Regierung unter Druck Es bleibt teuer – kommen weitere Entlastungen für die Bürger?

Berlin/Düsseldorf/Essen · Die Inflation ist weiter hoch, Preise für Lebensmittel und Energie belasten die Verbraucher. Wie reagiert die Politik? Bundesfinanzminister Lindner bremst, doch andere in der Ampel-Koalition sprechen sich für weitere Entlastungen aus. Aus der SPD kommt ein radikaler Vorschlag. Ein Überblick.

Zapfpistolen an einer Tankstelle in Hamburg (Symbolfoto).

Zapfpistolen an einer Tankstelle in Hamburg (Symbolfoto).

Foto: dpa/Daniel Reinhardt

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat Hoffnungen auf schnelle weitere Entlastungen von Bürgern und Unternehmen angesichts der hohen Inflation gedämpft. Er habe gelesen, dass die Koalition noch vor der Sommerpause darüber entscheiden wolle, sagte der FDP-Vorsitzende dem Nachrichtenportal t-online. „Es gibt aber finanziell und rechtlich wenig Spielraum dafür, wenn wir nicht woanders sparen. Das muss bei allen Vorschlägen mit bedacht werden.“

Weitere Entlastungen hatten jüngst SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ins Spiel gebracht. Insbesondere die Mitte der Gesellschaft brauche diese wegen steigender Energie- und Nahrungsmittelpreise, sagte Mützenich ebenfalls t-online. Özdemir argumentierte in der „Welt am Sonntag“ ähnlich: „Nach dem Entlastungspaket ist vor dem Entlastungspaket.“

Lindner riet jetzt dazu, erst einmal die bisherigen Maßnahmen wirken zu lassen. So sei eine vierköpfige Familie beispielsweise gerade mit teilweise über 1000 Euro entlastet worden. „Für das kommende Jahr dann empfehle ich neue Maßnahmen. Die Mitte unseres Landes hat eine steuerliche Entlastung verdient, vor allem die kleinen und mittleren Einkommen. Angesichts der hohen Inflation müssen wir vor allem kalte Progression verhindern.“

Der Finanzminister zeigte sich auch reserviert hinsichtlich einer Ausweitung der Energiepreispauschale von 300 Euro auf Rentnerinnen und Rentner. „Im Bundeshaushalt 2022 gibt es keine Reserven“, betonte er. „An den Freien Demokraten scheitert eine Entlastung nie. Aber zugleich ist der Bund an seiner finanziellen Grenze angekommen.“ Die Energiepreispauschale für Rentner würde Bund und Länder 5,3 Milliarden Euro kosten.

Dass Rentnerinnen und Rentner ebenso wie Studentinnen und Studenten die Energiepreispauschale nicht erhalten, hatte erhebliche Kritik unter anderem der Sozialverbände ausgelöst. Der Finanzminister wies bei t-online darauf hin, dass das Konzept für die Pauschale von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) stamme.

Auch IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hat seine Forderung nach weiteren staatlichen Entlastungen bekräftigt. „Die Tarifpolitik wird nicht alleine einen Ausgleich für 2022 und 2023 leisten können“, sagte der Chef der größten deutschen Einzelgewerkschaft den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft (Samstag). „Die explodierenden Energiepreise schlagen erst im nächsten Jahr voll durch.“ Und weiter: „Wir müssen uns über ein drittes Entlastungspaket für 2023 unterhalten.“ Dazu gehöre wie in diesem Jahr eine Energieprämie von 300 Euro für Erwachsene und 100 Euro für Kinder, so der IG-Metall-Chef.

Anpassungen beim Wohngeld gefordert

Druck hinsichts neuer Entlastungen kommt angesichts hoher erwarteter Nachzahlungen bei den Nebenkostenabrechnungen auch von Mieter- und Vermietervertretern. „Das Wohngeld muss grundlegend reformiert werden“, sagte Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (Samstag). „Derzeit erreicht es nur weniger als eine Million Empfänger, der Großteil davon sind Rentner.“

Der Mietervertreter forderte Rechtsansprüche beim Wohngeld, die die Unterstützung in Notsituationen klarer regeln: „Einmalzuschüsse bringen auf Dauer keine Entspannung.“ Siebenkotten empfahl Mietern, zwei Monatsmieten für die Nebenkostenabrechnung bereitzuhalten. Mieter und Vermieter sollten zudem die Vorauszahlungen anpassen.

Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes der Immobilien- und Wohnungswirtschaft GdW, forderte im Gespräch mit den Zeitungen, die Regelsätze der Kosten der Unterkunft und das Wohngeld „dringend an die horrenden Betriebskostensteigerungen“ anzupassen. Der Präsident des Eigentümerverbandes Haus und Grund, Kai Warnecke, drang auf eine Abschaffung des CO2-Preises fürs Heizen.

„Minister Habeck muss jetzt Druck machen“

Während eine Anpassung beim Wohngeld mittel- bis langfristige Effekte hätte, geht es in der Debatte um hohe Verbraucherkosten ganz kurzfristig auch um die hohen Spritpreise. Vertreter von CDU und FDP haben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nun aufgefordert, gegen die Öl-Konzerne vorzugehen. „Der milliardenschwere Tankrabatt versickert und die Ampel schaut zu“, sagte der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn (CDU) der „Bild“ vom Samstag. „Die Ölmultis zum Rapport bestellen ist das Mindeste, was Wirtschaftsminister Habeck tun kann.“

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Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr sagte, es müsse vermieden werden, dass die Mineralölwirtschaft den Tankrabatt nicht vollständig an die Kunden weitergebe. „Minister Habeck muss jetzt Druck machen und gemeinsam mit dem Bundeskartellamt dafür sorgen, dass die Entlastung greift“, sagte er der „Bild“.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) schloss Änderungen oder eine Abschaffung des Tankrabatts aus. Der Rabatt sei per Gesetzgebungsverfahren eingeführt worden. „Jetzt kann man nicht hergehen und kann sagen, wir ändern das jetzt kurzfristig“, sagte Wissing im „Interview der Woche“ mit dem Deutschlandfunk laut Vorabmeldung. Das Bundeskartellamt sei in der Pflicht, etwaige Gewinnmitnahmen zu prüfen.

Esken schließt befristetes Tempolimit und Fahrverbote nicht aus

SPD-Chefin Saskia Esken will derweil auch ein befristetes Tempolimit und Fahrverbote nicht ausschließen. Esken sagte dem Berliner „Tagesspiegel“ (Sonntagsausgabe), dass die Mineralölkonzerne die Steuersenkung „nicht vollständig an die Verbraucher weitergeben, das stinkt zum Himmel“. Sie forderte daher ein Einschreiten des Kartellamts. „Die Mineralölkonzerne dürfen nicht zulasten des Steuerzahlers Kasse machen“, sagte Esken.

Wenn die Spritpreise so hoch blieben, seien auch schärfere Maßnahmen nicht ausgeschlossen, betonte Esken. Ein Instrument neben dem Kartellrecht sei das Energiesicherungsgesetz aus dem Jahr 1975, das damals als Reaktion auf die Ölkrise beschlossen und von der Ampel-Koalition im Mai novelliert wurde.

„Es erlaubt der Regierung, befristete Maßnahmen anzuordnen wie Sonntagsfahrverbote – die Älteren erinnern sich – oder ein befristetes Tempolimit“, sagte Esken. „Aber auch Preisdeckel oder – im äußersten Fall, Unternehmen in kritischen Infrastrukturen der Energieversorgung zeitlich befristet unter Treuhandverwaltung zu stellen.“

DIW plädiert für andere Lösungen gegen hohe Spritpreise

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte, der Tankrabatt sei von Anfang an keine gute Lösung gewesen. Er komme „letztlich nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern an, sondern bleibt bei den Mineralölkonzernen“, sagte Fratzscher dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Das war nicht überraschend, weil dieser Markt von wenigen Mineralölkonzernen und Raffinerien dominiert wird.“

Der DIW-Chef forderte die Bundesregierung zum Umsteuern auf. „Ich halte es für falsch, dass die Politik noch einmal drei Monate weiter diese Milliardenbeträge letztlich den Mineralölkonzernen zahlt“, sagte er. Besser wäre es, das Geld „für andere Instrumente zu nutzen, wie etwa die Energiepauschale“, fügte er hinzu.

Der von der FDP durchgesetzte Tankrabatt war zum 1. Juni als Teil des Entlastungspakets der Bundesregierung in Kraft getreten. Es handelt sich um eine auf drei Monate befristete Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe. Bei Benzin sinken die Steuersätze um 29,55 Cent je Liter und bei Diesel um 14,04 Cent, hinzu kommt eine dann geringer ausfallende Mehrwertsteuer auf den Gesamtpreis.

Nach einem spürbaren Rückgang unmittelbar nach Inkrafttreten des Tankrabatts waren die Preise an den Tankstellen nach Angaben des ADAC zuletzt aber täglich wieder gestiegen.

(hebu/dpa/epd/AFP)
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