Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes „Wir werden uns dafür einsetzen, dass dieser Entwurf nicht zum Gesetz wird“

Interview | Berlin · Die Diskussion um prekäre Zustände im deutschen Wissenschaftssystem hat auch auf Twitter große Wellen geschlagen. Unter dem Hashtag „IchbinHanna“ haben Wissenschaftler ihre persönlichen Erfahrungen geteilt. Jetzt äußert sich die Mitinitiatorin der Kampagne, Amrei Bahr, zur geplanten Reform des Gesetzes, welche laut Bildungsministerium ihre Situation verbessern soll.

Amrei Bahr ist promovierte Philosophin und arbeitet als Juniorprofessorin an der Universität Stuttgart.

Amrei Bahr ist promovierte Philosophin und arbeitet als Juniorprofessorin an der Universität Stuttgart.

Foto: Jonas Kaufhold

Das Bildungsministerium will mit der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes mehr Verlässlichkeit, Planbarkeit und Transparenz schaffen. Ist dem Ministerium das mit den Änderungen Ihrer Meinung nach gelungen?

Bahr Nein, das ist absolut nicht gelungen. Diese Änderung wird sogar dazu führen, dass sich die Situation für die Personen nach der Promotion noch weiter verschärft. Momentan haben sie sechs Jahre nach der Promotion und müssen in der Zeit schauen, dass sie eine unbefristete Beschäftigung bekommen. Jetzt wurde diese Zeit auf vier Jahre verkürzt, in denen man befristet beschäftigt sein kann. Weitere zwei Jahre befristete Beschäftigung sind nur mit einer Anschlusszusage für eine unbefristete Beschäftigung möglich. Dass von dieser Option Gebrauch gemacht wird, ist aber keineswegs sicher. Die Arbeitgeber werden die Wissenschaftler voraussichtlich maximal vier Jahre befristen und dann einfach wieder auswechseln können. Das machen sie schon jetzt nach sechs Jahren und das wird auch so weiter gehen. Insofern sehe ich da keine Verbesserung, sondern mehr Druck für Postdocs.

Was hätte sich am Wissenschaftszeitvertragsgesetz denn ändern müssen, damit sich die Situation der Postdocs wirklich verbessert?

Bahr Wenn man überhaupt noch ohne Anschlusszusage in der Postdoc-Phase befristen möchte, dann muss diese Befristung sehr kurz sein, maximal zwei Jahre. Damit ist klar, dass in der Zeit keine größeren Projekte abgeschlossen werden können und dass danach eine weitere Beschäftigung mit Anschlusszusage erforderlich ist. Ein echter Anreiz für das Gewähren der Anschlusszusage, die als solche auch ein Teil unserer Forderungen war. Insofern ist es gut, dass sie im Referentenentwurf enthalten ist. Doch man muss auch sicherstellen, dass sie gewährt wird. Ein weiteres Instrument, für das wir uns einsetzen, ist die Befristungshöchstquote, um die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse zu limitieren. Das wäre ein großer Gewinn, der wirklich etwas verändern würde. So eine Höchstquote ist aber bislang nicht geplant.

Glauben Sie, dass es nach diesen Vorschlägen zu weiteren Aufstandsbewegungen wie Ihrer Twitter-Kampagne #IchbinHanna kommen wird?

Bahr Bei allem Frust über diesen Entwurf muss man dazu sagen, dass es ein reiner FDP-Vorschlag ist. Die Bundesregierung hat versucht, einen gemeinsamen Entwurf zu machen. Auch die anderen Ampel-Fraktionen waren an dem Gespräch beteiligt und haben diesem Vorschlag explizit nicht zugestimmt. Das heißt, wir sind in einer Situation, in der wir die SPD und die Grünen auf unserer Seite haben, die diesen Entwurf nicht mittragen. Wir bleiben laut und werden uns weiterhin für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb starkmachen. Dass das sehr erfolgreich funktioniert, sieht man an den Entwicklungen der letzten zwei Jahre. Die Kampagne #IchbinHanna läuft sehr gut und wird breit rezipiert. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Gesetzgebungsverfahren noch etwas drehen können. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn das Bildungsministerium die Einsichten der Debatte aus den letzten zwei Jahren berücksichtigen würde, anstatt im Alleingang etwas vorzulegen, was keinerlei Verbesserung oder Problemlösung erkennen lässt. Aber wir werden uns dafür einsetzen, dass dieser Entwurf nicht zum Gesetz wird.

Welche Folgen hätte es, wenn dieser Entwurf zum Gesetz wird?

Bahr Das wäre nicht nur für die Beschäftigten fatal, für die die Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft noch unattraktiver wären. Auch für den Wissenschaftsstandort selbst hätte dieser Entwurf schwerwiegende Folgen. Es kann nicht im Sinne des Landes sein, durch miserable Arbeitsbedingungen und eine permanente Personalrotation immer wieder Experten und ihre Expertise zu verlieren. Das wäre für die Wissenschaft und damit für die ganze Gesellschaft fatal, weil wir letztlich über Forschung und Lehre einen wichtigen Beitrag leisten, um gesellschaftliche Herausforderungen und Krisen zu bewältigen. Der vorgelegte Entwurf ist deshalb so nicht haltbar und sollte dringend überdacht werden.

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