Handwerk kritisiert Wirtschaftsminister „Viele lassen sich noch schnell eine Gas-Heizung einbauen“

Interview | Berlin · Der neue Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Jörg Dittrich, hat wenig Verständnis für die Art und Weise, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck das Heizungsgesetz umsetzt. Bürgerinnen und Bürger seien verunsichert.

Ein Gaszähler im Keller eines Einfamilienhauses (Archiv).

Ein Gaszähler im Keller eines Einfamilienhauses (Archiv).

Foto: dpa/Jan Woitas

Herr Dittrich, das Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erregt die Gemüter, weil es den Einbau klimafreundlicher Heizungen vorschreibt. Haben Sie Verständnis für die Aufregung?

Dittrich Nach meiner Wahrnehmung unterstützen die Menschen die Klimaziele, aber wenn es um das konkrete Handeln jedes einzelnen geht, ist politisches Fingerspitzengefühl gefragt. Das lässt die Regierung vermissen. So wurde etwa das Gebäudeenergiegesetz in einer Art Schweinsgalopp durchgepeitscht, nachdem es aus Sicht des Wirtschaftsministers an die Medien durchgestochen worden war. Doch ein Gesetz dieser Tragweite, das für die nächsten Jahrzehnte die Weichen fundamental neu stellt, erfordert zwingend intensive Beratungen. Dass die sachverständigen Organisationen und Verbände stattdessen – über die Ostertage – lediglich vier Tage für eine Reaktion erhalten haben, spricht für sich und ist inakzeptabel.

Wie reagieren Ihre Kunden? Wie groß ist die Nachfrage nach Wärmepumpen?

Dittrich Die Aufregung unserer Kunden ist sehr groß. Das Heizungsgesetz ist überall Thema. Ich kenne viele, die sich jetzt noch schnell eine neue Gas-Heizung einbauen lassen, weil das ja nach derzeitigen Planungen ab 2024 verboten sein wird. Viele teilen die Einschätzung des Wirtschaftsministeriums nicht, dass sie die Gas-Heizung langfristig wegen steigender Gaspreise teurer zu stehen kommen würde als der Einbau einer Wärmepumpe plus möglicherweise dann dafür notwendiger Gebäudesanierung. Da ist Vieles aus meiner Sicht noch unausgegoren: Reichen die Netze, der Strom? Ob wir für all die Wärmepumpen überhaupt genügend Strom haben werden, das wissen wir nicht. Daher wäre es besser, das alles erst einmal nüchtern und ideologiefrei zu durchdenken, zu klären und in einen abgestimmten Plan zu bringen. Der Start des Heizungsgesetzes sollte daher unbedingt verschoben werden. Die Länder haben den 1. Januar 2027 gefordert. Wenn sich die Ampel auf 2025 oder 2026 einigen würde, wäre schon manches gewonnen.

 Jörg Dittrich (53), Inhaber eines Dachdecker-Betriebs in Dresden, ist seit Jahresbeginn Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH).

Jörg Dittrich (53), Inhaber eines Dachdecker-Betriebs in Dresden, ist seit Jahresbeginn Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH).

Foto: dpa/Jan Woitas

Jährlich müssten eine halbe Million Wärmepumpen eingesetzt werden, um die Klimaziele zu erreichen. Ist das machbar?

Dittrich Gerade werden wir von chinesischen, koreanischen und japanischen Wärmepumpen überschwemmt, sie sind also jetzt nicht mehr knapp. Aber wenn wir hinzunehmen, dass gleichzeitig auch noch die vielen Gebäudesanierungen anstehen, also Wärmedämmung, Gebäudehülle und -technik insgesamt, der Aufbau der Solardächer et cetera, dann ist das kapazitätsmäßig nicht zu leisten.

So soll die Abwrackprämie für Heizungen funktionieren​
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Foto: dpa/Silas Stein

Der Wirtschaftsminister plant auch einen Industriestrompreis, um die hohen Energiekosten für die Industrie mit staatlicher Hilfe zu senken, damit sie wettbewerbsfähig bleibt. Wie bewerten Sie, dass das auf die Industrie beschränkt bleiben soll?

Dittrich Diese Überlegungen sind nicht der richtige Weg. Der Kanzler hat doch Recht, wenn er feststellt: Der Strompreis muss insgesamt runter. Alle Unternehmen, Handwerk, Mittelstand und Industrie brauchen sichere, bezahlbare Energie, wettbewerbsfähige Strompreise – die energieintensiven umso mehr. Einseitige Privilegierungen verbieten sich, sie sind kontraproduktiv. Es braucht ein Strommarktdesign aus einem Guss. Bis das steht, kann eine zeitlich befristete „Transformationsbrücke“ sinnvoll sein. Über diese Brücke müssen dann allerdings alle energieintensiven Unternehmen gehen können, nicht nur einige.

Dafür dürfte der Regierung aber das Geld fehlen. Gleichzeitig zeichnet sich schon ab, dass die Sozialabgaben und damit die Lohnnebenkosten weiter steigen. Wie gehen Sie damit um?

Dittrich In den 2000-er Jahren galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Darauf wurde mit der Agenda 2010 reagiert. Genau wie damals haben wir jetzt wieder einen Reformstau: Die Betriebe ächzen unter der Überbürokratisierung auf fast allen Ebenen, das Bildungssystem muss dringend reformiert werden. Und die Sozialversicherung ist das dickste dieser Reform-Bretter. Obwohl allen bewusst ist, wie eklatant notwendig ganz grundsätzliche Reformen bei den Sozialversicherungen sind: Darüber reden will so wirklich keiner, nicht die Regierung und auch keine Partei. Das Handwerk als lohnintensiver Bereich trägt überproportional zur Finanzierung der Sozialsysteme bei. Das kann nicht so bleiben, diese Lasten müssen fair verteilt werden.

