Helmut Schmidt wird 95 Jahre alt Von "Schmidt-Schnauze" zum präsidialen Staatsmann

Köln · Aus "Schmidt-Schnauze" wurde der Krisenmanager im Kanzleramt und schließlich der präsidiale Staatsmann: Mit Helmut Schmidt (SPD) feiert am Montag einer der zentralen politischen Verantwortungsträger der Nachkriegszeit seinen 95. Geburtstag.

Helmut Schmidt – Raucher, SPD-Kanzler, Zeit-Herausgeber
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Helmut Schmidt - Rückblick auf ein Politikerleben

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Foto: dpa, rj_sv wst fdt

Es bedarf wenig Phantasie, die parteiübergreifenden Lobeshymnen auf den Ex-Politiker und heutigen Politik-Kommentator vorwegzunehmen. Denn auch im hohen Alter ist Helmut Schmidt eine der geachtetsten Persönlichkeiten des Landes geblieben: Umfragen zufolge ist er das größte lebende Vorbild der Deutschen, und auch bei der Frage nach dem bedeutendsten Kanzler lag er zuletzt vorne.

Eine pompöse Geburtstagsfeier plant der gebürtige Hamburger nicht: Er wolle seinen Feiertag zu Hause in der Hansestadt mit seiner Lebensgefährtin Ruth Loah, seiner Tochter Susanne und engen Freunden verbringen, kündigte er an. Diese Haltung passt zum Ruf des schnörkellosen Pragmatikers, der dem Lehrersohn und späteren Soldaten im Zweiten Weltkrieg seit jeher anhaftet.

Was freilich nicht bedeutet, dass der 1946 in die SPD eingetretene Schmidt je übermäßige Angst vor großen Auftritten gezeigt hätte: Schon nach seinem ersten Einzug in den Bundestag 1953 erwies er sich als forscher Redner, was ihm besagten Spitznamen "Schmidt-Schnauze" einbrachte.

Helmut Schmidt - Seine Zitate und Sprüche
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Die Sprüche von "Schmidt-Schnauze"

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"Mich hat die Macht nicht interessiert"

Dass der glänzende Rhetoriker auch energisch zupacken konnte, bewies Schmidt bei der Hochwasserkatastrophe 1962 in seiner Heimatstadt. Als Hamburgs Innensenator leitete er die Rettungsmaßnahmen bei der verheerender Sturmflut mit mehr als 300 Todesopfern. Wegen seines beherzten Einsatzes damals galt der SPD-Politiker fortan als erfolgreicher Krisenmanager.

Nach seinem zweiten Einzug ins Bonner Parlament 1965 stieg Schmidt zum SPD-Fraktionschef auf und wurde später unter SPD-Kanzler Willy Brandt Verteidigungsminister, dann Finanz- und kurzzeitig zusätzlich Wirtschaftsminister. Als Brandt 1974 wegen des DDR-Spions Günter Guillaume zurücktrat, zog Schmidt ins Kanzleramt ein - ohne dass er das oberste Regierungsamt angestrebt hätte. "Mich hat die Macht nicht interessiert, mich hat die Karriere nicht interessiert", sagte Schmidt gut 34 Jahre später.

Gleichwohl wusste der Klavierspieler und Kettenraucher seine Macht einzusetzen in seiner achteinhalbjährigen Regierungszeit, in der vor allem seine Fähigkeiten als Krisenmanager gefragt waren. Denn Rezession und Wirtschaftskrise warfen nach der Ölkrise von 1973 dunkle Schatten auf die Kanzlerschaft des SPD-Politikers, der von 1942 bis zu deren Tod 2010 mit Hannelore "Loki" Schmidt verheiratet war.

Eiserne Kompromisslosigkeit

Nach dem Wahlsieg der sozialliberalen Koalition 1976 musste sich Schmidt dem wohl schwersten Jahr seiner Amtszeit stellen: Im Deutschen Herbst 1977 suchten die RAF-Terroristen die Konfrontation mit dem Staat. Durch die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer ließ sich Schmidt seinerzeit ebenso wenig erpressen wie im Fall des wenig später entführten Lufthansa-Jets "Landshut". Die Urlaubermaschine wurde auf Befehl Schmidts von der Anti-Terror-Einheit GSG 9 in Somalias Hauptstadt Mogadischu gestürmt, die Geiseln kamen frei. Schleyer wurde wenig später von der RAF ermordet.

Kompromisslos zeigte sich Schmidt auch beim Nato-Doppelbeschluss, der als Antwort auf die Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen die Aufstellung von westlichen Pershing-II-Raketen und Cruise-Missiles festschrieb. Gegen heftigen Widerstand auch aus der SPD blieb der Kanzler eisern bei der Auffassung, dass der Doppelbeschluss alternativlos sei - im Gegensatz zu hunderttausenden Demonstranten, die 1981 gegen die Haltung Schmidts zur Atomrüstung in Bonn protestierten.

Heute sieht Schmidt, der 1982 nach dem Bruch der SPD/FDP-Koalition per konstruktivem Misstrauensvotum als Kanzler abgewählt wurde, die Richtigkeit des Doppelbeschlusses durch die Geschichte bestätigt. Längst ist aus dem Krisenmanager ein Elder Statesman geworden, der als Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" seit 1983 Politik publizistisch begleitet. Als Politiker bezeichnete Schmidt übrigens Journalisten einst als "Wegelagerer".

Auch im Hamburger Nahverkehr wird dem Ex-Kanzler heute gratuliert:

Alles Gute, Smoki! RT @Deichkind77: Ach, Hamburg! <3 #helmutschmidt pic.twitter.com/OAs2HGPHKR

(AFP)
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