Regionalversammlung in Kamen Hannelore Kraft umwirbt die Genossen

Kamen · Auf der SPD-Regionalversammlung in Kamen wurde zwar auch Kritik geäußert, aber die Befürworter des schwarz-roten Koalitionsvertrages waren offenkundig in der Mehrheit. Parteichef Gabriel hatte es gegen Mittag plötzlich sehr eilig.

 Hannelore Kraft warb in Kamen um Unterstützung für den Koalitionsvertrag.

Hannelore Kraft warb in Kamen um Unterstützung für den Koalitionsvertrag.

Foto: dpa, Bernd Thissen

Krasser könnte der Unterschied nicht sein: Auf dem Programm der Stadthalle Kamen stehen sowohl ein Auftritt der "Comedian Harmonists" als auch der Edgar-Wallace-Thriller "Die toten Augen von London". Harmonie und Grusel — ganz so extrem sind die Gegensätze beim SPD-Regionaltreffen gestern in Kamens Stadthalle zwar nicht, aber es gibt stellenweise doch harte Kritik am Koalitionsvertrag.

Eingeladen hat die mächtige SPD Westliches Westfalen (WW), die mit 55 000 Parteizugehörigen die mitgliederstärkste Region bildet. WW und Ostwestfalen-Lippe (OWL) machen etwa die Hälfte der 122 000 SPD-Mitglieder in NRW aus.

Rund 900 Frauen und Männer mit dem Parteibuch in der Tasche haben sich am Vormittag in der Halle versammelt — weit mehr als zunächst angenommen. Es müssen zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden. Im Gegensatz zu anderen SPD-Bezirken darf die Presse nicht dabei sein. Die Mitglieder wollten "hinter geschlossenen Türen diskutieren. Das respektieren wir", hat SPD-Landeschefin Hannelore Kraft dazu im Vorfeld gesagt.

Jetzt sitzt sie in der Halle neben Parteichef Sigmar Gabriel auf dem Podium. Beide haben jeweils rund eine halbe Stunde lang der "Parteibasis" die aus ihrer Sicht unverkennbaren Vorzüge des Koalitionsvertrags erläutert. Gabriel spielt den stärksten Trumpf aus, den tariflichen Mindestlohn. Er weiß, dass der Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Andreas Meyer-Lauber, im Saal ist. Mit ihm übt er vom Rednerpult aus gewissermaßen den Schulterschluss.

Auch Hannelore Kraft lobt das Vertragswerk. In den zurückliegenden Tagen hat sie schon mehrfach von einem "außerordentlich guten Ergebnis" gesprochen und insbesondere die Erleichterungen für die Kommunen herausgestellt — mehr Geld für Bildung und Infrastruktur, und das ohne Finanzvorbehalt.

Doch sehen das die Mitglieder genau so? Wenn sich die Saaltür öffnet und ein Parteimitglied herauskommt, eilen sofort Reporter herbei. Willi Null, Vorsitzender der IG BCE in Oberade, ist skeptisch: "Die Fragen zum Mindestlohn hätten klarer geregelt werden müssen", wendet er ein. Wird er dennoch zustimmen? "Ich bin mir nicht sicher."

Der Sauerländer Gerd-Josef Blass zögert aus einem anderen Grund: "Unsere Jungs an einem Tisch mit Ronald Pofalla und Alexander Dobrindt von der CSU — das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen." Daher bleibe er "einer der größten Skeptiker". Blass wendet ein, dass die Belange der Jugend viel zu kurz kämen: "Wir verfrühstücken die Zukunft unserer Enkel." Er denkt, dass es beim Mitglieder-Entscheid knapp wird: "Das wird eine Millimeter-Entscheidung."

45 Parteimitglieder kommen an diesem Sonntag im Saal zu Wort. Neben Lob für die Verhandlungskommission und bohrenden Nachfragen setzt es auch harsche Kritik. So etwa daran, dass die SPD bei den Verhandlungen in Sachen Doppelpass oder bei den gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nicht genügend "herausgeholt" habe. Ein Dortmunder Genosse bekundet später vor Journalisten, dass er mit Nein stimmen werde.

Doch im Saal sind die Kritiker in der Minderheit. Die Mehrheit der Anwesenden scheint zufrieden zu sein. Hannelore Kraft und Sigmar Gabriel ziehen jedenfalls später eine überaus positive Zwischenbilanz. Die Parteiführung habe in Kamen "viel Rückenwind bekommen", bemerkt Gabriel. Kraft pflichtet ihm bei: Das sei hier keine Showveranstaltung, sondern jedes Parteimitglied könne im Saal offen seine Meinung sagen. Ja, es werde Kritik geäußert, räumt sie ein, aber im Koalitionsvertrag gebe es "eine Menge vorzuweisen".

Auf Nachfragen reagiert Gabriel ein wenig ungehalten, weil er sein Zeitlimit schon deutlich überschritten hat und weiter muss nach Nürnberg. Dort wartet die nächste Regionalkonferenz auf ihn. Ob die Parteibasis in Nordrhein-Westfalen kritischer sei als anderswo, will jemand wissen. Gabriel schüttelt den Kopf. "Nein". Das war's. Dann rasch ein Küsschen für "die Hannelore", und weg ist er. Die NRW-Regierungschefin geht zurück in den Saal. Noch ist die Frageliste nicht abgearbeitet.

(RP)
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