Wirtschaftsminister in den USA Versorgung ist für Habeck jetzt wichtiger als das Klima

Analyse | Berlin · Nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine ist auf einmal alles anders. Aus Habecks Antrittsbesuch in den USA wird ein Krisentreffen und aus dem früheren Chef einer Friedenspartei ein Verfechter höherer Militärausgaben.

 Wirtschaftsminister Robert Habeck (Mitte) und Christian Forwick (l.), Experte für Transatlantische Beziehungen, sind unterwegs in Washington D.C.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Mitte) und Christian Forwick (l.), Experte für Transatlantische Beziehungen, sind unterwegs in Washington D.C.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Alles steht Kopf, auch für Robert Habeck. Eine Woche nach Ausbruch des Krieges ist der Bundeswirtschaftsminister in die USA gereist. Aus seinem Antrittsbesuch wird ein Krisentreffen. Aus dem Ex-Chef einer Friedenspartei wird ein Fürsprecher für höhere Militärausgaben. Und aus dem Grünen-Politiker wird ein Kümmerer um fossile Energien. „Die Situation in der Ukraine überschattet alles“, sagt Habeck in Washington. Die russischen Bombenangriffe auf ukrainische Städte, denen immer mehr Zivilisten zum Opfer fallen, bezeichnet er als „absolut verabscheuungswürdig“. Die jüngsten Angriffe würden die Bereitschaft erhöhen, „tougher zu sein“.

Tough, so lässt sich auch die Schlagzahl der energiepolitischen Manöver beschreiben, die Habeck gerade vollzieht. Er schließt nicht mehr aus, dass die Kohlekraftwerke in Deutschland länger laufen, um unabhängiger von Russland zu werden. „Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen, die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein“, sagt Habeck am Mittwoch. Und: Im Zweifel sei diese Sicherheit wichtiger als der Klimaschutz. Vor wenigen Tagen wären diese Sätze aus dem Mund des ersten grünen Wirtschaftsministers noch undenkbar gewesen. Und sie dürften harte Diskussionen bei den Grünen nach sich ziehen.

Habeck ist sichtlich darum bemüht, es nicht als grundlegenden Kurswechsel aussehen zu lassen. Die Reise soll in Richtung erneuerbarer Energien gehen, daran lässt er keinen Zweifel. Die Unabhängigkeit in der Energiepolitik und eine klimaneutrale Produktion seien im Grunde das gleiche, sagt Habeck. „Je stärker wir uns auf eigene Energiequellen stützen, umso souveräner agieren wir auch außenpolitisch.“

Für den Moment trennt Habeck der Atlantik von den Debatten im eigenen Land, zumindest geografisch. Und in den USA wird er mit offenen Armen empfangen, davon zeugt die Liste hochkarätiger Gesprächspartner: Finanzministerin Janet Yellen, Energieministerin Jennifer Granholm und Sicherheitsberater Jake Sullivan gehören dazu, kurzfristig kommt ein Treffen mit Außenminister Antony Blinken zustande.

100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, die klare Zusage zum Zwei-Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben, die Waffenlieferungen in die Ukraine – all das hinterlässt Eindruck in den USA. Die „Bereitschaft, eine dienende Führungsrolle auszuüben“, werde in Washington erfreut zur Kenntnis genommen, sagt Habeck. Voller Inbrunst verteidigt er die sicherheitspolitische Kehrtwende. „Es ist richtig, dass wir die Ukraine mit Waffen beliefern, und wir hätten es auch vorher schon tun sollen.“ Die Grünen müssen sich an solche Töne noch gewöhnen.

Die Wirtschaft reagiert. Der größte Braunkohle-Verstromer in Deutschland zeigt sich aufgeschlossen. „Jetzt muss es darum gehen, Vorsorge zu treffen, um die Versorgungssicherheit in Deutschland auch für ein Krisenszenario zu sichern, in dem Rohstofflieferungen aus Russland ausbleiben“, erklärte RWE. Das betreffe den nächsten Winter und die nächsten Jahre. Nicht aber die Frage, wann das richtige Datum für den Kohleausstieg ist. RWE prüft drei Wege: Man kann Kohlekraftwerke aus der Sicherheitsbereitschaft herausholen, stillgelegte Anlagen wieder zurück ans Netz bringen oder geplante Stilllegungen verschieben. Das würde viel bringen: Drei Braunkohle-Blöcke befinden sich aktuell in der „Sicherheitsbereitschaft“, davon stehen zwei Blöcke mit 300 Megawatt (MW) im September in Niederaußem und einer 2023 in Neurath zur Stilllegung an. Drei Blöcke sollen in diesem Jahr außer Betrieb gehen: Neurath A (300 MW), Neurath D und E (je 600 MW). Offen ist, was eine Renaissance der Kohle für die Tagebau-Planung und die Dörfer bedeutet.

Bei der Steinkohle hat RWE gerade erst die Kraftwerke Westfalen und Ibbenbüren (je 800 MW) stillgelegt. In der Lausitz ist eine Abschaltung aus politischen Gründen ohnehin erst später geplant. Eine Laufzeit-Verlängerung für Atomkraftwerke lehnt der Konzern dagegen ab, RWE betreibt einen der drei noch laufenden deutschen Meiler. Zugleich fordert RWE einen „Booster“ für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Errichtung von LNG-Terminals. Eigentlich wollte der Konzern die Kohle schnell hinter sich lassen und zum größten Ökostromkonzern Europas werden. Doch auch hier verändert der Krieg alles.

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