Schlechte Bilanz der neuen IGLU-Schulstudie Deutsche Grundschüler lesen immer schlechter

Berlin · 25 Prozent der Viertklässler in Deutschland erfüllen beim Lesen nicht die Mindeststandards. Das geht aus einer aktuellen internationalen Schul-Studie hervor. Schuld seien neben Schulschließungen auch soziale Ungleichheiten.

Lesetraining im Grundschulunterricht: Laut IGLU-Studie 2021 kommt das an deutschen Schulen noch zu kurz.

Lesetraining im Grundschulunterricht: Laut IGLU-Studie 2021 kommt das an deutschen Schulen noch zu kurz.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

„Alarmierend“ und „ernüchternd“ – so bezeichnen Bildungsministerium und Kultusministerkonferenz die Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2021. Bei der Vorstellung am Dienstag in Berlin kam heraus: Das Leseniveau deutscher Viertklässler lässt stark zu wünschen übrig. Seit der letzten Erhebung im Jahr 2016 habe sich deren Leseleistung signifikant verschlechtert, hieß es. Deutschland liege im internationalen Vergleich lediglich im Mittelfeld.

Insgesamt 65 Staaten und Regionen beteiligten sich an der IGLU-Studie, die alle fünf Jahre Auskunft über das Leseverständnis und die Lesegewohnheiten der Schüler geben soll. Demzufolge erreicht jeder vierte Viertklässler in Deutschland nicht den Standard für eine Lesekompetenz, die für einen erfolgreichen Übergang zum Lernen notwendig sei. Auch der Anteil der leistungsstarken Schüler sei in den vergangenen fünf Jahren gesunken – von 11,1 auf nur noch 8,3 Prozent.

Im Fokus der Ergebnisse stehen soziale Ungleichheiten. Aus den Auswertungen geht hervor, dass Schüler aus sozioökonomisch benachteiligten Familien nach wie vor starke Rückstände in ihrer Lesekompetenz aufweisen. Das gelte ebenso für Kinder, die zu Hause nur selten oder nie Deutsch sprechen. Auch die Entscheidung, welche weiterführende Schule Lehrkräfte und Eltern nach der vierten Klasse empfehlen, stehe in engem Zusammenhang mit der sozialen Herkunft des Kindes. „In 20 Jahren hat sich in Hinsicht auf Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit praktisch nichts verändert“, heißt es in der Studie.

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) reagierte besorgt. „Die IGLU-Studie zeigt, dass wir dringend eine bildungspolitische Trendwende benötigen, damit es mit den Leistungen unserer Kinder und Jugendlichen wieder bergauf geht“, sagte sie. „Gut lesen zu können, ist eine der wichtigsten Grundkompetenzen und das Fundament für Bildungserfolg.“ Es sei daher alarmierend, wenn ein Viertel der Viertklässler beim Lesen als leistungsschwach gelte.

Politik und Forschung sehen die schwache Lesekompetenz der Grundschüler unter anderem in der unzureichenden Lesezeit im Unterricht begründet. Lediglich 141 Minuten – also nicht einmal zweieinhalb Stunden pro Woche – würden an deutschen Schulen mit aktiver Lesezeit verbracht. EU-weit sind es im Schnitt 194 Minuten – auch hier hängt Deutschland also hinterher. Zudem sollen sich Schulschließungen während der Corona-Pandemie in den Jahren 200 bis 2022 negativ auf die Leistung der Schüler ausgewirkt haben. Insgesamt 183 Tage lang seien Schulen ganz oder teilweise geschlossen gewesen, so Sabine Döring, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Trotz der ernüchternden Ergebnisse zeigen sich die Viertklässler im Mittel zufrieden mit ihren Schulen. Ihre Lesemotivation sei weiterhin hoch. Aber: „Mehr als 20 Prozent der Kinder in dem Alter sagen, dass sie in ihrer Freizeit nie oder sehr selten lesen“, sagte Bildungsforscherin Nele McElvany von der Technischen Universität Dortmund, die die Studie in Deutschland durchführte. Als spannendes Beispiel gehe Singapur vorweg. Der Inselstaat habe vor einigen Jahren eine frühe Testung von Kindern eingeführt, um diese gezielt zu fördern. Obwohl Singapur 2001 im Ergebnis noch hinter Deutschland gelegen habe, habe das Land nun einen deutlichen Leistungsvorsprung.

Das neu auf den Weg gebrachte Startchancen-Programm des Bundes soll das nun wettmachen und zukünftig den Weg für eine Verbesserung der Leseleistung ebnen. Im März einigten sich Bund und Länder auf jährlich eine Milliarde Euro, die ab 2024 an die Bundesländer fließen soll. Laut Döring sei das „in der aktuellen Situation des Haushalts“ eine „ganze Menge“. Über mindestens zehn Jahre sollen so etwa 4000 Schulen mit einem besonders hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler von Fördermaßnahmen profitieren. Im Fokus sollen Grundschulen sowie die Kernkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen stehen.

„In familienpolitischer Hinsicht muss einiges getan werden, das kann nicht allein im bildungspolitischen Bereich geschafft werden“, sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und Berliner Bildungssenatorin, Katharina Günther-Wünsch (CDU), in Berlin. Auch der frühkindliche Bereich habe einen Auftrag. In ihrem Bundesland seien hierzu bereits Projekte gut angelaufen, die nun auch in anderen Bundesländern getestet werden könnten. Trotz Bildungsmilliarde und weiterer Initiativen könne jedoch nicht mit einem schnellen Erfolg gerechnet werden. „Bildung passiert leider nicht über Nacht.“ Veränderungen werde man im kommenden Jahr noch nicht sehen. Die nächste Erhebung im Rahmen der IGLU-Studie findet im Jahr 2026 statt.

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