Türkischer Wahlkampf in NRW Kraft sieht die Bundesregierung in der Pflicht

Istanbul/Berlin · Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) pocht auf eine klare politische Linie der Bundesregierung beim Umgang mit Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland. Unterdessen schlagen die Wogen im deutsch-türkischen Verhältnis hoch.

Hannelore Kraft (r.) hier mit Sylvia Löhrmann von den Grünen.

Hannelore Kraft (r.) hier mit Sylvia Löhrmann von den Grünen.

Foto: dpa, ve hpl mov

Die Regierungschefs Merkel und Yildirim reden zwar miteinander - die Empörung in Ankara über die Absage von Auftritten türkischer Minister legt sich aber vorerst nicht. NRW-Ministerpräsidentin Kraft sieht jetzt die Bundesregierung in der Pflicht: "Welches diplomatische Instrument da genommen wird, das muss die Bundesregierung selbst entscheiden, da sehe ich auch die Kanzlerin mit am Zug, sie spricht ja auch mit Erdogan", sagte Kraft dem Deutschlandfunk. "Selbstverständlich" sei auch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) gefragt.

Im hitzigen Streit um die Wahlkampfabsagen für türkische Minister in Deutschland bemühen sich Ankara und Berlin unterdessen um eine Verständigung. Ministerpräsident Binali Yildirim habe in einem einstündigen Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag auch diese Absagen besprochen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Samstag. Die Türkei werde ihre "Taktik beim Wahlprogramm etwas ändern", sagte Yildirim laut Anadolu. Das Gespräch, über das zuerst das ZDF berichtet hatte, wurde auch in Berlin bestätigt. Details wurden aber nicht genannt.

In der kommenden Woche will sich der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit seinem deutschen Kollegen Sigmar Gabriel (SPD) treffen. Verschiedene deutsche Städte hatten Wahlkampfveranstaltungen türkischer Minister abgesagt. Im badischen Gaggenau wurde das zum Beispiel mit Sicherheitsbedenken begründet. Das Vorgehen sorgte für einen Sturm der Entrüstung in Ankara.

Im Wahlkampf um die umstrittene Verfassungsreform in der Türkei kochen die Emotionen derzeit hoch - auch gegen Deutschland. Einen Höhepunkt der Angriffe lieferte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan am Freitagabend, als er den in der Istanbul inhaftierten deutsch-türkischen "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel als "deutschen Agenten" bezeichnete. Der Präsident sagte laut Anadolu: "Als ein Vertreter der PKK, als ein deutscher Agent hat sich diese Person einen Monat lang im deutschen Konsulat versteckt." Kommentar aus dem Auswärtigen Amt: "Das ist abwegig."

Erdogan kritisierte auch die Absage der Auftritte seiner Minister, die in Westeuropa für das von ihm angestrebte Präsidialsystem werben wollten. Die Verantwortlichen müssten wegen "Beihilfe zum Terror vor Gericht kommen". Das Referendum zum Präsidialsystem findet am 16. April statt. Es würde Erdogan große Machtfülle verschaffen.

Ministerpräsident Yildirim forderte bei einem Wahlkampfauftritt in der zentralanatolischen Stadt Kirsehir am Samstag die deutschen Behörden auf, "ihre mit einer guten bilateralen Beziehung unvereinbare Einstellung zu überdenken". In Deutschland lebende türkische Staatsangehörige sollten der Welt mit einer Zustimmung zur geplanten Verfassungsänderung eine "Demokratielektion" erteilen.

Justizminister Bekir Bozdag warf Deutschland vor, Menschenrechte "mit Füßen zu treten". Die kurzfristige Absage seines Auftritts in Gaggenau bezeichnete er erneut als "faschistisches Vorgehen".

Deutsche Politiker wie die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özguz, kritisierten die Reaktionen der türkischen Regierung. Diese seien "völlig überzogen", sagte die SPD-Politikerin der "Augsburger Allgemeinen". "Keinem der beiden Länder ist mit der derzeitigen politischen Eskalation gedient."

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann forderte die Türkei ebenfalls zur Mäßigung auf. Türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden lehne er ab, sagte der CSU-Politiker der "Bild"-Zeitung. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warb dagegen für Toleranz. "Wenn wir Meinungsfreiheit ernst nehmen, dürfen wir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten", sagte er der "Welt am Sonntag".

Auch der türkische Außenminister zeigte sich entschlossen, bei türkischen Bürgern in Westeuropa für das Verfassungsreferendum zu werben. "Wir werden hingehen, wo wir wollen. Wir werden unsere Bürger treffen, wir werden unsere Versammlungen abhalten", sagte Cavusoglu nach Angaben von Anadolu am Samstag.

Die niederländische Regierung prüft derzeit, ob sie einen geplanten Auftritt Cavusoglus in Rotterdam rechtlich verhindern kann. Dafür hatte sich Ministerpräsident Mark Rutte ausgesprochen. Bürgermeister Ahmed Aboutaleb teilte aber mit, er könne die Veranstaltung nur untersagen, wenn die öffentliche Sicherheit nicht gewährleistet sei.

(dafi/dpa)
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