-Politiker von dem Gemeinschaftsgefühl spricht, dass die Bevölkerung in Ostdeutschland eine – auch wenn es große Unterschiede zwischen den Bundesländern gebe. Dennoch will der gebürtige Thüringer im Bericht „Ostdeutschland. Ein neuer Blick“, den er am Mittwoch in Berlin präsentiert, die Lage auch nicht beschönigen.

Denn: Nur noch gut ein Drittel (39 Prozent) der Ostdeutschen ist mit der Demokratie in Deutschland zufrieden. Das sind neun Prozentpunkte weniger als noch vor zwei Jahren (48 Prozent). Mit 59 Prozent ist die Zufriedenheit mit der Demokratie unter den Westdeutschen sehr viel höher. Doch auch hier sank laut Bericht die Zustimmung in den vergangenen zwei Jahren um sechs Prozentpunkte. Es sei ein „wirklich alarmierendes Signal“, betont Schneider, dass die Zustimmung zur Demokratie sowohl im Westen als auch im Osten zurückgehe.

Ebenfalls skeptisch bewerten viele die Meinungsfreiheit in Deutschland. Weniger als die Hälfte (43 Prozent) der Ost- und 58 Prozent der Westdeutschen vertreten den Standpunkt, dass man in Deutschland seine Meinung immer frei äußern kann, „ohne Ärger zu bekommen“. 2020 waren das noch 50 Prozent und 63 Prozent. Für die Umfragen wurden zwischen dem 26. Juli und 16. August gut 4000 Menschen in Ost und West befragt.

Leitautor Holger Liljeberg warnt davor, dass sich immer mehr Menschen in „eigene Informationsblasen“ zurückziehen würden, vielfach über soziale Medien gespeist. „Es besteht die große Gefahr, dass uns die Menschen in der Kommunikation verloren gehen“, sagt der Wissenschaftler. Verknüpft sei dies meistens mit einem geringen Vertrauen in die Regierenden, was häufig bei denselben Menschen bei unterschiedlichen Themen zum Ausdruck komme – ob es um Migration gehe, die Energiepolitik, den Ukraine-Krieg oder die Corona-Politik. So hat auch die Zufriedenheit mit der politischen Situation in Deutschland in Ost- und in Westdeutschland weiter abgenommen. Alles in allem sind nur noch 42 Prozent aller Befragten zufrieden. 2020 waren es noch 52 Prozent.

Noch immer bleiben auch Vermögens- und Einkommensverhältnisse in Ostdeutschland hinter denen im Westen zurück. „Wir haben immer noch große Unterschiede“, so der Staatsminister im Kanzleramt. Das betreffe insbesondere die Einkommenssituation. Nach wie vor gebe es eine Lohnlücke von durchschnittlich 619 Euro pro Monat. „Deswegen fühlen sich einige auch als Menschen zweiter Klasse“, ergänzt er.

Dazu komme die Abwanderung. „Deutschland wäre ohne Ostdeutschland und die Wiedervereinigung ein ärmeres Land. Nicht nur kulturell und menschlich, sondern auch wirtschaftlich“, sagt Schneider im Hinblick auf die zahlreichen Menschen, die Anfang der 90er Jahre Ostdeutschland verlassen haben, um eine Ausbildung oder einen Beruf im Westen aufzunehmen. Laut Schneider tragen diese Menschen dort heute zum Wohlstand bei.

Was sind seine Prognosen für den Herbst? Mit Blick auf sich immer stärker formierende Proteste gegen die Energiepolitik der Regierung betont Schneider: „Demonstrationen gehören zur Demokratie dazu“. Er verstehe diese Montagsdemonstrationen als Ventil für die Existenzangst der Menschen. Er fordert die Teilnehmer aber auf, sensibel dafür zu sein, „wem sie hinterherlaufen“.

Dennoch will Schneider nicht nur Negatives berichten: „Worum ich werbe, ist, dass wir von den Klischees zu Ostdeutschland wegkommen und die Veränderung in den vergangenen 32 Jahren, die dieses Land erlebt hat, in den Blick nehmen“, sagt der SPD-Politiker. Und es gibt auch etwas Positives: Eine deutliche Mehrheit der Befragten in Ost wie West sieht in der Deutschen Einheit nach wie vor einen Gewinn. Die damit verbundenen Hoffnungen hätten sich überwiegend erfüllt, sagt der Ostbeauftragte. Auch die Wahrnehmung, dass Ostdeutsche Menschen zweiter Klasse seien, nehme in beiden Landesteilen tendenziell weiter ab. Das wiederum ist eine gute Nachricht.

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