Vor 15 Jahren: Aus für Stasi Im Jahr 2805 ist die Stasi Vergangenheit

Berlin (rpo). Es wird noch hunderte Jahre dauern, um alle Schnipsel der zerrissenen Stasi-Akten mit der derzeitigen Technik und Methode wieder zusammenzufügen. Vor dem Jahr 2805 werden die 16.000 Säcke kaum bearbeitet sein. In mühevoller Handarbeit, mit Klebestreifen und Bügeleisen, versuchen Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde seit Jahren, die Zeugnisse der Geschichte zu rekonstruieren.

Vor 15 Jahren besetzten Bürgerrechtler die Ost-Berliner Stasi-Zentrale in der Normannenstraße und verhinderten damit die vollständige Vernichtung der Akten von Erich Mielkes Spitzelapparat. Am 15. Januar 1990 war damit auch das Schicksal des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) besiegelt: Es wurde vollständig aufgelöst. Der "Sturm auf die Normannenstraße" brachte das erste Mal weltweit einen Geheimdienst friedlich zu Fall.

"Das war die Geburtsstunde unserer Arbeit", fasst die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, die Bedeutung dieses Tages zusammen. Bei einem Rundgang durch den äußerlich gesichtslosen Plattenbaukomplex in der Normannenstraße konnte sich am Samstag auch Kulturstaatsministerin Christina Weiss ein Bild von der Notwendigkeit und der noch lange nicht beendeten Aufarbeitung der Spionagetätigkeit des ehemaligen MfS machen.

"Mein Besuch ist eine Verbeugung vor den Leistungen derjenigen, die vor 15 Jahren dafür gesorgt haben, dass die Akten nicht vollständig vernichtet werden", sagt Weiss sichtlich bewegt. Seit Jahresbeginn ist sie für die Stasi-Unterlagen-Behörde zuständig. Eine Entscheidung, die für viele überraschend kam und vor allem bei Bürgerverbänden Ängste auslöste. Sie befürchteten, die Aufarbeitung des Stasi-Repressionsapparates würde an Bedeutung verlieren. So war der Besuch von Weiss denn auch ein Stück Vertrauensarbeit und erste Kontaktaufnahme mit Behördenmitarbeitern, Bürgerkomitees und Opferverbänden.

80 Kilometer Akten lagern im Archiv

"Der Hauptzweck unserer Arbeit ist nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft", umschreibt Birthler die Reichweite der Aktenrekonstruktion. Jährlich werden immer noch 94.000 Anträge auf Einsicht in Stasi-Unterlagen gestellt. Hinzu kommt ein wissenschaftliches Interesse, das 15 Jahre nach der Wende wieder neu aufzukeimen scheint. In dem grauen Gebäude im Berliner Stadtteil Lichtenberg ist auch das Stasi-Archiv untergebracht, sozusagen das Herz der Behörde. Insgesamt 17,5 Millionen Karteikarten für personenbezogene Recherchen befinden sich hier. Auf einer Länge von rund 80 Kilometern stapeln sich fein säuberlich beschriftete Akten. Sie sind nicht nur historisches Zeugnis von Bespitzelung und Demütigung, sondern zeigen oftmals auch den Mut und die Courage vieler DDR-Bürger, wie Birthler nicht müde wird zu betonen. "Die Stasi-Akten sind nichts, wofür sich die Ostdeutschen zu schämen brauchen", stellt sie klar.

Einen neuen Schub erhielt die Aufarbeitung in der Behörde durch die "Rosenholz"-Dateien. Oft mythisch verklärt, handelt es sich dabei um größtenteils mikroverfilmte Karteien der Hauptverwaltung Aufklärung mit etwa 280.000 Personendaten. Die Dateien wurden bis 1988 erstellt und bieten damit einen relativ jungen und komplexen Überblick über die Tätigkeit von Mielkes Spitzelnetz. Seit Sommer 2003 sind sie freigegeben. Bis zum heutigen Tag sind fast alle Daten entschlüsselt und für die Aufarbeitung verwendbar.

Die geschätzte Zahl der "informellen Mitarbeiter" lag in der Zeit des SED-Regimes bei den DDR-Bürgern bei 20.000 und bei den Bundesbürgern bei 6.000. Beim Zusammenbruch der DDR war aber nur noch ein geringer Teil von ihnen aktiv für das MfS tätig. Insgesamt hatte die DDR aber das dichteste Spitzelnetz im gesamten Ostblock aufgebaut.

(ap)
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