Kommentar Der Fall Maaßen hat das Potenzial für eine Regierungskrise

Berlin · In normalen Zeiten wäre das Festhalten des Innenministers an seinem Verfassungsschutzchef das Ende einer kurzen Debatte. Jetzt hat es das Zeug, zum Anfang einer großen Krise zu werden.

 Hans-Georg Maaßen (links) mit seinem Vorgesetzten, Innenminister Horst Seehofer, in der Sondersitzung des Bundestags-Innenausschusses.

Hans-Georg Maaßen (links) mit seinem Vorgesetzten, Innenminister Horst Seehofer, in der Sondersitzung des Bundestags-Innenausschusses.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Er will es nur gut gemeint haben. Hans-Georg Maaßen sah, was Medien und Linke aus 19 Video-Sekunden aus Chemnitz machten und stellte gerne seine nachrichtendienstliche Analyse-Expertise zur Verfügung: Die Überschrift „Menschenjagd“ hätten möglicherweise Antifa-Aktivisten hinzugefügt, um eine Debatte in ihrem Sinne in Gang zu bringen. Inhaltlich bleibe das Video den Beweis schuldig. Und Hetzjagden, geschweige denn Pogrome, habe es nach allen Erkenntnissen seiner und anderer Behörden nicht gegeben. Punkt, aus, nächstes Thema.

Doch die Zeiten sind nicht so, dass ein Verfassungsschutzchef solche Feststellungen unabhängig von der politischen Großwetterlage treffen und darauf setzen könnte, eine Debatte zu drehen. Angriffe auf Ausländer, auf Journalisten, auf Polizisten hat es nicht nur vereinzelt gegeben. Massive Gewaltfantasien mit rassistischen und antisemitischen Motiven genauso. In dieser Situation nur eine semantische Hetzjagd-Eskalation in Abrede zu stellen und nicht gleichzeitig eine faktische Rechtsextremismus-Eskalation zu bestätigen, muss dazu führen, dass der Verfassungsschutz als tendenziös und auf dem rechten Auge blind wahrgenommen wird.

Schon von dieser inhaltlichen Seite her betrachtet wird die Angelegenheit „Maaßen“ kaum mit einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums und einer des Innenausschusses mit nachfolgender Bewertung des Innenministers zu erledigen sein. Hinzu kommt die aktuelle Machtkonstellation. Die SPD ist tief verunsichert. Und wie sie gerade in Bayern in den Umfragen von Platz zwei auf Platz vier nach unten durchgereicht wird, muss die innerparteilichen Gegner der großen Koalition im Bund wieder auf den Plan rufen. Prompt machen sie „Maaßen“ zum neuen Lackmustest für die Durchsetzungsfähigkeit der SPD in diesem ungeliebten Bündnis.

Das könnte eine einige Union noch einigermaßen handhaben. Doch zwischen CDU und CSU gibt es nur einen brüchigen Burgfrieden, der erkennbar lediglich bis zur Bayernwahl in einem Monat nicht angetastet werden soll. Doch haben sich ausgerechnet der Innenminister und CSU-Parteichef Horst Seehofer und die Kanzlerin und CDU-Parteichefin Angela Merkel in der Wortwahl „Hetzjagd“ von Anfang an gegeneinander positioniert. So wird der Umgang mit Maaßen auch zum Machtkampf zwischen Merkel und Seehofer. Diese belauern sich mehr, als dass sie sich vertrauen.

An Maaßen entscheidet sich nicht automatisch das Schicksal der Koalition. Sie kann mit oder ohne ihn bestehen oder zerreißen. Aber wer einen Vorwand sucht, um ein Bündnis zum Platzen zu bringen, der hat mit Maaßen einen formbaren gefunden. Neue Hinweise auf AfD-Kontakte Maaßens brachten bei der SPD das Fass sofort zum Überlaufen, ohne abzuwarten, was Maaßen dazu selbst zu sagen hatte, etwa, dass es sich um Informationen handelte, die er jedem anderen Abgeordneten auch gegeben hätte.

Dass es die drei Parteichefs in anderthalbstündiger Krisensitzung im Kanzleramt nicht schafften, dieses Problem aus der Welt zu schaffen und sich auf Dienst vertagten, macht deutlich, wie festgefahren diese Koalition ist, wie leicht sich Probleme zu Konflikten und diese zu Krisen entwickeln können. Das ist eine schlechte Nachricht für das Zusammenstehen der Parteien der Mitte gegen die Herausforderungen von den Rändern. Eine deutliche Atempause gäbe es durch Maaßens Rücktritt. Das hat er als Hüter der Stabilität nun mit zu bewerten.

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