Interview mit Grünen-Chef Cem Özdemir Grüne wollen sich für bürgerliche Wähler öffnen

Berlin (RP). Grünen-Chef Cem Özdemir will seine Partei noch stärker für bürgerliche Wähler öffnen. "Wir müssen weiter daran arbeiten, dass wir die Zustimmung aus Kreisen, die uns bislang kaum gewählt haben, noch verbreitern und diese Menschen dauerhaft an uns binden", sagte Özdemir unserer Redaktion.

Cem Özdemir – vom Parias zum Liebling der Grünen
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"Dazu zählen Landwirte, Handwerker und Selbstständige", sagte der Grünen-Vorsitzende. Özdemir wies auch darauf hin, dass die Grünen in einigen großen Städten bereits stärker seien als die SPD. Im Interview mit unserere Redaktion spricht er über die Definition der Volkspartei, politische Bündnisse und Sparmöglichkeiten im Gesundheitssystem.

In Berlin-Kreuzberg, wo Sie leben, sind die Grünen eine Volkspartei. Ist das ein Modell für die ganze Republik?

Özdemir: Wenn ich von Berlin-Kreuzberg, wo ich wohne, nach Stuttgart, wo ich politisch beheimatet bin, reise, dann bewege ich mich von einer Grünen-Hochburg in die andere. Beide setzen sich aber sehr unterschiedlich zusammen. Es ist ein Teil unserer Stärke, dass wir mit unseren Konzepten in verschiedenen Milieus verankert sind.

Das schließt nicht aus, dass Sie Volkspartei werden.

Özdemir: Ich nutze den Begriff der Volkspartei nicht, weil er zu Missverständnissen einlädt. Aber klar ist, dass unsere Themen in die Mitte der Gesellschaft gerückt sind. Wir müssen weiter daran arbeiten, dass wir die Zustimmung aus Kreisen, die uns bislang kaum gewählt haben, noch verbreitern und diese Menschen dauerhaft an uns binden. Dazu zählen Landwirte, Handwerker und Selbstständige. Bei meiner Sommerreise habe ich bei vielen den Ärger darüber herausgehört, dass sie bei der Bundestagswahl Schwarz oder Gelb gewählt haben.

SPD-Chef Gabriel fordert, dass die Grünen sich in Koalitionsfragen zur SPD bekennen. Werden Sie das tun?

Özdemir: Ich fordere Sigmar Gabriel auch nicht auf, die Koalitionen zu beenden, die die SPD mit der CDU bildet. Die SPD entscheidet souverän, mit wem sie Koalitionen eingeht. Wir tun es auch.

Muss sich die SPD darauf einstellen, dass es eines Tages auch zu grün-roten Bündnissen kommen wird, in denen die Grünen die stärkere Partei sind?

Özdemir: In einigen großen Städten sind wir schon stärker als die SPD. Wir verkämpfen uns aber nicht in einem Wettrennen, wer die Nummer eins und wer die Nummer zwei ist. Dafür sind die Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, zu groß.

Sollte ihre Parteifreundin Renate Künast als Spitzenkandidatin in Berlin antreten?

Özdemir: Renate Künast ist außerordentlich beliebt in Berlin. Sie wäre eine großartige Spitzenkandidatin. Und die Reaktionen aus der SPD zeigen, dass es dort Nervosität gibt. Aber das werden die Berliner Grünen und Renate Künast zu gegebener Zeit entscheiden.

Sie liegen in Umfragen bei 17 bis 18 Prozent. Wieviel Luft ist nach oben?

Özdemir: Da bleibe ich als Schwabe bescheiden. Was Höhenflüge angeht, haben wir die FDP als abschreckendes Beispiel vor Augen. Deshalb werden wir nur Programme vorlegen, die den Anspruch erheben, sie in Regierungshandeln umsetzen zu können. Die hohe Zustimmung gibt mir ein gutes Gefühl, sie ist eine Bestätigung, aber auch eine Verpflichtung.

Wie lange geben Sie Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen?

Özdemir: Wenn man sieht, wie reibungslos die arbeiten, sind schon diejenigen Lügen gestraft worden, die gesagt haben, dass diese Koalition keine Chance hätte. Im Gegenteil: Man merkt das ehrliche Bestreben, Mehrheiten zu schaffen im Land. Diejenigen, die sich in den Schmollwinkel zurückziehen, werden im Fall von Neuwahlen erklären müssen, warum sie eine unideologische Politik nicht unterstützt haben. Insofern gilt die Einladung an alle Parteien im Landtag, zu prüfen, was konkret vorgelegt wird und der Politik gegebenenfalls auch zu Mehrheiten zu verhelfen.

Wo kann im Gesundheitssystem am besten gespart werden?

Özdemir: Ich sehe zwei große Sparschrauben: in der Arzneimittelpolitik und der Prävention. Wir brauchen ein Präventionsgesetz, das Kindern, Älteren und Migranten mehr Anreize zu gesundheitsbewusstem Verhalten gibt. Wir brauchen auch in Kindergärten und Schulen eine aktive Gesundheitserziehung. Der schlimmste Kostentreiber sind die Arzneimittel. Da brauchen wir mehr Transparenz. Das heißt, jedes neue Medikament muss einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden, bevor es auf den Markt kommt. Wenn es nicht besser ist als das alte, hat es keinen höheren Preis verdient.

(RP)
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