Brandherde in der Koalition Hinter den Kulissen kracht es weiter

Berlin (RP). Die schwarz-gelbe Koalition beginnt das neue Jahr mit einem alten Leiden: Streit. Nur mit größter Mühe bringt sie es fertig, den Krach über ein marginales Thema wie den Zeitpunkt von Steuervereinfachungen beizulegen. Mühsam versucht Bundeskanzlerin Merkel, die Gräben zuzuschütten. Doch neuer Ärger scheint sicher. Die Euro-Hilfen könnten zum Bruch führen.

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Foto: dpa/Gregor Fischer

Getanzt wurde nicht. Diskutiert umso eifriger. Der gemeinsame Neujahrsempfang der Koalitionsfraktionen am Dienstagabend in einer Berliner Szene-Diskothek hatte wenig von einer harmonischen Betriebsfeier. Die Stimmung in der Regierungskoalition ist — wieder einmal — in der Nähe des Gefrierpunkts angelangt.

Das lag zu diesem Zeitpunkt vor allem an dem in seiner Schärfe kaum erklärbaren Streit zwischen CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble und der gesamten FDP. Am Mittwochvormittag wurde Schäuble ein Kompromiss abgenötigt, damit das Thema endlich vom Tisch kommt. Die Anhebung der Werbungskostenpauschale mit einem Mini-Plus für die Betroffenen von monatlich rund zwei Euro kommt noch in diesem Jahr.

Wie im Dschungelcamp

Doch der Eindruck der Zickereien der vergangenen Tage bleibt hängen: In der Bundesregierung geht es derzeit zu wie im Dschungelcamp. Wer in das Innenleben der Koalition hineinhorcht stellt fest: In Wirklichkeit sind die Gräben weitaus tiefer.

Die Liberalen fühlen sich von dem 67-jährigen CDU-Politiker seit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags verraten und verkauft. Die Absage an Steuersenkungen, die Sticheleien gegen die Hotel-Steuer, der Widerstand beim Sparpaket, der angebliche Wortbruch nun bei den Steuervereinfachungen und der nach Ansicht der FDP "mangelhaft" kommunizierte Euro-Rettungsplan haben die Stimmung aufgeheizt. "Wenn man nur den Namen Schäuble erwähnt, springt einem der Gesprächspartner fast ins Gesicht", beschreibt ein Liberaler die Lage.

FDP auf Eskalationskurs

Am Montag dann der Kurswechsel. FDP-Chef Guido Westerwelle, angeschlagen durch die Personaldebatte und desaströse Umfragewerte, gab in der Präsidiumssitzung grünes Licht für die schrittweise Eskalation. Man werde auf zentralen Politikfeldern künftig einen "harten Kurs mit klarer Rhetorik" fahren, beschreibt ein Präsidiumsmitglied die Abmachung.

Ausgerechnet der Kieler FDP-Chef Wolfgang Kubicki, der mit seiner Kritik an Westerwelle den Führungsstreit neu entfacht hatte, hatte genau dies gefordert. Nun folgt ihm die Partei. Man merke nach eineinhalb Jahren Regierungsarbeit mehr denn je, dass die Union "kein Interesse daran hat, uns nur einen Millimeter Geländegewinn zu gönnen", beklagt sich ein Mitglied der FDP-Fraktionsführung. Darauf könne man eben nur noch mit einer Strategie antworten: "drauf".

Auch Merkel wird zur Zielscheibe

Zielscheibe ist nicht nur der Finanzchef der Regierung, sondern zusehends die Regierungschefin selbst. Im Gegensatz zu ihrem Vor-Vorgänger Helmut Kohl, der dem kleinen Koalitionspartner regelmäßig Profilierungsthemen überließ, fährt Merkel einen pragmatischen Kurs. Was sie für richtig hält, wird gemacht. Aus politischen Gründen Zugeständnisse zu machen, passt nicht in Merkels Weltbild.

