Diskussion um Milliarden-Überschuss Warum Schäuble lieber Schulden tilgen will

Berlin/Düsseldorf · Der Bund schließt das Jahr 2016 mit einem Haushaltsüberschuss von 6,2 Milliarden Euro ab. Das weckt in den Parteien neue Begehrlichkeiten - doch der Finanzminister winkt ab.

 Wolfgang Schäuble kann Schulden des Bundes abbauen.

Wolfgang Schäuble kann Schulden des Bundes abbauen.

Foto: dpa, nie jhe

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ahnte schon vor Tagen, was da auf ihn zukommt: Er werde mit Sicherheit viele Ratschläge aus dem In- und Ausland erhalten, was Deutschland mit seinen überschüssigen Steuermilliarden anfangen solle. So ist es gekommen: Die Wünsche an Schäuble reichen von noch mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung über höhere Sozialausgaben und schnelle Steuersenkungen bis hin zu neuen Rücklagen.

Doch Schäuble hat sich anders entschieden: Der Haushaltsüberschuss des Bundes von 6,2 Milliarden Euro aus dem Jahr 2016 soll komplett in die Schuldentilgung fließen.

Zu Beginn eines Wahljahrs ist das bemerkenswert, schließlich hätte Schäuble für Wahlgeschenke in der Zukunft auch Geld beiseite legen können, etwa, um Steuersenkungen in der nächsten Legislaturperiode glaubwürdiger zu machen. Doch mit der Schuldentilgung will Schäuble vor allem international ein Signal setzen: Deutschland zeigt der Welt, dass ein Land nicht nur keine neuen Schulden machen muss, um mehr in künftiges Wachstum zu investieren, sondern dass es bei anhaltend guter Wirtschaftslage gleichzeitig auch gelingt, die öffentliche Verschuldung abzubauen.

Für den angehenden US-Präsidenten Donald Trump oder die europäischen Partner in Frankreich, Italien oder Griechenland, die Wachstum durch noch höhere Defizite finanzieren wollen, ist das eine klare Botschaft.

Doch auch aus innenpolitischer Sicht macht die Entscheidung Sinn, wenn sie denn von den Bundestagsfraktionen mitgetragen wird. Der Bund schiebt 1,2 Billionen Euro Schulden vor sich her, da kann es nicht schaden, einen kleinen Teil davon abzutragen.

"Jetzt ist die Zeit für Investitionen"

Noch kann sich der Bund günstig refinanzieren, doch eine Zinswende steht bevor. Zudem lehrte auch der große britische Ökonom John Maynard Keynes in den 1930-er Jahren, dass ein Staat in guten Zeiten Schulden abbauen soll, die er in schlechten Zeiten angehäuft hat. Der deutsche Schuldenstand liegt zudem noch immer über der vom Maastricht-Vertrag vorgegebenen Marke von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Diese Sicht der Dinge teilen allerdings nicht alle. SPD, Grüne und Linke wollen das überschüssige Geld lieber in mehr Investitionen und mehr Sozialausgaben stecken. "Jetzt ist die Zeit für Investitionen. Die Bürgerinnen und Bürger haben die Überschüsse erwirtschaftet, nun sollten wir das Geld in ihrem Interesse investieren: etwa in den Ausbau der digitalen Infrastruktur und in die Modernisierung unserer Schulen", sagte etwa SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil. "Drei Milliarden Euro sollten in den Ausbau von Ganztagsschulen gehen", forderte er.

Die Unionsfraktion stützt dagegen Schäubles Pläne. "Man sollte Keynes richtig lesen: In guten Zeiten sollte man das, was man sich in schlechten Zeiten vorher geliehen hat, wieder zurückführen", sagte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs. Den Überschuss in die Tilgung zu stecken, sei also sinnvoll. "Allerdings wollen wir zusätzlich durchsetzen, dass der Betrag, den Unternehmen pro Jahr für die Anschaffung geringwertiger Wirtschaftsgüter sofort abschreiben können, von 410 auf 1000 Euro angehoben wird", sagte Fuchs. Dies könne der Bundestag rasch entscheiden.

Schäuble kontert die Forderungen nach mehr Investitionen damit, dass schon das dafür bereitgestellte Geld des Bundes kaum abfließt. So zeigt eine aktuelle Übersicht aus dem Bundesfinanzministerium, dass aus den verschiedenen Investitionstöpfen des Bundes der vergangenen Jahre bisher nur geringe Teile tatsächlich abgerufen wurden.

Kein Personal für Investitionen

Aus dem Förderfonds für finanzschwache Kommunen etwa, der zunächst mit 3,5 Milliarden Euro gefüllt wurde, sind bis Ende 2016 nur 146 Millionen Euro abgeflossen. Dennoch wird der Bund die Mittel mit einem Nachtragshaushalt 2016 weiter auf sieben Milliarden Euro verdoppeln. Auch von den 2016 für die Fluthilfe verfügbaren 4,3 Milliarden Euro sind demnach nur 773 Millionen abgeflossen. In den Kommunen gebe es zu wenig Planungskapazitäten, sprich Personal, das in der Lage wäre, die vielen Bundesmilliarden sinnvoll zu verplanen, hieß es im Bundesfinanzministerium.

Ein weiteres Motiv Schäubles, überschüssiges Geld in die Tilgung zu stecken, sind die nie erschöpften Begehrlichkeiten der Länder. Im Frühjahr laufen die parlamentarischen Verhandlungen über die Umsetzung der Pläne zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen — für die Länder eine gute Gelegenheit, noch mehr Geld vom Bund zu fordern.

Sind vorhandene Milliarden aber anders verbucht, können sie nicht zusätzlich an die Länder gehen. Die stünden ohnehin auch gut da, hieß es im Bundesfinanzministerium. "Einige Ministerpräsidenten haben jetzt Überschüsse, aber vor ein paar Tagen noch gejammert und noch mehr Geld vom Bund gefordert", hieß es in Ministeriumskreisen. Gehe es dem Bund gut, gelt dies auch für die Länder.

Basis des Etatüberschusses ist die anhaltend gute Lage bei den Steuereinnahmen. Die laufen so gut, weil Deutschland einen Beschäftigungserfolg nach dem anderen feiert. Im laufenden Jahr sind sogar 44 Millionen Erwerbstätige möglich, das wäre ein neuer Rekord. Zudem stiegen die Einkommen — und mit ihnen auch die Steuereinnahmen. Allerdings rührt der größte Teil des Überschusses daher, dass der Bund weniger Zinsen zahlen musste als befürchtet, und weniger für Investitionen ausgab als geplant, weil Länder und Kommunen Mittel nicht anrufen konnten.

So gut wie jetzt wird die Lage für die Finanzminister in den kommenden Jahren aber nicht mehr sein. Dann schlägt die Demografie zu, und die geburtenstarken Jahrgänge gehen reihenweise in Rente. Damit steigen die Ausgaben der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, während gleichzeitig deren Einnahmen sinken könnten. Höhere Steuerzuschüsse für die Sozialversicherung sind absehbar.

Auch die Konjunktur kann 2017 umschlagen: Niemand weiß heute, was das Zeitalter Trump bringen wird. Und in Europa kommt der Brexit immer näher.

(mar/dre)
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