Nach der Konstituierung Herausforderungen für den Bundestag

Meinung · Der neue Bundestag geht selbstbewusst ans Werk, bildet die wachsende Rolle der Frau im Präsidium ab. Der bevorstehende Machtwechsel zeugt vom Funktionieren der parlamentarischen Demokratie. Aber es lauern Gefahren.

 Der Bundestag bei seiner konstituierenden Sitzung am Dienstag. Noch ist die Regierungsbank leer.

Der Bundestag bei seiner konstituierenden Sitzung am Dienstag. Noch ist die Regierungsbank leer.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Konstituierung des 20. Deutschen Bundestages markiert die Stabilität des politischen Systems. Weder Bonn noch Berlin sind Weimar geworden. Die von Anfang an taumelnde und nach 14 Jahren und neun Wahlen gescheiterte Demokratie der Weimarer Republik ließ die Väter und Mütter des Grundgesetzes und die politischen Akteure viele Lehren ziehen. Und gerade die Basis des Gelingens ist derzeit wieder zu besichtigen: Der faire Machtwechsel, getragen von einer breiten demokratischen Wählerschaft und begleitet von einer Gemeinsamkeit der Demokraten, im Parlament um die überzeugenderen Konzepte und neue Mehrheiten zu ringen.

Doch 20 Wahlperioden in Folge verleiten zu viele Deutsche zu der Annahme, die Demokratie sei unumstößlich gesichert. Tatsächlich sind die Herausforderungen für die parlamentarische Demokratie gewachsen. Global, europaweit und national. Demokratie bleibt nur, wenn Demokraten an ihr arbeiten. Jeden Tag.

Die große, übergreifende Debatte wird immer wieder von aufgepeitschtem Streit ersetzt, in dem einzelne Gruppen nur noch ihre eigene Meinung gelten lassen. Deshalb war es gut, dass sowohl der scheidende Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble als auch seine Nachfolgerin Bärbel Bas die Vorbildfunktion des Bundestages herausgestellt haben. In einer Zeit, in der immer weniger Menschen andere Meinungen ertragen mögen, muss die – auch pointierte – Debatte im Parlament die Möglichkeit freier Meinungsbildung vorführen. Die Demokratie lebt vom Kräftemessen der Argumente und vom Werben um Mehrheiten durch überzeugende Meinungen und Persönlichkeiten, nicht vom Niederbrüllen, Blockieren und Hetzen, wie es in den „sozialen“ Netzwerken und auf manchen Demonstrationen üblich geworden ist.

Polarisierung findet seine chauvinistische Ausprägung in Nationalisierung. Die Lehre aus unzähligen Kriegen auf dem europäischen Kontinent war das Projekt eines immer intensiveren Zusammenwirkens der Länder in der Europäischen Union. Hier sind Fliehkräfte am Werk, die die Gemeinschaft zersetzen und die Friedensgarantie gefährden können – mit starken Rückwirkungen auf die Entwicklung in Deutschland.

Weltweit wie national rückt die Klimakrise in den Vordergrund. Das gilt für den Bundestag erst Recht vor dem Hintergrund, dass Klima-Aktivisten in Teilen die Legitimität parlamentarischer Beschlüsse anzweifeln. Umso überzeugender und zupackender muss das Ringen und Entscheiden im Bundestag ausfallen.

Längst befindet sich die Welt in einem Systemwettbewerb. China ist nicht nur wirtschaftlich stärker geworden. Die Einparteienherrschaft hält ihren Kommunismus auch für überlegen, schafft sich überall politische Abhängigkeiten, setzt die repräsentative Demokratie zunehmend unter Druck. Bezeichnend ist, dass der Bundestag nun die größte Volksvertretung nach dem chinesischen Volkskongress ist, und zwar weil die deutschen Parlamentarier nicht in der Lage waren, sich auf ein vernünftiges Wahlrecht zu verständigen. Der 20. Bundestag wird das schnell angehen und lösen müssen, wenn er den Lackmustest des Demokratieerhalts bestehen will.

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