Halbzeit für Steinmeier Der wohl politischste Bundespräsident der Geschichte

Berlin · Ein Bundespräsident repräsentiert viel. Wie kein anderer vor ihm hat Frank-Walter Steinmeier aber auch ins politische Geschehen eingegriffen. Seine Amtszeit ist jetzt zur Hälfte vorbei.

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender beim Bürgerfest im Park von Schloss Bellevue.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender beim Bürgerfest im Park von Schloss Bellevue.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Ein Nachmittag Ende Mai: Frank-Walter Steinmeier sitzt mit seiner Frau Elke Büdenbender in der Besprechungskabine eines Airbus A340 der Luftwaffe, um sie herum eine Handvoll Journalisten. Die Maschine steuert Usbekistan an. Das zentralasiatische Land wurde noch bis 2016 diktatorisch regiert. Nun öffnet es der neue Präsident Schawkat Mirsijojew vorsichtig, leitet Reformen ein. „Neben Licht gibt es auch viel Schatten. Aber wenn das Licht mehr werden soll, ist jetzt der richtige Zeitpunkt dorthin zu fahren“, begründet Steinmeier beim Flug nach Taschkent seinen Besuch. Tags drauf wird er Mirsijojew sagen, Deutschland wolle ihn „ermutigen und unterstützen, auf diesem Weg entschlossen weiter zu gehen“.

Ermutigen und unterstützen, das ist seit dem Amtsantritt am 19. März 2017 eine Art Regierungsprogramm für Steinmeier geworden - im Inland wie im Ausland. Der Gedanke zieht sich wie ein roter Faden schon durch seine Rede gleich nach der Wahl in der Bundesversammlung am 12. Februar 2017. Und er taucht wieder auf in der Rede zu seiner Vereidigung am 22. März. „Die Staatsform der Mutigen - das ist die Demokratie“, sagt Steinmeier da. Diesen Mut brauche es bei Regierten wie Regierenden. „Denn nur wer selber Mut hat, kann auch andere ermutigen, und nur der kann Mut erwarten.“

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In Deutschland kommt eine weitere Aufgabe hinzu: Das Land zusammenhalten. Gerade angesichts der Fliehkräfte, die an ihm zerren. Gerade in Zeiten, in denen die für selbstverständlich gehaltene liberale Demokratie plötzlich vielfach wieder infrage gestellt wird.

Sehr schnell und wie kein anderes Staatsoberhaupt vor ihm wird der heute 63-Jährige in dieser Rolle gefordert. Als nach der Bundestagswahl 2017 die Jamaika-Option nach wochenlangen Sondierungen platzt, sind diese Fliehkräfte besonders stark. Neuwahlen scheinen der einzige Ausweg. Doch Steinmeier erteilt den Parteien eine Art Ordnungsruf: „Ich erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen. Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.“

Am Ende werden Neuwahlen vermieden, steht eine weitere große Koalition. Wenig Verständnis hat Steinmeier für den Vorwurf, er habe mit seiner Hartnäckigkeit die SPD in dieses ungeliebte Bündnis gedrängt, sei mitverantwortlich für den schnell einsetzenden Abstieg der Genossen. „Ich habe schlicht und einfach die Verfassungslage erläutert“, sagt der Sozialdemokrat, dessen Parteimitgliedschaft während seiner Präsidentenzeit ruht.

Fliehkräfte erlebte das Land nicht nur auf der großen politischen Bühne. Auch in der Gesellschaft wirken sie, gefühlt stärker als je zuvor. Regionen fühlen sich abgehängt, Stadt und Land driften auseinander, Ost und West haben 30 Jahre nach dem Mauerfall noch immer nicht richtig zusammen gefunden. Dies umtreibt den Präsidenten.

So fährt er in den ersten zweieinhalb Jahren viel durch die Republik, bevorzugt dorthin, wo sich Politiker aus Berlin sonst eher selten sehen lassen. „Land in Sicht“ lautet das Motto einer Besuchsreihe, die ihn in den Bayerischen Wald ebenso führt wie in die Oberlausitz oder nach Ostfriesland. Und mit „Kaffeetafeln“ versucht er, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen.

