Deutschland und Frankreich feiern ihre Freundschaft Im Geiste einer leidenschaftlichen Vernunft

Berlin · Es sind die kleinen Gesten, die diesen Tag im Parlament zu einem besonderen machen. Es sind die persönlichen Worte, die von der gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Assemblée Nationale zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages den meisten Beifall bekommen. Gregor Gysi hielt indes die amüsanteste Rede.

 Gregor Gysi im Gespräch mit François Hollande.

Gregor Gysi im Gespräch mit François Hollande.

Foto: dapd, Michael Gottschalk

Schon eine halbe Stunde vor Beginn stecken auf der Regierungsbank Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und ihre französische Amtskollegin Christiane Taubira die Köpfe zusammen. Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) sind ins Gespräch mit ihren französischen Pendants vertieft.

Reges Treiben im Plenarsaal

Kurz nach 14 Uhr herrscht im Plenarsaal reges Treiben - die üblichen blauen Sessel sind schmaleren schwarzen Stühlen gewichen, es ist fast so voll im Herz des Reichstagsgebäudes wie bei der Wahl eines Bundespräsidenten. Mehr als 1.100 Abgeordnete der beiden Nachbarländer strömen zur gemeinsamen Sitzung, an deren Ende in einer Erklärung die mit dem Élysée-Vertrag vor 50 Jahren begründete Freundschaft - dem Höhepunkt in einem an Höhepunkten alles andere als armen Programm zur Feier der deutsch-französischen Freundschaft.

Es gibt keine vorgeschriebene Sitzordnung - so nimmt Linken-Chefin Katja Kipping im angestammten Areal der Unions-Fraktion Platz, unmittelbar vom konservativen Urgestein der CSU, Norbert Geis. Rösler erlebt die historische Sitzung auf dem Platz der Kanzlerin.

Mit dem üblichen Parlamentsgong um 14.16 Uhr verstummen die Gespräche. Lammert und sein Amtskollege Claude Bartolone schreiten als erste an der Bundesratsbank vorbei in den Plenarsaal, gefolgt von Bundespräsident Joachim Gauck und Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt in der ersten Reihe neben ihrem neuen Duz-Freund François Platz.

Es ist an Lammert, die etwas steife Stimmung im Plenum aufzulockern. In jeder langjährigen Beziehung gebe es Phasen der Leidenschaft und Vernunft, sagt der CDU-Politiker. Im Augenblick befänden sich beide Länder eher in einer "Phase der leidenschaftlichen Vernunft" als in einer Phase der "romantischen Verliebtheit". Dies müsse aber kein Nachteil sein. Das Eis ist gebrochen.

"Für Small-Talk reicht mein Französisch"

Das spiegelt sich auch in einigen Twittereinträgen wieder. Die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz etwa teilt via Kurznachrichtendienst mit, den kleinen, schwarzen Übersetzungsempfänger mit ihrer "Sitznachbarin aus Avignon" zu teilen. "Für Small-Talk reicht mein Französisch", fügt sie hinzu.

Über ausreichende Französisch-Kenntnisse in den Reihen der Bundesregierung scheinen neben von der Leyen auch Vizekanzler Rösler und Umweltminister Peter Altmaier (CDU) zu verfügen - jedenfalls verzichten sie bei Redebeiträgen französischer Abgeordneter auf die Simultanübersetzung per Kopfhörer. Die französischen Sprachkenntnisse von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gelten ohnehin als sehr gut.

Hollande auf Abwegen

Inzwischen ist Hollande mit seiner Rede an der Reihe. Zielstrebig geht er zum erhöhten Platz der Sitzungsleitung - die aber dem Parlamentspräsidenten vorbehalten ist. Unter dem freundlichen Applaus im Hohen Haus gelangt er schließlich ans richtige Rednerpult. Statt der vorgesehenen Viertelstunde spricht Hollande fast doppelt so lang. Lammert, der sonst streng über die Redezeit der Abgeordneten vor ihm wacht, lässt ihn gelassen gewähren.

Hollande erinnert an den Auftritt eines anderen französischen Sozialisten vor dem Bundestag am 20. Januar 1983. Zum 20. Jahrestag des Élysée-Vertrages hieß Präsident François Mitterrand, damals noch in Bonn, die Entscheidung der Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gut, amerikanische Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik zu stationieren, wenn die Sowjetunion ihre auf Westeuropa gerichteten SS-20-Raketen nicht abbaute.

30 Jahre später steht die Feier unter dem Schatten der Euro-Krise. Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit schlägt der Präsident vor, einen Teil der Einnahmen aus der neuen Transaktionssteuer zu verwenden. Dafür erntet er über alle Fraktionsgrenzen hinweg Beifall. Auch der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker und die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth signalisieren auf der Ehrentribüne Zustimmung.

Merkel erinnert an Mitterrand und Kohl in Verdun

Merkel betont, die deutsch-französische Freundschaft sei "von überragender Bedeutung für ganz Europa". Auch sie erinnert an Kohl und Mitterrand. "Unvergessen" bleibe ihre Begegnung "auf den Schlachtfeldern von Verdun". Die Kanzlerin bekennt, dass Deutschland beim französischen Militäreinsatz in Mali an der Seite des Nachbarlandes stehe. Hollande bedankt sich mit Küsschen auf die rechte und die linke Wange der Kanzlerin für ihre Worte.

Die staatstragenden Reden Hollandes und Merkels scheinen einige Abgeordnete ermüdet zu haben. Schäuble stützt seinen Kopf auf, FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle ist nicht die einzige, der ein Gähnen zu unterdrücken versucht.

Erhöhte Aufmerksamkeit kann SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier für sich verbuchen, als er von seiner erste Reise an die Côte d'Azur als junger Mann erzählt. Damals habe er bei "Baguette, Käse und Wein" und angeregten Gesprächen mit jungen Franzosen Europa kennengelernt. Allerdings sei damals sein Französisch besser gewesen.

Gysi: Deutsche können Frühstück, Franzosen Protest

Zu herzhaftem Lachen verleitet Merkel, Hollande und die Parlamentarier erst wieder Linksfraktionschef Gregor Gysi als einer der letzten Redner des Tages. "Ein Croissant, ein Klacks Butter, ein Klacks Marmelade - wir Deutschen haben das bessere Frühstück", sagt der Linken-Politiker. Dafür könnten die Franzosen besser protestieren. Die Länder könnten also noch viel voneinander lernen, schlussfolgert Gysi und: "Wir wollen Gleichberechtigung."

Eine gute Viertelstunde später als geplant gibt Lammert schnörkellos die Verabschiedung einer gemeinsamen Erklärung beider Parlamente bekannt. Darin werde der ausdrückliche Wille bekundet, in parlamentarischer Zusammenarbeit die deutsch-französische Freundschaft weiterzutragen und zu fördern. Nach beiden Nationalhymnen verlassen die Politiker rasch den Saal, in der Berliner Philharmonie erwartet schon wenig später der Bundespräsident die Gäste zu einem Konzert.

(APD/csi)
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