Was stellen Sie sich da konkret vor?

Dittrich Wir können im Sozialversicherungs-Bereich Reformen nicht länger aufschieben, nur weil es zu schwierig erscheint. Wir müssen da endlich ran – und zwar ohne Tabus. Mir erschließt es sich beispielsweise nicht, warum die jüngere Generation für die steigende Lebenserwartung der Rentnerinnen und Rentner alleine aufkommen soll. Die steigende Lebenserwartung beim Renteneintrittsalter weiter außen vor zu lassen, können wir uns nicht mehr leisten.

A propos Jüngere: Wie sieht das Ausbildungsjahr 2023 aus?

Dittrich Da das Schuljahr bald endet, stehen wir am Beginn der heißen Phase, in der Ausbildungsverträge abgeschlossen werden. Ende April waren bei unseren Handwerkskammern noch knapp 40.000 offene Ausbildungsplätze gemeldet. Ich kann Jugendliche nur ermutigen: Nutzt diese 40.000 Chancen und startet eine Ausbildung. Das Handwerk bleibt der Ausbilder der Nation: Wir haben knapp zehn Prozent Anteil an der Wirtschaftsleistung, bilden aber 30 Prozent aller Jugendlichen aus. Wegen des großen Bedarfs an handwerklichen Fachkräften für die Transformationen brauchen wir jede und jeden im Handwerk. Allerdings ist es schwierig für Handwerksbetriebe, genügend Bewerberinnen und Bewerber zu finden. Besonders groß ist der Bedarf bei den Klimaberufen, also etwa bei Heizung-Sanitär-Klima, bei Elektroinstallateuren, generell am Bau, aber auch in den Lebensmittel- oder in den handwerklichen Gesundheits-Berufen.

Das Problem des grassierenden Fachkräftemangels ist der Politik inzwischen bekannt. Aber reicht es aus, ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz zu verabschieden?

Dittrich Ganz sicher nicht, das kann allenfalls einen Beitrag leisten. Wir müssen uns viel stärker darauf konzentrieren, die inländischen Fachkräfte-Potenziale zu heben. Mehr Frauen müssen die Möglichkeit der Arbeit in Vollzeit bekommen. Dafür müssen wir mehr tun für die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern. Die hohe Zahl von jährlich über 50.000 jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluss abbrechen, ist nicht hinnehmbar. Was läuft da schief?

Wie läuft Ihre Kampagne, mehr Abiturienten zu gewinnen?

Dittrich Wir haben immer noch zu viele Abiturienten, die ein Studium beginnen und dann wieder abbrechen: An den Gymnasien ist es immer noch so, dass die Schülerinnen und Schüler vor allem eine Studienberatung erhalten und die Perspektiven beruflicher Bildung gar nicht vorkommen. Auch der Übergang von der Schule in die Ausbildung funktioniert nicht mehr richtig, verschärft durch die Corona-Jahre. Laut Mikrozensus gibt es aktuell rund 600.000 junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren, die zwar die Schule verlassen haben, aber danach nicht in einer Arbeitsstelle oder in der Berufsausbildung angekommen sind, also weder eine Ausbildung oder Studium begonnen haben. Wo sind die geblieben? Hier muss die Politik dringend mehr hinschauen.

Der Arbeitsminister hat gesagt, er erwarte im kommenden Jahr eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns. War das in Ordnung?

Dittrich Mit der Politik war vereinbart worden, dass die unabhängige Mindestlohnkommission, in der Vertreter der Sozialpartner sitzen, über die Höhe des Mindestlohns entscheiden. An diese Vereinbarung hat sich die Regierung schon gleich nach ihrem Amtsantritt nicht gehalten: Denn sie hat eingegriffen und den Mindestlohn einmalig, wie sie sagt, zum 1. Oktober 2022 auf zwölf Euro erhöht. Wenn nun der Arbeitsminister seine Erwartung für 2024 äußert, greift er indirekt schon wieder ein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das ohne Absicht gesagt hat. Ihm muss schon klar sein: Je mehr sich Politik in die Lohnfestlegung einmischt, desto stärker untergräbt sie die Tarifautonomie und das über Jahrzehnte bewährte Zusammenwirken der Sozialpartner. Also halten wir uns entweder daran, dass die Festlegung des Mindestlohns Sache der Sozialpartner ist, oder aber die Politik muss dann, wenn sie das nicht mehr vorhat, auch so ehrlich sagen, wir geben das auf.

Was halten Sie von der Gewerkschafts-Idee einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich?

Dittrich Wir sind dafür, dass in den Betrieben und Unternehmen entschieden wird, welche Arbeitszeiten gelten und wie die Arbeitszeit über die Woche verteilt wird. Da brauchen wir mehr Flexibilität, aber die wollen Politiker und Gewerkschaften nicht so gerne zugestehen. Zur Vier-Tage-Woche frage ich: Ist die Produktivität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beliebig steigerbar? Wenn die Gewerkschaften einerseits die Verdichtung von Arbeit beklagen, andererseits aber meinen, dasselbe Arbeitsvolumen lasse sich auch in vier statt fünf Tagen erledigen, dann passt das nicht zusammen.

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