Cyber-War Hacker nutzen 900 Millionen Angriffsprogramme

Berlin · Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik legt ein besorgniserregendes neues Lagebild zur Cybersicherheit vor

 Arne Schönbohm (l), Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), stellt zusammen mit Horst Seehofer (CSU), dem Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, den Lagebericht des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik vor.

Arne Schönbohm (l), Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), stellt zusammen mit Horst Seehofer (CSU), dem Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, den Lagebericht des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik vor.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Die Gefahr, von Schadprogrammen im Internet getroffen zu werden, ist „auf hohem Niveau angespannt“, sie ist zudem vielfältiger geworden und wird von den Tätern deutlich professioneller ausgeübt. Auf diese Formel brachte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) das aktuelle Lagebild zur IT-Sicherheit in Deutschland. Seit Mitte letzten Jahres hat das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) 114 Millionen neue Varianten von Schadsoftware entdeckt. Hacker verfügen damit erstmals über 900 Millionen verschiedene Angriffsprogramme. Besonders tückisch schlage derzeit der Trojaner „Emotet“ zu, den BSI-Präsident Arne Schönbohm als den „König der Schadsoftware“ bezeichnete.

Dieses Programm kommt für die meisten Benutzer nicht wahrnehmbar über infizierte Mails in die Rechner, kann die Inhalte der Mails und die Kontakte des Benutzers auswerten und selbständig neue Mails auf den Weg bringen, die sich auf die Inhalte beziehen und daher von den Kontakten des Betroffenen als unverdächtig angesehen werden. Tatsächlich öffnet „Emotet“ weiteren Schadprogrammen den Zugang, um beispielsweise Geldströme anzugreifen. Schönbohm befürchtet, dass die Organisierte Kriminalität in Zukunft auch vermehrt Künstliche Intelligenz im Netz einsetzen will, um Sicherheitslücken für Straftaten und Verbrechen zu nutzen.

Der Schutz müsse der Gesellschaft „in Fleisch und Blut“ eingehen, forderte Schönbohm. Sonst werde die Digitalisierung scheitern. Einzelne Firmen hätten durch Cyberangriffe im Berichtszeitraum bis zu 40 Millionen Euro Schaden erlitten. Nachdrücklich warnte der BSI-Chef auch vor Gefahren für die Gesundheit. Das sei zum Beispiel dann nicht auszuschließen, wenn das autonome Fahren oder Medizinsysteme von erfolgreichen Angriffen betroffen seien.

Dass das alles keine theoretischen Bedrohungsszenarien mehr sind, beleuchtete Schönbohm am Beispiel des niedersächsischen Neustadt am Rübenberge. Die Verwaltung der 45.000-Einwohner-Stadt war eine ganze Woche lahmgelegt. Auch die zwölf Kliniken in Rheinland-Pfalz und im Saarland, deren IT in die Knie gezwungen worden war, tauchen in der BSI-Übersicht auf. Hier sei es um den Versuch einer Schutzgelderpressung gegangen. Nach Erkenntnissen des BSI stecken zum Teil auch ausländische Geheimdienste hinter den professionell geführten Attacken, sehr oft sei die organisierte Kriminalität jedoch der Urheber.

Seehofer würdigte die Arbeit des BSI, dessen Fähigkeiten von Experten anderer Regierungen wiederholt gelobt würden. Schönbohm wies darauf hin, dass seine Behörde von den täglich abgewehrten 64.000 Angriffen auf die Regierungsnetzwerke 39.000 nur aufdecken könne, weil sie dafür selbst entwickelte Software einsetze. Längst kümmert sich die eigentlich vor allem für öffentliche Stellen zuständige Behörde auch um die Sicherheit der Bevölkerung. Schönbohm warnte davor, dass selbst nagelneue Tablets bereits mit Schadprogrammen infiziert seien. Deshalb sei es um so dringlicher, dass es ein verlässliches Gütesiegel gebe, auf das sich die Verbraucher verlassen könnten. Die entsprechende gesetzliche Grundlage befindet sich derzeit allerdings noch in der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung.

Nach Schönbohms Darstellung hat das BSI den dringend benötigten und schon genehmigten Stellenzuwachs zu 95 Prozent besetzen können. Aus der Sicht der Gewerkschaft der Polizei hinkt der öffentliche Dienst jedoch auf der Suche nach Spezialisten „bei wichtigen Aspekten wie Entgelt, Arbeitszeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie mobilem Arbeiten den Angeboten der Wirtschaft immer noch deutlich hinterher“, erklärte Gewerkschaftschef Oliver Malchow. Er setzte sich für eine „Präventionsoffensive“ ein, weil viele Menschen in einem Dilemma steckten. Sie wollten nicht von Kurznachrichtendiensten, Online-Shopping oder mobilem Streaming abgekoppelt sein, fühlten sich jedoch durch die Komplexität der digitalen Möglichkeiten überfordert und würden so zu leichten Opfern für Cyberkriminelle. Deshalb müssten die Inhalte in verständlicher Form zu den Menschen gebracht und nicht nur als Download angeboten werden.

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