Kommentar zu Seehofer in der Kritik Lupenreiner Demokrat?

Meinung | Berlin · Horst Seehofer ist Innenminister und damit auch für das Hüten der Verfassung zuständig. Mit seinen Äußerungen, dass man Gesetze kompliziert machen müsse, um sie durchsetzen zu können, offenbart er einen erschreckenden Mangel an Demokratieverständnis.

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Foto: dpa/Christoph Soeder

Seehofer zerstört damit weiteres Vertrauen in die Politik im Allgemeinen und in das demokratische Gesetzgebungsverfahren im Speziellen. Besonders schwer wiegt ein weiterer Satz, den er – ausgerechnet – bei einer Veranstaltung zur „wehrhaften Demokratie“ sagte: Auch Notwendiges werde ja oft „unzulässig in Frage“ gestellt. Wie bitte? Was soll unzulässig daran sein, wenn an Gesetzentwürfen der Bundesregierung Kritik geübt wird und die Vorhaben der Regierenden in Frage gestellt werden? Das ist nicht nur zulässig, sondern sogar ein existenziell wichtiger Bestandteil einer Demokratie.

Seehofer muss sich dazu erklären. Ansonsten bleibt der verheerende Eindruck, dass man es in diesem Land mit einem Verfassungsminister zu tun hat, der auf wesentliche Teile unseres Grundgesetzes und unserer Demokratie pfeift. Die schmalen Sätze, er habe es „leicht ironisch“ formuliert, reichen da nicht aus.

Sicher, Taktiken und Tricks gibt es im Gesetzgebungsverfahren zu hauf. Es ist gelebte Praxis, dass Ministerien mit ihren Gesetzentwürfen versuchen, den Koalitionspartner übers Ohr zu hauen. Komplizierte Formulierungen sollen umstrittene Positionen verschleiern, die Grenzen von Koalitionsverträgen werden regelmäßig ausgetestet, von beiden Seiten, in allen Regierungen. Hinzu kommen Taktiken, wie möglichst kurze Fristen in einer Ressortabstimmung anzusetzen oder die Befassung des Parlaments zu einem für die Regierung günstigen Zeitpunkt zu planen. Fast schon legendär ist ja, wie Bundestag und Bundesrat 2006 die Mehrwertsteuererhöhung der schwarz-roten Bundesregierung beschlossen, während vor der Tür die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land stattfand und die Menschen im Sommermärchen-Taumel waren. Doch Seehofers Unverfrorenheit – ironisch formuliert oder nicht – ist ein anderer Fall. Und es ist tatsächlich bemerkenswert, mit welcher Treffsicherheit führende Unionspolitiker derzeit einen Shitstorm nach dem anderen auslösen.

Dieser neue Fall könnte gar dazu führen, dass wichtige Sozialdemokraten in einer Kabinettsumbildung, die wegen des Fortgangs von Justizministerin Katarina Barley (SPD) ohnehin ansteht, auf einen Rausschmiss Seehofers drängen. Denn die Äußerung Seehofers könnte die ohnehin explosive Lage in der SPD, nicht nur beim innerparteilichen Streit in Sachen Migrationspaket, zur Entladung bringen. So oder so bietet das neues Futter für die No-Groko-Bewegung in der SPD. Und die Koalition taumelt zunehmend.

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