Annalena Baerbock im ARD-Interview „So heilig war ich nie“

Analyse | Düsseldorf · In der ARD-Sendung „Farbe bekennen“ musste Annalena Baerbock unbequeme Fragen zur Korrektur ihres Lebenslaufs und sinkenden Umfragewerten beantworten. Sie kam ganz gut durch, aber ihr Kampf um das angeknackste Wählervertrauen hat erst begonnen. Ab Freitag stellt sie sich dem Grünen-Parteitag.

 Annalena Baerbock in der ARD-Sendung „Farbe bekennen“ am Donnerstagabend - einen Tag vor Beginn des Grünen-Parteitags.

Annalena Baerbock in der ARD-Sendung „Farbe bekennen“ am Donnerstagabend - einen Tag vor Beginn des Grünen-Parteitags.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Ihr geht es nicht mehr so gut wie am Anfang ihrer Kampagne: Die Umfragewerte der Grünen zeigen deutlich nach unten, die Union liegt wieder klar vorn. Ihre Chance auf das Kanzleramt scheint, Stand heute, fast schon verloren. Annalena Baerbock hat selbst dazu beigetragen – mit unerklärlichen, mehrfachen Korrekturen ihres Lebenslaufs, mit der Nachmeldung von Nebeneinkünften beim Bundestag.

Die Journalisten Tina Hassel und Oliver Köhr steigen in der ARD-Sendung „Farbe bekennen“ am Donnerstagabend sofort hart ein. „Warum machen Sie sich toller als Sie sind?“, will Köhr von der 40-Jährigen wissen. Baerbock antwortet, sie „habe alles andere gewollt, als mich größer zu machen als ich bin“. Sie habe auf ihrer Webseite Mitgliedschaften und Verbindungen zu Organisationen komprimiert dargestellt. „Das war offensichtlich sehr schlampig. Ich hab da einen Fehler gemacht. Das tut mir sehr, sehr leid, weil es ja eigentlich gerade um andere, große Fragen in unserem Land geht“, sagt Baerbock.

Eine demütige, zerknirschte Baerbock, die aber dennoch kämpferisch bleiben will. An diesem Samstag soll die Bundestagsabgeordnete aus Potsdam auf einer digitalen Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen offiziell zur Kanzlerkandidatin gekürt werden. Noch im Mai sah es so aus, als könne sie nach den Sternen greifen – und ihre blassen Mitbewerber Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU) tatsächlich schlagen. Doch dann häuften sich die Ungereimtheiten. Nichts davon war schlimm, aber die scheibchenweise Korrektur des Lebenslaufs hat Baerbock und die Grünen Vertrauen gekostet.

Tina Hassel hakt nach: Sie gelte doch eigentlich als besonders genau. „Ist der Job der Bundeskanzlerin dann doch etwas zu groß für Sie?“ Baerbock zögert einen Moment. „Genau deswegen ärgere ich mich selber, weil es mir immer sehr wichtig ist, alles korrekt zu machen.“

Köhr lässt nicht locker. Auch ihre Mitarbeiter hätten den Lebenslauf nicht ausreichend geprüft. „Ist das jetzt das Level an Professionalität, das wir von einer Grünen im Kanzleramt erwarten können?“ Baerbock sagt, sie habe ihr Team nochmal verstärkt. „Wir lernen natürlich aus den Fehlern, um´s in Zukunft besser zu machen. So was darf natürlich nicht nochmal passieren.“ Auf die Nachfrage von Tina Hassel, ob sie nun wirklich nichts mehr korrigieren müsse, weicht Baerbock erst mal aus: „Was sich in Zukunft in meinem Lebenslauf ändert, das weiß ich natürlich nicht!“ Hassel fragt noch einmal: „Aber rückblickend war es das jetzt? Baerbock sagt nur: „Ja.“

