SPD-Parteichef in der Kritik Es wird eng für Martin Schulz

Berlin · Die Zahl der Sozialdemokraten, die den Groko-Unterhändlern in Berlin die Solidarität aufkündigen, wächst. Die Sozialdemokraten sind inzwischen tief gespalten. Die Vorwürfe und Abgesänge auf Parteichef Martin Schulz mehren sich.

 SPD-Parteichef Martin Schulz (Archivfoto).

SPD-Parteichef Martin Schulz (Archivfoto).

Foto: Kay Nietfeld/dpa

In den sozialen Netzwerken äußern sich stets die Unzufriedenen laut und drastisch. Doch die Stimmen, die sich aktuell auf der Facebook-Seite von SPD-Chef Martin Schulz sammeln, können nicht einfach als das übliche Gemecker abgetan werden. Nur vereinzelt bedanken sich Parteimitglieder und SPD-Wähler dafür, dass Schulz Verantwortung für Deutschland und Europa übernehmen wolle. Die große Mehrheit überschüttet in Endzeitstimmung den Parteichef mit bitteren Vorwürfen, Schmähungen und Abgesängen auf die SPD. Nur eine kleine zitierfähige Auswahl: "Das war's dann mit der SPD." "Sie haben versagt." "Vollversager" und "Umfaller des Jahres 2018".

Die Groko-Gegner gewinnen in der SPD gerade an Oberwasser. "Abseits der Parteiführung gibt es in der SPD aktuell ein extrem kontroverses Stimmungsbild. Ich nehme deutlich wahr, dass das Sondierungspapier vielen Mitgliedern nicht reicht, um einer neuen großen Koalition zuzustimmen", sagte Juso-Chef Kevin Kühnert, der gerade landauf, landab gegen die Neuauflage einer großen Koalition trommelt. "Und das betrifft nicht nur Jusos und Vertreter des linken Flügels."

Die Ablehnung einer großen Koalition geht so tief in die Mitte der Partei, dass eben nicht nur Vertreter des linken Flügels wie Ralf Stegner, sondern auch andere führende Genossen wie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller aus ihrer Ablehnung keinen Hehl machen.

Diejenigen, die das mit der Union ausgehandelte Sondierungspapier verteidigen, erledigen dies als tapfere Parteisoldaten ohne Begeisterung. "Wir haben in den Sondierungen ein gutes Ergebnis erreicht. Wir haben zum Beispiel ein hervorragendes Bildungspaket vereinbart und Verbesserungen für Familien", sagte die Ministerpräsidentin aus Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, unserer Redaktion und schränkte zugleich ein: "Die Skepsis der SPD-Basis ist damit natürlich nicht automatisch verflogen, auch meine nicht." Aber es sei eine gute Grundlage, um konkrete Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. "Dafür brauchen wir noch viel Überzeugungsarbeit bis zum SPD-Parteitag." Die Großsprecherei der CSU sei dabei absolut nicht hilfreich, ergänzte Schwesig und meinte damit die Kommentierung der Groko-Gegner in der SPD als "Zwergenaufstand" durch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

Anwürfe der Union gegen die Sozialdemokraten heizen die Anti-Groko-Stimmung in der SPD nur zusätzlich an. Zudem handelt es sich bei der Bewegung gegen die große Koalition um mehr als um einen Zwergenaufstand. Wenn der SPD-Bundesvorsitzende Martin Schulz heute und morgen in NRW um die Zustimmung der Genossen wirbt, muss er große Überzeugungsarbeit leisten. Nordrhein-Westfalen stellt beim Bundesparteitag in Bonn mit 144 Delegierten etwa ein Viertel der Entscheider.

Noch sind die Genossen an Rhein und Ruhr keineswegs überzeugt. Im NRW-Landes- sowie im Fraktionsvorstand überwiegt dem Vernehmen nach die Skepsis. Bei einem Treffen des erweiterten Landesvorstands am Samstag hätten die ablehnenden Wortmeldungen klar dominiert, berichteten Teilnehmer.

Gegner fänden sich in allen Teilen der Partei, besonders ausgeprägt sei die Ablehnung aber nach wie vor bei den NRW-Jusos wie auch im linken Parteiflügel. Die Kritik an dem Kompromisspapier entzündet sich vor allem an den Themen Rente, Bildung, Krankenversicherung und Spitzensteuersatz. Zu wenige der Forderungen, die die NRW-SPD im Vorfeld aufgestellt hatte, seien erfüllt. "Es ist keinesfalls klar, dass es eine Mehrheit für eine große Koalition gibt", fasste ein Teilnehmer die aktuelle Stimmung zusammen.

Auf allen Ebenen der Partei sei zurzeit deutlich mehr Ablehnung als Zustimmung zu hören, heißt es in der Parteiführung. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die NRW-Delegation mehrheitlich dafür stimmt", sagte ein anderes führendes Parteimitglied. Die Genossen in NRW seien schon vor den Sondierungsgesprächen keine Befürworter einer Groko gewesen. Das Kompromisspapier sei aber eben auch nicht geeignet, dass sie dazu würden.

Auch im NRW-Fraktionsvorstand gibt es dem Vernehmen nach großes Unbehagen. Fraktionschef Norbert Römer mahnte die Genossen, das Kompromisspapier gründlich durchzulesen, bevor sie sich dafür oder dagegen entschieden. Eine eindeutige Empfehlung ist das nicht. Auch die Fraktionsvize Thomas Kutschaty und Sarah Philipp äußerten sich skeptisch: "Ich tendiere dazu, es abzulehnen - und damit bin ich im NRW-Fraktionsvorstand nicht allein", sagte Philipp. Die Union allerdings lehnt Nachbesserungen am Verhandlungsergebnis ab.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort