Verhandlungen gescheitert Hartz-IV-Posse hinterlässt nur Verlierer

Düsseldorf/Berlin (RPO). Dieses Ergebnis war absehbar: In der Nacht sind die Verhandlungen zu der Reform von Hartz IV geplatzt. CDU und SPD weisen sich gegenseitig die Schuld für die Schlappe zu. Nur ein Coup am kommenden Freitag im Bundesrat kann die Reform kurzfristig retten. Ansonsten droht den Hartz-IV-Empfängern eine Hängepartie ohne absehbares Ende - und der Politik eine ernsthafte Blamage.

Hartz IV - Eine Chronologie
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Foto: dapd

Bis nach Mitternacht haben sie verhandelt, aber ein Ergebnis können sie auch nach sieben Wochen des Redens nicht vorweisen. Die schwarz-gelbe Koalition sowie SPD und Grüne haben keinen Kompromiss bei der Reform von Hartz IV erreichen können. Damit bleibt für 6,7 Millionen Menschen in Deutschland weiterhin unklar, wie viel staatliche Unterstützung sie in Zukunft bekommen. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht auf den Tag genau vor einem Jahr die Vorgabe gemacht, dass Änderungen an der Hartz-IV-Gesetzgebung vorgenommen werden müssen.

Die Streithähne der vergangenen Nacht waren sich am Morgen nur in einem Punkt einig: Die Schuld liegt jeweils beim Anderen. Im Kampf um die Deutungshoheit traten die Hauptdarsteller früh an der Fernsehfront an. SPD-Unterhändlerin Manuela Schwesig erhob schwere Vorwürfe: Es sei "ganz deutlich" zu spüren gewesen, dass die Koalition und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen den klaren Auftrag von Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) gehabt hätten, die Verhandlungen zum Scheitern zu führen, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende im ZDF-"Morgenmagazin".

Die bedürftigen Kinder brauchten aber Unterstützung. "Daran denkt aber Frau von der Leyen nicht und auch nicht die Kanzlerin", sagte Schwesig. "Frau Merkel ist eine eiskalte Machtpolitikerin. Ihr geht es nicht um die Kinder und auch nicht um die Betroffenen. Ihr geht es darum, Ruhe in der Koalition zu haben", fügte Schwesig hinzu. Von der Leyen und Merkel wollten machtpolitische Spielchen. "Darüber bin ich sehr sauer", sagte die SPD-Politikerin. Die Koalition habe arme Kinder und Zeitarbeiter verraten, das sei ein "Riesenskandal", kritisierte Schwesig weiter. Auch Grünen-Verhandlungsführer Fritz Kuhn griff die Koalitionäre an.

Von der Leyen hofft auf Bundesrat

Schwesigs Gegenpart von der Leyen wies die Schuld von sich. Die Ministerin sagte im ZDF, die Verhandlungen seien bereits auf einem guten Weg gewesen. Es habe Einigungen beim Bildungspaket, bei der Entlastung der Kommunen und bei weiteren Mindestlöhnen gegeben. Die Opposition habe dann aber noch einmal "eine Schippe draufgelegt" und mehr Geld für Hartz-IV-Bezieher über die geplante Anhebung um 5 auf 364 Euro hinaus gefordert. Das lehnte die Koalition strikt ab.

Nun läuft alles auf ein Showdown im Bundesrat hinaus - zumindest nach von der Leyens Lesart. Am Freitag werde sich in der Länderkammer zeigen, ob in schwieriger Zeit Verantwortung übernommen werde, sagte die CDU-Politikerin im ZDF-"Morgenmagazin". "Jetzt ist der Tag der Entscheidung dann auch gekommen", betonte sie. Dann will die Ministerin einen eigenen Gesetzentwurf einbringen.

FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger setzt auch auf den Bundesrat, in dem Schwarz-Gelb allerdings über keine Mehrheit verfügt. Sie will einzelne Landesregierungen von den Koalitionsplänen zu überzeugen. Im Südwestrundfunk nannte Homburger die großen Koalitionen in Thüringen und Sachsen-Anhalt sowie das Bündnis aus CDU, FDP und Grünen im Saarland. Für Länder und Kommunen seien die zuletzt noch einmal vergrößerten Kompromissangebote so attraktiv, dass am Freitag im Bundesrat ein Einlenken des einen oder anderes Bundeslandes denkbar sei. SPD-Chef Sigmar Gabriel ließ bereits verlauten, dass die Reihemn geschlossen seien.

"Armutszeugnis für die Politik"

Zuletzt war dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Länderkammer ein ähnlicher Coup gelungen. Im Jahr 2000 hatte die rot-grüne Koalition in der Länderkammer verloren. Trotzdem konnte Schröder seine Steuerreform durchbringen. Er hatte dem damaligen Regierenden Bürgermeister Berlins, Eberhard Diepgen (CDU), finanzielle Hilfen zugesagt und sich so die Stimme des klammen Bundeslandes gesichert.

Sollte auch am Freitag keine (überraschende) Einigung erreicht werden, steht das weitere Prozedere vollkommen in den Sternen. Die Situation im Bundesrat dürfte sich für Schwarz-Gelb nicht bessern, denn die in eineinhalb Wochen stattfindenden Bürgerschaftswahlen wird die SPD aller Voraussicht nach gewinnen. Damit wächst die Oppositionsmehrheit im Bundesrat weiter an.

Fest steht: Das Bild der Politik wird durch das anhaltende Gezerre nicht besser. Immerhin ist es auf den Tag genau ein Jahr her, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber Reformen bei Hartz IV aufgab. Der Sozialverband VdK sprach von einem "Armutszeugnis für die Politik". Verbandspräsidentin Ulrike Mascher sagte am Mittwoch in Berlin: "Für die Hartz-IV-Empfänger muss der Eindruck entstehen, dass es bei den Verhandlungen weniger um die Verbesserung ihrer Lebenssituation, sondern eher um Positionskämpfe der Parteien geht."

Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland, erklärte: "Die vergangenen zwölf Monate wurden mit Scheindebatten über Chipkarten vergeudet, der Weg der Gesetzgebung zu spät beschritten. Ausbaden müssen das die Menschen, die in unserer Gesellschaft den schwächsten Stand haben." Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes: verwies auf die Situation der Kinder: "Es kann nicht sein, dass die Kinder die Leidtragenden der Unfähigkeit der Regierung sind. Dieser verfassungswidrige Zustand muss so schnell wie möglich beendet werden."

Mit Agenturmaterial.

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