CDU-Vize Norbert Röttgen "Halte Merkel als EU-Präsidentin für möglich"

Berlin · Man kann mit Angela Merkel über vieles reden. Über ihre eigene Zukunft allerdings nicht. Kein Wort verrät die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende in Gesprächen mit Journalisten über ihre persönliche Karriereplanung.

Für Politiker gilt es als Todsünde: Wer öffentlich über das Ende der eigenen Karriere spekuliert oder nur vorsichtig einen Jobwechsel thematisiert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er sei amtsmüde. "Lame duck" ("lahme Ente") nennen die Angelsachsen den Autoritätsverfall. Diesen Gefallen will Merkel ihren Kritikern nicht tun. Aber wie lange will sie noch Kanzlerin sein? Und was käme danach? Aufschluss geben ansatzweise Personen, die sich – mal mehr, mal weniger berechtigt – zum "Umfeld" der Kanzlerin zählen. In diesen Kreisen wird ein Szenario gespielt, das durchaus plausibel klingt. Demnach setzt Merkel zunächst alles daran, 2013 als Kanzlerin bestätigt zu werden.

Das Thema dafür ist ihr aufgezwungen worden: die Euro-Krise. Die Regierungschefin will sich als resolute Krisenmanagerin bewähren, die Deutschland ohne Blessuren aus dem Schlamassel herausgeführt hat und in Europa den Ton angibt. Der notwendige Umbau der komplexen Staatengemeinschaft EU zu einer nachhaltig stabilen Union soll die Handschrift der Deutschen tragen. Dann, so die Hoffnung im Kanzleramt, könnte die SPD keine Wechselstimmung im Land gegen die Kanzlerin erzeugen. Zwar wird damit gerechnet, dass sich die FDP bis 2013 nicht wirklich erholt, doch muss die Union nur so stark werden, dass es für Rot-Grün nicht reicht. "Unser Ziel ist, dass gegen Merkel und die Union keine Regierung gebildet werden kann", heißt es im Kanzleramt.

Je nach Mehrheit könnte Merkel dann eine schwarz-grüne Regierung anführen (es wäre ihr zweiter grundsätzlicher Wechsel in der Regierungskonstellation – Rekord) oder eben wieder mit den Sozialdemokraten eine große Koalition bilden. "Beides ist für Merkel kein Problem", sagt ein einflussreiches CDU-Präsidiumsmitglied. Mit den potenziellen SPD-Kandidaten Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück hat die CDU-Chefin jedenfalls zwischen 2005 und 2009 gut zusammengearbeitet.

Doch was dann? Es gibt sanfte Anzeichen dafür, dass Merkel 2015 aus freien Stücken ihr Amt abgeben könnte. "Sie ist völlig mit sich im Reinen und muss sich nichts mehr beweisen", sagt jemand aus der Umgebung der Kanzlerin. Sicher, die Euro-Krise weckt in Merkel neue Leidenschaft. Die Regierungschefin arbeitet derzeit fast rund um die Uhr, saugt neugierig sämtliche Details zur europäischen Schuldenkrise auf und gerät fast ins Schwärmen, wenn sie über die "große Chance" spricht, die die Krise für einen Neubau Europas bietet. Hinzu kommt eine unglaubliche Disziplin und körperliche Fitness, die ihrem eigenen Stab immer wieder zu schaffen macht. Doch Merkel hat auch die Fälle von Spitzenpolitikern erlebt, die aus ihren Ämtern geputscht, gedrängelt und geschrieben worden sind. Diese Häme will sie nicht erleben. Dass sie nach einer möglichen dritten Wahl und einer gewissen Karenzzeit ihr Amt aufgeben könnte, halten Vertraute nicht für unwahrscheinlich.

Die Regelamtszeit für Kanzler solle bei acht Jahren, also zwei Legislaturperioden, liegen, hat SPD-Altkanzler Helmut Schmidt einmal gesagt. Für mehr reiche die Kraft einfach nicht. Bei einer Wiederwahl 2013 wäre Merkel acht Jahre im Amt. 2015 wäre sie 62 Jahre alt – ein gutes Alter, um einen internationalen Posten zu übernehmen. Ihr Stellvertreter Norbert Röttgen, dem ebenso wie Arbeitsministerin Ursula von der Leyen Kanzlerambitionen nachgesagt werden, bringt die CDU-Vorsitzende schon mal für die Position des EU-Präsidenten ins Gespräch.

In der Tat könnte ein mit neuer Macht ausgefüllter EU-Chefsessel Angela Merkel reizen. In der aktuellen Euro-Krise hat die Kanzlerin ein fast kindliches Interesse für die kniffligen Verhandlungen in Brüssel und die komplizierten Vertragsdetails der europäischen Staatengemeinschaft entwickelt. Als eigenen Nachfolger würde Merkel, so weit ist sich ihr Umfeld dann doch sicher, am liebsten den bisherigen Verteidigungsminister Thomas de Maizière berufen. Der CDU-Mann aus Sachsen ist ein Multitalent und Merkels enger Vertrauter. Wie er die Bundeswehrreform leise und ohne großen Widerstand der Länder umgesetzt hat und die CDU-Delegierten auf dem Leipziger Parteitag mit einer Vision für Europa und einer Neudefinition des Konservativen beeindruckt hat, dürfte auch Merkel aufgefallen sein.

Merkels Rückzug wäre jedenfalls ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik: Noch nie hat ein Bundeskanzler aus freiem Willen die Schaltzentrale der Macht verlassen. Es gab Rücktritte nach Affären und innerparteilichen Streitigkeiten (Willy Brandt, Ludwig Erhard, Konrad Adenauer), Abwahlen durch das Volk (Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Kurt Georg Kiesinger) und Abwahlen durch das Parlament (konstruktives Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt). Zwei Unwägbarkeiten beinhaltet das Exit-Szenario indes. Der Wähler könnte Schwarz-Gelb 2013 eine Absage erteilen und SPD und Grüne an die Macht wählen. Oder die Merkel-Vizes von der Leyen und Röttgen mucken auf und versuchen, die Kanzlerin mit anderen Mitteln abzulösen. Merkel dürfte Ersteres für gefährlicher halten.

(RP/felt)
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