Der S21-Streitschlichter Heiner Geißler - die personifizierte Reibefläche

Berlin (RPO). Der Streitschlichter beim Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 hat eine Anleihe bei Joseph Goebbels ("Wollt ihr den totalen Krieg?") gemacht. Das ist auch für einen waghalsigen Rhetoriker wie Geißler ungewöhnlich. Die Kritik jedenfalls ist heftig. Der Kritisierte aber verteidigt seine Zuspitzung.

In seiner Kampfschrift "Was würde Jesus heute sagen?" zitiert Heiner Geißler aus der Bergpredigt: "Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden." Gottes Sohn heranzuziehen, wenn es um seine jüngste politische Botschaft geht, als Streitschlichter den Kampf für und wider das Großprojekt Stuttgart 21 durch einen Kompromiss zu entschärfen, ist einem Heiner Geißler nicht fremd. Im Gegenteil.

Aber als friedenswilliger Stuttgart-21-Moderator beim Teufel Anleihe zu nehmen und nach Art der 1943er Sportpalast-Rede von Hitlers Propaganda-Chef Goebbels dessen Frage "Wollt ihr den totalen Krieg?" zu stibitzen — das ist auch für einen waghalsigen Rhetoriker wie Geißler ungewöhnlich. Manche reagierten derb: Dem Senior gingen wohl langsam die Gäule durch.

Geißler: Zuspitzen, um gehört zu werden

Der Senior selbst entschuldigte sich nicht etwa für den Griff in die Gift-Kiste des NS-Jargons, er verwahrte sich auf seine verschmitzte Weise: "Wenn ich in der Nähe von Goebbels bin, ist der 'Playboy' das Mitteilungsblatt des Vatikan." Im Übrigen müsse man zuspitzen, um gehört zu werden.

Der ins Gerede gekommene Streitschlichter ist einer der feurigsten Alten der Republik. Eine personifizierte Reibfläche. Der Hobby-Winzer von der Südlichen Weinstraße gleicht in seinen späten Lebensäußerungen seinen Erzeugnissen, der "Gleisweiler Hölle": Manchmal bestechen sie durch Qualität, ein anderes Mal gilt: ungenießbar.

Zur letzten Kategorie gehörte auch ein Auftritt Geißlers bei einem Kongress der NRW-CDU im November 2009: Nachdem der Ex-Minister und CDU-Generalsekretär im Stil eines Jungkommunisten über den Kapitalismus vom Leder gezogen hatte, sprach die damalige NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) stellvertretend für alle Entgeisterten: "Man hätte ihn nicht einladen dürfen."

2007 schloss sich der Christdemokrat der globalisierungs-kritischen Bewegung Attac an. Als er kundtat, er würde zurückschlagen, falls ihn ein Polizist bei einer Demonstration ("Demonstrationsfreiheit ist ein heiliges Recht der Demokratie") anfasste, verlangte ein CDU-Polizeigewerkschafter Heiner Geißlers Parteiausschluss.

Als General Her und Hirn der Partei

Geißler erwies sich früher als CDU-Generalsekretär und erweist sich heute als Schlichter, in Tarifkonflikten oder eben bei Stuttgart 21 als geistesgegenwärtig, konditionsstark, wortgewandt, bestimmend. Er war und ist aber auch eitel, bei Bedarf grob wie ein Klotz, störrisch bis zur Penetranz. Schillers Satz über Wallenstein trifft auf Geißler zu: Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.

Geißler war als Generalsekretär der CDU (1977 — 1989) Herz und Hirn der Partei. Ob Jugend- oder Frauen-Kongresse — stets versuchte Geißler, die CDU gesellschaftspolitisch up to date zu halten. Sozialpolitisch positionierte er seine Partei so, dass die "Menschen das Gefühl haben, dass es gerecht zugeht im Lande, wenn die CDU regiert" (Geißlers Leitsatz).

Vor den Wahlsiegen Kohls in den 1980er Jahren focht Geißler mit schwerem Säbel. Er machte sich Feinde. SPD-Chef Willy Brandt nannte ihn den "schlimmsten Hetzer seit Goebbels", Erhard Eppler (SPD) "den perfidesten Politiker der Republik". Geißler holzte gegen die SPD: Diese verhalte sich "wie die fünfte Kolonne der anderen Seite", sprich des Ostblocks. Den Gegnern der Nato-Nachrüstung schleuderte er entgegen, Pazifisten wie sie hätten in den 30er Jahren Auschwitz erst möglich gemacht.

"Der Mann macht mich krank", seufzte Kohl, bevor er seinen um einen Monat älteren Freund/Feind 1989 als Partei-"General" entließ. Geißler würde wohl heute zum Streit um seinen Friedensplan für Stuttgart 21 im geliebten Latein Titus Livius zitieren: "Nondum omnium dierum solem occidisse" — "Es ist noch nicht aller Tage Abend."

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