Nun darf wirklich nichts mehr schiefgehen: Jede weitere Korrektur oder Ungereimtheit dürfte Baerbocks Chance auf das Kanzleramt wohl endgültig erledigen. Sechs Prozentpunkte haben die Grünen im neuen ZDF-Politbarometer in den letzten zwei Wochen verloren, sie liegen jetzt nur noch bei 22 Prozent. Ob sie die Kanzlerkandidatur nicht doch besser an Robert Habeck abgeben wolle, den Co-Vorsitzenden der Grünen, fragt Köhr. Das ist frech, doch Baerbock lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: Sie werde jetzt nicht „aus Angst neue Fehler zu machen“ zurückziehen. „Das hieße ja sich zurückzuziehen, nicht den Mut haben, Veränderungen anzugehen.“ Aus solchem Holz ist Baerbock nicht geschnitzt: „Das bin ich ganz und gar nicht. Der Wahlkampf hat gerade erst angefangen.“

Tina Hassel hält Baerbock die stark gesunkenen Umfragewerte vor, auch ihre persönlichen. „So heilig war ich nie“, sagt Baerbock mit Blick auf die 28 Prozent, die sie im Mai plötzlich hinter sich hatte. Sie habe für ihre Fehler „jetzt schmerzlich bezahlt“ und jetzt gehe es darum, es besser zu machen. Endlich will sie mal zum Inhaltlichen kommen, ihre Stärke.

Doch Löhr holt sie lieber zurück auf den Boden der Tatsachen mit dem Hinweis auf das enttäuschende Wahlergebnis der Grünen in Sachsen-Anhalt. Baerbock kann das parieren, schließlich kennt sie sich im Osten aus. „Ich komme selber vom Dorf. Mit 18 war es für mich die große Freiheit, endlich den Führerschein zu haben.“ Damit der Klimaschutz klappt, will sie ihn mit mehr Daseinsvorsorge, dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in ländlichen Räumen, und mehr sozialem Ausgleich verbinden. Das interessiert auch Tina Hassel: Die Leute hätten noch nicht verstanden, was die Grünen eigentlich mit ihrem „Energiegeld“ meinten, das im Gegenzug für einen höheren CO2-Preis an die Menschen ausgezahlt werden solle, sagt Hassel. Pro Kopf wollten die Grünen aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung 75 Euro auszahlen, sagt Baerbock. Jetzt ist endlich mal eine Attacke auf den Gegner möglich: „Mich wundert es ehrlich gesagt schon, dass die Bundesregierung keinen sozialen Ausgleich will.“ Dabei habe sie den CO2-Preis selbst eingeführt. Ja, die Grünen wollten den Spitzensteuersatz erhöhen und eine Vermögenssteuer einführen. „Andere sagen, wir reden nicht darüber. Hier gibt es einen Unterschied: Ich will nicht nur Dinge versprechen, sondern ich will sie auch gegenfinanzieren.“ Punkt gegen die Union.

Auf dem Parteitag wartet auf Baerbock eine Fülle von Änderungsanträgen der Parteibasis. Manche Kollegen wollen etwa den CO2-Preis und damit die Spritpreise noch schneller erhöhen, andere den Verbrennungsmotor früher auslaufen lassen. Ja, sagt Baerbock, die Grünen diskutierten viel, weil auch so viele große Zukunftsfragen anstünden. „Aber es ist wichtig, alle Menschen in diesem Land zu erreichen.“

Schlussfrage: Will sie weiter Parteichefin bleiben, wenn sie nicht in die Regierung komme oder ihren Hut nehmen wie FDP-Chef Lindner, möchte Tina Hassel wissen. Für Baerbock nochmal ein Homerun, nachdem die ARD-Journalisten sie anfangs hart drangenommen hatten. „Auch da unterscheiden wir uns. Ich will mit allem, was ich habe, dieses Land nach diesem harten Corona-Jahr besser machen.“ Aber sie rede „nicht über ungelegte Eier“, sagt Baerbock noch. Das am Schluss hätte sie sich besser gespart.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort