Flüchtlingskrise Die große Koalition demontiert sich selbst

Berlin · Im fernen Shanghai platzt Finanzminister Schäuble der Kragen und er beschimpft SPD-Chef Gabriel als "erbarmungswürdig". Die SPD ist empört. Grünen-Chef Özdemir sieht die Regierung in "Panik".

Das ist das Asylpaket II
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Foto: ap

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält in der Flüchtlingskrise an ihrem Kurs der offenen Grenze fest. Niemand solle glauben, dass durch einseitige Grenzschließungen die Probleme beseitigt werden könnten, sagte sie am Sonntagabend in der ARD-Talkshow von Anne Will. Dabei leite sie auch der Gedanke, "dass Europa nicht kaputtgeht". Zugleich bat sie die Bürger um Geduld für ihren internationalen Lösungsansatz. "Ja, es ist ein schwieriger Weg", sagte Merkel und fügte hinzu, es gehe um Deutschlands Ansehen in der Welt. "Das ist eine ganz wichtige Phase unserer Geschichte."

Unterdessen verlieren Spitzenpolitiker der großen Koalition in der aktuellen Debatte immer häufiger die Nerven. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) reagierte mit einer scharfen Attacke auf SPD-Chef Sigmar Gabriel, nachdem dieser neben den Ausgaben für Flüchtlinge auch mehr Sozialausgaben für die unteren Einkommensklassen gefordert hatte. Üblicherweise äußern sich Minister auf Auslandsreisen nicht zu innenpolitischen Themen.

Schäuble aber platzte im fernen Shanghai bei einem Treffen der Finanzminister von 20 Industrie- und Schwellenländern der Kragen. "Wenn wir den Flüchtlingen — Menschen, die in bitterer Not sind — nur noch helfen dürfen, wenn wir anderen, die nicht in so bitterer Not sind, das Gleiche geben oder mehr, dann ist das erbarmungswürdig", schimpfte Schäuble.

Gabriel hatte unter anderem eine Erhöhung kleiner Renten sowie mehr Geld für sozialen Wohnungsbau und Kitas gefordert. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann keilte prompt zurück und erklärte, Schäubles Äußerungen seien "politisch falsch und im Ton unangemessen". In den kommenden Wochen droht nun eine verschärfte Auseinandersetzung um den Haushalt für das Bundestagswahljahr 2017. Die SPD kündigte bereits ein Veto gegen den Haushalt an, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden.

Während die drei Parteichefs der großen Koalition, Kanzlerin Angela Merkel, Gabriel und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, zu Beginn der Regierungszeit ein stabiles Vertrauensverhältnis pflegten, geht nun fast gar nichts mehr. Ein nächstes persönliches Treffen der drei in Form eines Koalitionsausschusses ist nach Informationen aus Regierungskreisen erst nach den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt geplant.

Diese gelten inzwischen als Abstimmung über die Flüchtlingspolitik. Nach dem 13. März wollen Merkels Kritiker mit ihrer Flüchtlingspolitik abrechnen. Bis dahin liegen alle Hoffnungen auf dem EU-Gipfel am 7. März, bei dem die Bundesregierung eine gemeinsame europäische Sicherung der EU-Außengrenzen erreichen will.

Am Mittwoch kommen erst einmal die Spitzen der Union zu einem Krisentreffen zusammen. Zwischen Merkel und Seehofer ist das Tuch zerschnitten. In einem Interview mit dem "Spiegel" lässt Seehofer die Frage offen, ob er Merkel 2017 wieder als Kanzlerkandidatin der Union unterstützen werde. Erst einmal unterstützt er nun die CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner im Wahlkampf in Rheinland-Pfalz. Ausgerechnet im Heimatort des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl traten Klöckner und Seehofer gemeinsam auf — ein Treffen voller Anti-Merkel-Symbolik.

Grünen-Chef Cem Özdemir warf den Regierungsparteien vor, wie ein "aufgescheuchter Hühnerhaufen" zu agieren. Özdemir sagte unserer Redaktion: "Der Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung begegnet man mit Besonnenheit und Haltung, nicht mit Panik und Orientierungslosigkeit. Ein Armutszeugnis."

(qua)
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