Bundesregierung Nach 100 Tagen Groko mehr Ende als Anfang

Berlin · An diesem Donnerstag ist die Bundesregierung hundert Tage im Amt. Doch so schlecht und instabil stand noch kein Bündnis vor ihr nach so kurzer Zeit da. Ein Kommentar.

 Hundert Tage nach dem Amtsantritt der vierten Regierung Merkel erscheint das Bild von der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages mit dem Willen zu einem neuen Zusammenhalt bestenfalls ironisch.

Hundert Tage nach dem Amtsantritt der vierten Regierung Merkel erscheint das Bild von der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages mit dem Willen zu einem neuen Zusammenhalt bestenfalls ironisch.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Hundert Tage wurden bei neuen Regierungen früher mit dem Begriff „Schonfrist“ verknüpft. Doch mit der Dynamisierung der Politik hat sich eingebürgert, nach hundert Tagen eine erste Bilanz zu ziehen. Die Akteure treten inzwischen mit Sofortprogrammen vor die Wähler und wollen schnell den Nachweis führen, dass da die Richtigen regieren.

Das vierte Kabinett Merkel hätte formal ohnehin keine Schonfrist nötig gehabt. Die Koalition mit den Sozialdemokraten wurde ja nur fortgesetzt. Und doch unterscheidet sich diese Regierung nach hundert Tagen fundamental von allen vorherigen: Die Stimmung zwischen den Verantwortlichen ist so verfahren, dass wohl kaum einer wetten mag, ob dieses Projekt auch die 200-Tage-Marke erreicht.

Schwere Koalitionsbildung war prophetisch

Eine Vorahnung lieferte die mühsame Koalitionsbildung. Früher ging so etwas binnen weniger Wochen, mitunter sogar einigen Tagen über die Bühne. Oft konnte der Bundestag bei dem spätestens für den 30. Tag nach der Wahl vorgeschriebenen ersten Zusammentritt schon ans Werk gehen und den Kanzler wählen. Dieses Mal vergingen zwischen Bundestagswahl und Amtsantritt quälend lange 171 Tage. Und auch danach rumpelte es gewaltig, misstrauten die Partner ihren eigenen Vereinbarungen und stellten diese in Frage. Kaum etwas ist wichtiger, als einen Haushalt zu beschließen und darin klare Vorgaben zu machen. Doch schon bei der Grundsatzdebatte über den Kanzleretat ging Koalitionspartnerin Andrea Nahles vor, als wäre sie die Oppositionsführerin.

Dabei hat es noch jeder Partei geschadet, wenn sie sich vom eigenen Bündnis distanziert und aus den (Mit-)Erfolgen vor allem Stoff für Kritisches herausliest. Die SPD hat sich über die Hartz-IV-Gesetzgebung kleiner und kleiner gestritten. Nun versucht die CSU auf dem Feld der Flüchtlingspolitik, die radikalste Opposition zu sein und verbal die AfD in den Schatten zu stellen. Statt kräftig dafür zu werben, was mit ihr seit 2015 alles an Asylrechtsverschärfungen vollzogen wurde, fordert sie immer vehementer eine „Asylwende“ und bestätigt damit den Vorwurf einer untätigen Regierung.

Gewöhnlich signalisieren die ersten hundert Tage einer Regierung, wieviel die Menschen von ihr in den folgenden tausend Tagen bis zum nächsten Wahlkampf erwarten dürfen. Diese hundert Tage haben indes das mühsame Suchen nach Mehrheiten und Schnittmengen aus den Koalitionssondierungen nicht beendet, sondern verstärkt. Das hat auch mit der vierten Amtszeit der Kanzlerin zu tun. Sie wäre eigentlich genau die Richtige, um eine auseinanderdriftende EU zusammen zu halten und der Krisen-Gemeinschaft neue Ziele vorzugeben. Denn sie verfügt über mehr Einfluss und Übersicht als alle anderen Akteure zusammen. Und sie hat wiederholt gezeigt, wie viel besser es ist, Populisten nicht mit Haudrauf-Rhetorik letztlich noch mehr aufzublasen, sondern sie mit ein paar unaufgeregten Sachhinweisen in die Schranken zu weisen.

Im 13. Jahr ihrer Amtszeit mag der innere Elan der Kanzlerin kein bisschen nachgelassen haben. Doch was sie an persönlichen Konfliktgeschichten vor allem mit CSU-Chef Horst Seehofer mitschleppt, kann sich jederzeit wieder zu emotional schwer kontrollierbaren Prozessen wie in der vergangenen Woche in der Unionsfraktion auswachsen. Zudem steht sie persönlich nicht mehr für Regierungszukunft im nächsten Jahrzehnt. Das hält andere davon ab, sich aktuell zu sichtbar an ihre Seite zu stellen.

Diese Hundert-Tage-Bilanz hat deshalb so wenig mit Anfang und so viel mit Endzeitstimmung zu tun wie bei keiner Regierung zuvor. Und gefühlt sind die nächsten Wahlen nicht hundert, sondern tausend Tage näher gerückt.

(may)
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