Die Herausforderungen für das Gemeinwesen sind seit dem Amtsantritt gewachsen. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vermutlich durch einen Rechtsextremisten ist ein Beispiel, zunehmende Übergriffe auf Juden sind ein anderes. Steinmeier setzt Zeichen, trifft sich mit dem attackierten Rabbiner Yehuda Teichtal in Berlin und spricht mit der Witwe Lübckes in Kassel.

Er lädt demonstrativ Kommunalpolitiker ins Schloss Bellevue ein. Und er findet klare Worte: „Gemeinderäte, Kreisräte und Oberbürgermeister sind kein Freiwild und nicht der Fußabtreter der Frustrierten, weder im Internet noch auf den Straßen und Plätzen unserer Republik.“ Angriffe auf sie seien Angriffe „auf das Wurzelwerk der Demokratie“.

In die Tagespolitik mischt sich ein Bundespräsident üblicherweise nicht ein, was seine Arbeit wenig schlagzeilenträchtig macht. Manchmal scheint Steinmeier diese Grenze aber dehnen zu wollen. Etwa, wenn er zwei Tage vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg Wähler und Kandidaten an ihre Verantwortung erinnert und appelliert: „Treibt unser Land nicht auseinander!“ Oder wenn er Stunden vor dem Antrittsbesuch des britischen Premiers Boris Johnson in Berlin laut darüber nachdenkt, ob es sich bei dessen Wunsch nach Neuverhandlung des Brexit-Vertrages nicht in Wahrheit schon um „Schuldzuweisungen“ für einen ungeregelten Austritt seines Landes aus der EU handelt.

Überhaupt Europa. Es liegt Steinmeier erkennbar am Herzen. Und es ärgert ihn, dass sich dieses Europa seit Jahren nur noch mit sich selbst und mit dem Exit der Briten beschäftigt. Während andere wichtige Themenfelder wie etwa Klimaschutz liegen bleiben. Steinmeier warnt vor einer „Dauerkrise“ der EU - bislang vergeblich. Sein leidenschaftliches Eintreten für das geeinte Europa rührt nicht zuletzt aus der Erkenntnis, dass dieses erst die Aussöhnung auf dem Kontinent nach dem Blutvergießen im vergangenen Jahrhundert möglich gemacht hat. Und dass dieses geeinte Europa die beste Garantie gegen einen Rückfall in Nationalismus, Hass und Gewalt ist.

Das Thema hat Steinmeier zuletzt stark beschäftigt. Im italienischen Fivizzano gedenkt er der Opfer eines SS-Massakers. Im polnischen Wielun, dem ersten Angriffsziel Hitler-Deutschlands, nimmt er an der Gedenkveranstaltung zum Beginn des Zweiten Weltkriegs teil. Dorthin gehen, wo sonst kaum jemand hingeht - das ist ihm auch bei diesen Reisen wichtig. In Polen hätte er wie andere deutsche Politiker zuvor auch zur Danziger Westerplatte fahren können. Und Steinmeier setzt auch hier Zeichen. Dass er in Wielun den zentralen Satz „Ich bitte um Vergebung“ auf Polnisch wiederholt und in Fivizzano gleich die ganze Rede auf Italienisch hält, wird ihm hoch angerechnet.

Wer Steinmeier auf seinen Auslandsreisen beobachtet, gewinnt oft den Eindruck, da sei noch immer der frühere Außenminister unterwegs. Kaum eine Region, in der er sich nicht auskennt. Kaum ein Gastgeber, dem er nicht schon früher über den Weg gelaufen ist. Zur Halbzeit wird das Ehepaar Steinmeier-Büdenbender wieder im Flugzeug sitzen. Und es wird wieder zu einem alten Bekannten reisen: In Rom erwartet sie Staatschef Sergio Mattarella zum Staatsbesuch.

(lukra/dpa)
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