Brenzlig könnte es beim Streit um das Euro-Rettungspaket werden. Die deutsch-französischen Alleingänge seien bisher immer für die deutschen Steuerzahler teuer geworden, beklagen die Liberalen. Gäbe es im Bundestag eine Abstimmung über die "Weiterentwicklung" des Euro-Rettungsschirms, wie Schäuble und Merkel die höhere Haftung des deutschen Steuerzahlers für Kredite an Schuldenstaaten umschreiben, "würde sich bei uns kein Arm heben", sagt ein FDP-Bundestagsabgeordneter.

"Mätresse Sarkozys"

Hinter dem Widerstand steckt eine Identitätskrise der Liberalen. Die Degradierung Europas zu einer Transferunion trifft das liberale Grundverständnis. Dass Länder, die sich anstrengen und sparen wie Deutschland, den ausgabefreudigen Schuldenländern nun immer stärker unter die Arme greifen sollen, ist die Umkehrung des Leistungsprinzips, das die FDP in ihrem Herzen verankert hat. Merkel habe sich zu einer "zahlungswilligen Mätresse Sarkozys" entwickelt, spottet ein Liberaler.

Dass die Mithaftung der privaten Gläubiger bei einer Staatspleite durch die europäische Einstimmigkeitsregel de facto ausgeschlossen werde, kreiden die Liberalen ebenfalls Merkel an. Weil die Schuldenkrise der Staaten aber nicht von heute auf morgen gelöst werden kann, werde es früher oder später zur Ausweitung des Rettungsschirms kommen, fürchten FDP-Parlamentarier. "Dann droht bei uns der Aufstand." Dieser könne bis zum Bruch der Koalition gehen. CSU-Chef Horst Seehofer soll sich vergangenen Montag bereits besorgt über die Entwicklung in der FDP geäußert haben.

Immer mehr prominente Kritiker

Die Fraktion der Euro-Kritiker wächst. In der Sitzung der FDP-Arbeitsgruppe Wirtschaft am Dienstag soll sich erstmals auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) für eine schärfere Gangart bei dem Thema eingesetzt haben. Unterstützung kommt von Bundestagsvizepräsident Herrmann Otto Solms, Ex-Parteichef Wolfgang Gerhardt sowie den Landeschefs Jörg-Uwe Hahn (Hessen), Wolfgang Kubicki (Schleswig-Holstein) und Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil.

Notiert wurde auch, dass selbst Generalsekretär Christian Lindner, ein überzeugter Europäer, in der Pressekonferenz am Montag vor einem "Länderfinanzausgleich" auf EU-Ebene warnte und damit die Sprache des früheren BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel übernahm. Der bezeichnet in seinem eurokritischen Buch "Rettet unser Geld" die Aufweichung der EU-Stabilitätskriterien als Betrug und fordert die Spaltung der Euro-Zone in "fleißige" Nord-Länder und "Schnorrer" — die südlichen Schuldenstaaten. Diese Thesen seien "nicht unüberlegt", heißt es in Teilen der FDP.

Die SPD als Rettungsanker

Nun kursiert folgendes Szenario: Sollte die FDP bei den Landtagswahlen Schiffbruch erleiden und Westerwelle das Parteiamt verlieren, könnte Brüderle aufrücken und einen marktliberalen Kurs umsetzen. "Das wäre der Super-Gau", fürchtet ein Merkel-Berater. Auch deswegen habe die Regierungschefin in der Personaldebatte rasch ihre Solidarität mit Westerwelle bekundet. Die Gedankenspiele in der CDU gehen so weit, dass Merkel in einem solchen Fall versuchen müsste, die SPD als Juniorpartner wieder in die Regierung zu holen.

Als "alternativlos" hat Kanzlerin Merkel ihre Europa-Politik jüngst immer wieder bezeichnet. Vielleicht braucht sie im Laufe des Jahres eine Alternative zu ihrem Koalitionspartner.

(RP)
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