SPD schießt gegen Gesundheitsreform "Größte Nettolüge einer deutschen Regierung"

Berlin (RPO). Die SPD hat die Regierung wegen der Gesundheitsreform scharf attackiert. Es handele sich bei der geplanten Erhöhung der Kassenbeiträge um die "größte Nettolüge einer deutschen Regierung", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, am Mittwoch in Berlin. Vor der Wahl hätten die Koalitionsparteien "mehr netto vom Brutto" versprochen. Das Gegenteil sei nun der Fall. "Die Mittelschicht wird abkassiert", fügte Oppermann hinzu.

 Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, fordert Aufklärung in Bezug auf die Bilanzfehler bei der HRE.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, fordert Aufklärung in Bezug auf die Bilanzfehler bei der HRE.

Foto: ddp

Alle Mehrkosten würden den Versicherten über die Zusatzbeiträge aufgebürdet. Obendrein habe es Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) unterlassen zu sparen, bemängelt Oppermann. Die Kosten im Gesundheitssystem seien seit seinem Amtsantritt vor neun Monaten um genau neun Milliarden Euro gestiegen. Den Beteiligten signalisiere Rösler über die nach oben offenen Zusatzbeiträge: "Wenn Geld benötigt wird, haben wir Mechanismen, es jederzeit zu beschaffen." Dabei habe er noch im April davon gesprochen, dass Spekulationen über Beitragserhöhungen völlig aus der Luft gegriffen seien.

Die Erhöhung der Kassenbeiträge führe zu einer Kaufkraftminderung in erheblicher Höhe, rechnete Opermann vor. Bei einem Monatseinkommen von 2500 Euro stiegen die regulären Beiträge um 7,50 Euro im Monat. Sollten zwei Prozent Zusatzbeträge erhoben werden, wären dies weitere 50 Euro im Monat oder 600 Euro im Jahr.

Die Lohnnebenkosten stiegen nun auf 40,35 Prozent. Oppermann zitierte den CDU-Mittelstandspolitiker Michael Fuchs, der von einem "tödlichen Spiel für Arbeitsplätze" gesprochen hatte.

"Ende der solidarischen Krankenversicherung"

Nach der Opposition im Bundestag und den Gewerkschaften haben auch die gesetzlichen Krankenkassen die Pläne von Schwarz-Gelb zur Gesundheitsreform scharf kritisiert. Die Bundesregierung bleibe mit ihren Einsparvorhaben deutlich hinter den Möglichkeiten zurück, urteilte der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung. Der Vorstandschef der AOK Bayern, Helmut Platzer, sieht mit der Reform sogar das Ende der solidarischen Krankenversicherung.

Im Interview mit "Straubinger Tagblatt" und "Landshuter Zeitung", sagte er, die Pläne bedeuteten das "Ende der solidarischen Krankenversicherung". Künftig müssten allein die Versicherten mit einem nach oben hin offenen Zusatzbeitrag Kostensteigerungen im Gesundheitswesen tragen. Mit der solidarischen Krankenversicherung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern werde ein "Erfolgsmodell" aufgegeben, das seit Jahrzehnten den sozialen Frieden in Deutschland mit gesichert habe.

Unions-Politiker verteidigten das Vorhaben dagegen. Mit der künftigen Gesundheitsfinanzierung befasst sich an diesem Mittwoch auch der Bundestag in einer Aktuellen Stunde.

Nach den am Dienstag vorgestellten Plänen von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) soll der Beitragssatz für gesetzlich Versicherte von 14,9 auf 15,5 Prozent steigen. Die Kassen können künftig außerdem höhere Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern verlangen. Vorgesehen sind auch Milliardeneinsparungen bei Arzneimitteln, Ärzten, Krankenhäusern, aber auch bei den Verwaltungskosten der Krankenkassen.

Pfeiffer: Einsparungen bei Ärzten möglich

Die Einnahmen der Ärzte und der Krankenhäuser seien so hoch wie noch nie, klagte die Chefin des Kassen-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer. Allein bei den Krankenhäusern und Ärzten wären im kommenden Jahr daher Einsparungen in Höhe von jeweils zwei Milliarden Euro möglich gewesen.

Nach Überzeugung der Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), werden die eigentlichen Probleme des Gesundheitswesens, wie Ärztemangel und Prävention, nicht gelöst. Die größten Reserven lägen im Pharmabereich. Die Einsparungen bei den Krankenhäusern hingegen würden strukturschwache Regionen treffen, wo viele alte und kranke Menschen leben. Der Abschlag von 30 Prozent auf Mehrleistungen werde "zu einer schlechteren Versorgung in der Fläche führen."

Der Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, sagte, die FDP entlarve sich erneut als Partei der Besserverdiener. Steigende Zusatzbeiträge belasteten vor allem Arbeitnehmer, Niedriglöhner, Rentner und Studierende.

Der Gesundheitsökonom Friedrich Breyer kritisierte die Sparbeschlüsse. "Die von der Regierung jetzt geplanten pauschalen Einschnitte bei den Leistungsanbietern sind ein schwerer Fehler", sagte der Vizechef des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. "Die Kassen selbst hätten einen viel höheren Anreiz, mit Krankenhäusern und Pharmaindustrie Rabatte auszuhandeln, als die Regierung."

CDU verteidigt Pläne

Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn verteidigte die Reformpläne und kündigte weitere Veränderungen an. Es handele sich um ein "faires Paket" aus Beitragserhöhungen und Einsparungen. Den Versicherten würden keinerlei Leistungen gestrichen. Im Herbst werde es weitere Reformgesetze geben. "Dabei geht es um das Verhältnis von Ärzten und Krankenhäusern, um die Finanzierung der Krankenhäuser, um die ärztliche Versorgung auf dem Land und um die Gestaltungsfreiheiten von Krankenkassen."

Für den saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) gibt es nur "wenig Alternativen" zu Beitragserhöhungen. Es sei auch sinnvoll, dass die Krankenkassen höhere Zusatzbeiträge erheben könnten. Ohne die vereinbarten Schritte "würde sich die Qualität der Gesundheitsversorgung verschlechtern". Für eine grundlegende Gesundheitsreform sieht Müller vorerst keinen Raum.

Ohoven: Radikaler Umbau nötig

Der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, will dagegen einen radikalen Umbau des Gesundheitssystems. "Der Hebel muss auf der Ausgabenseite angesetzt werden." Laut Ohoven darf es beim Sparen keine Tabus geben. "Das beginnt beim Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen und endet bei der Gretchenfrage, ob alle Versicherten immer den maximalen medizinischen Standard erwarten können und dürfen." Auch müsse man sich mit "heiligen Kühen" wie der beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen befassen.

Die Pläne der Bundesregierung, die Kassenbeiträge zu erhöhen und höhere Zusatzbeiträge zu erlauben, stießen bei dem Verbandspräsidenten dagegen auf harsche Kritik.

(DDP/AFP/APN)
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