Landtagswahlen in Baden-Württemberg Grüne triumphieren - Mappus erkennt Niederlage an

Stuttgart/Mainz (RPO). Baden-Württemberg steht vor einem historischen Machtwechsel. Die seit über 50 Jahren regierende CDU bleibt zwar stärkste Partei, verliert aber die Macht an ein Bündnis aus Grünen und SPD. Triumphaler Sieger sind die Grünen. Sie stellen voraussichtlich das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik einen Ministerpräsidenten. Ministerpräsident Stefan Mappus räumte seine Niederlage ein.

Landtagswahl BW 2016: Gewinner und Verlierer
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Gewinner und Verlierer in Baden-Württemberg

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Foto: dpa, cdt htf

Bei der Landtagswahl am Sonntag straften die Wähler nach der Atomkatastrophe in Japan die schwarz-gelbe Landesregierung von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) ab. Die Grünen verdoppelten bei hoher Wahlbeteiligung ihre Stimmenzahl und können mit der SPD als Juniorpartner die Regierung stellen. Die Sozialdemokraten sind nur noch drittstärkste Kraft im wirtschaftlich starken Baden-Württemberg und erhielten das schlechteste Wahlergebnis seit Gründung des Landes 1952. Mappus sagte, seine Partei sei nach der Niederlage bereit, die Rolle der Oppositionspartei anzunehmen.

Nach dem vorläufigen Endergebnis büßte die CDU von Mappus 5,2 Punkte auf 39 Prozent ein. Großer Wahlsieger sind die Grünen, die mit 24,2 Prozent ihr Ergebnis mehr als verdoppelten (2006: 11,7 Prozent). Die SPD rutschte um weitere 2,1 Punkte auf 23,1 Prozent ab und erzielte ihr schlechtestes Ergebnis in einer Landtagswahl in Baden-Württemberg. Auch die FDP sackte auf ein historisches Tief, sie verlor in ihrem Stammland die Hälfte ihrer Wähler und fiel auf 5,3 Prozent nach 10,7 Prozent 2006. Die Linken verpassten mit 2,8 Prozent deutlich den Sprung in den Landtag.

71 Stimmen im Landtag

Die CDU verfügt im neuen Landtag über 60 Mandate, die Grünen erhalten 36 Sitze, die SPD 35. Die FDP stellt nur noch sieben Abgeordnete. Damit hat Grün-Rot mit 71 Sitzen die Mehrheit. Die Wahlbeteiligung lag mit 66,2 Prozent deutlich über der von 2006 mit 53,4 Prozent.

Der Grünen-Spitzenkandidat Winfried Kretschmann rief vor jubelnden Anhängern: "Wir haben so etwas wie einen historischen Wahlsieg errungen." Kretschmann wird voraussichtlich erster grüner Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik. "Jetzt haben wir die historische Wende in diesem Land erreicht", sagte der Gymnasiallehrer. "So wie es aussieht, werden wir mit den Sozialdemokraten dieses Land regieren", sagte der 62-Jährige.

Mappus: Das muss man aushalten

Bei der Regierungsbildung und Ablösung von Schwarz-Gelb sind die Grünen auf die SPD angewiesen. SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid hatte sich bereits im Wahlkampf für eine Koalition mit den Grünen ausgesprochen und wischte die Einbußen im Wahlergebnis beiseite: "Wir haben es geschafft, der Wechsel ist da", sagte er. Die Linkspartei sei für eine Regierungsbildung im Stammland von CDU und FDP nicht nötig.

In der CDU war der Schrecken noch dem Ansturz groß. Der erst seit einem Jahr als Nachfolger von Günther Oettinger (CDU) regierende CDU-Ministerpräsident Mappus sagte, es gelte, "einen solchen Tag auszuhalten." Er wünschte SPD und Grünen "für die Erfüllung des Regierungsauftrags alles Gute". Für die CDU bleibe nun die Oppositionsrolle. Mappus kündigte an, er wolle seinen Teil dazu beitragen, dass die Partei "inhaltlich und personell den dazu notwendigen Neubeginn starten" werde. Einzelheiten wolle er erst am Montag nennen.

Die Suche nach Erklärungen beginnt

Die FDP schaffte mit ihrem schlechtesten Ergebnis von 5,3 Prozent nur knapp den Wiedereinzug. Ihr Spitzenkandidat Ulrich Goll sprach von "schweren Einbußen". Nach 15 Jahren in der Regierung geht es auf die Oppositionsbänke. Dass wenigstens der zwischenzeitlich drohende schlimmste Fall vermutlich abgewendet wurde - das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde im Stammland - tröstet an diesem Abend die wenigsten.

Die Suche nach Erklärungen hat bereits begonnen. Die Ursachen für die Wahlschlappe sehen die bürgerlichen Parteien in der hitzigen Atomdebatte, die die Bundesrepublik seit den Ereignissen im japanischen Atomkraftwerk Fukushima beschäftigt. "Diese Landtagswahl ist in Japan entschieden worden", zog CDU-Generalsekretär Thomas Strobl Bilanz.

Grüne holten Direktmandate

Nachdem die schwarz-gelbe Bundesregierung im vergangenen Jahr die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke noch verlängert hatte, ordnete sie den vorübergehenden Stopp von sieben älteren Atomreaktoren an. Während CDU und FDP eine atemberaubende Kehrtwende hinlegten, standen die Grünen mit ihrer traditionell kritischen Atom-Haltung als glaubwürdig da.

Neben der Atomkraft trug auch der Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 zu dem Erdrutsch-Sieg der Grünen bei. Gegen den unterirdischen Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, den die Grünen strikt ablehnen, demonstrieren seit mehr als einem Jahr Zehntausende Bürger in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. In der Landeshauptstadt Stuttgart lagen die Grünen nach den Konflikten um das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21" am Sonntagabend gleich in drei von vier Wahlkreisen vorn, die CDU nur in einem, wie aus vorläufigen Angaben des Landeswahlleiters hervorging. Außerdem holten die Grünen in weitere sechs Direktmandate in Mannheim, Heidelberg, Konstanz, Tübingen und Freiburg.

(RTR/dapd/pst)
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