Kritik und Lob für die Hartz-IV-Einigung "Hartz-IV-Geschacher ist erbärmliche Farce"

Berlin (RPO). Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat den Hartz-IV-Kompromiss von Union, FDP und SPD scharf kritisiert. "Das Geschacher der letzten Wochen und Tage um drei Euro mehr oder weniger ist die erbärmlichste Farce, die die deutsche Sozialpolitik je erlebt hat", erklärte Verbandshauptgeschäftsführer Ulrich Schneider am Montag. Unterdessen zeigen sich die Verhandlungsführer aus Koalition und Opposition über die Einigung zufrieden.

Hartz IV - Eine Chronologie
Infos

Hartz IV - Eine Chronologie

Infos
Foto: dapd

Der Paritätische Wohlfahrtsverband nennt die nun beschlossenen Regelsätze weder bedarfsgerecht noch verfassungskonform. Der Verband forderte die SPD auf, das Vermittlungsergebnis nach Zustimmung des Bundesrates durch eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.

Die Fortschritte bei dem Bildungspaket könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik die rund 4,7 Millionen erwachsenen Hartz IV-Bezieher komplett im Regen stehen lasse, kritisierte Schneider. "Das Ergebnis ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und ein Affront gegenüber dem Bundesverfassungsgericht", erklärte er.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung und die SPD hatten sich in der Nacht zum Montag nach zweimonatigen Verhandlungen auf einen Kompromiss verständigt. Die Grünen stiegen wegen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer stufenweisen Anhebung der Regelsätze aus den Verhandlungen aus.

Insgesamt acht Euro mehr in zwei Stufen

Der Kompromiss sieht vor, dass das Arbeitslosengeld II für die 4,7 Millionen erwachsenen Hartz-IV-Bezieher rückwirkend vom Jahresanfang an um fünf Euro auf 364 Euro angehoben wird. In einem zweiten Schritt zum Jahresanfang 2012 soll es drei weitere Euro zusätzlich zu der dann anstehenden regulären Anhebung geben. Zudem erhalten rund 2,5 Millionen Kinder aus Geringverdienerfamilien Zuschüsse etwa zu Schulessen und Nachhilfe. Für fast eine Million Leiharbeiter soll es einen Mindestlohn geben.

Scharfe Kritik der Unions-Haushälter am Hartz-IV-Kompromiss

Der führende Haushaltspolitiker der Unionsfraktion, Norbert Barthle, hat zum Ausgleich für den Hartz-IV-Kompromiss massive Einsparungen gefordert. "Alles, was nun zusätzlich für Hartz-IV-Empfänger ausgegeben wird, muss durch Kürzungen im Etat von Arbeitsministerin von der Leyen gegenfinanziert werden", sagte Barthle gegenüber unserer Redaktion. Barthle kritisierte das Verhandlungsergebnis von Bund und Ländern: "Seitdem die Ministerpräsidenten mit am Tisch saßen, fiel es der Runde erkennbar leichter, das Geld des Bundes auszugeben."

Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion warnt zudem vor drohenden Kürzungen auch in anderen Ressorts. "Die Spielräume für die anderen Ressorts werden nun geringer, weil der Bund die Grundsicherung im Alter von den Kommunen übernimmt", so Barthle. Zwar wolle sich der Bund das Geld dafür bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) holen. Doch sei es am Ende wiederum der Bund, der Defizite der BA mit Zuschüssen ausgleichen müsse.

Seehofer sieht Einigung "gerichtsfest"

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat den Kompromiss zur Hartz-IV-Reform und die damit verbundene Erhöhung des Regelsatzes begrüßt. Opposition und Koalition hätten einen Regelsatz vereinbart, der wirklich das Existenzminimum abbilde, sagte Seehofer im ZDF-"Morgenmagazin". "Ich glaube, dass diese Entscheidung auch vor Gerichten Bestand hat." Seehofer kritisierte zugleich das Verhalten von SPD und Grünen. "Diese Art und Weise der Verhandlung möchte ich so nicht wiedererleben. Das war ein echter Zirkus, das war nicht gut."

Die SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig zeigte sich im "Morgenmagazin" zufrieden mit dem erzielten Kompromiss, in dem sich ihre Partei in einigen Punkten durchgesetzt habe. In Bezug auf die Berechnung des Regelsatzes äußerte Schwesig jedoch erneut Bedenken über dessen Verfassungsmäßigkeit. Die SPD habe ihre Bedenken in den vergangenen acht Wochen immer wieder vorgetragen und Korrekturen gefordert, sagte Schwesig. "Wenn die Bundesregierung hier auf ihrer juristischen Meinung beharrt, dann muss sie auch die Verantwortung übernehmen, wenn das Verfassungsgericht anders entscheidet."

Das Karlsruher Gericht hatte bei seinem Urteil im Januar vergangenen Jahres eine transparent nachvollziehbare Berechnung des Hartz-IV-Satzes verlangt. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Regelsatz-Berechnung waren die Grünen am späten Sonntagabend aus den Verhandlungen ausgestiegen.

Von der Leyen: "Sozialpolitiche Geschichte geschrieben"

Sozialministerin Ursula von der Leyen hat die Hartz-Einigung als großen Erfolg gewertet. Man habe in der Nacht zum Montag "sozialpolitische Geschichte" geschrieben, sagte die CDU-Politikerin am Morgen in Berlin. "Die ganz großen Gewinner dieser Reform sind die Kinder und die Kommunen."

Dieses Ergebnis sei das zähe Ringen wert gewesen. Es habe sich der Grundgedanke durchgesetzt, nicht insgesamt immer mehr Geld in Hartz zu geben, sondern mehr für die Kinder zu investieren. Insofern sei das ein "sehr guter Abschluss", sagte von der Leyen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte am Montag im Deutschlandfunk zum Hartz-IV-Kompromiss süffisant: "Wenn hinterher alle sagen, es ist ein gutes Ergebnis - dann wird es wohl eins sein."

(RTR/AFP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort