Reaktionen Deutschland schließt Grenze zu Österreich – Pressestimmen
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat am 13. September 2015 angekündigt, dass die deutsche Grenze zu Österreich bis auf Weiteres kontrolliert werde. So reagierten Medien auf die Entscheidung.
"Rheinische Post": "Die Kanzlerin hatte Unrecht. Noch vor zwei Wochen sagte sie über den Flüchtlingszustrom: "Wir schaffen das." Seit Sonntag, 17 Uhr, als die Grenzen zwischen Deutschland und Österreich geschlossen wurden, wissen wir: Wir schaffen das doch nicht. Die Schließung der Grenzen zwischen Deutschland und Österreich gehört zu den dunkelsten Stunden seit der Gründung des gemeinsamen, friedlichen und freien Europas. Es ist der vorläufige Endpunkt eines langen Versagens europäischer Politik und am Ende eines kopflosen Agierens der Deutschen. "Bis auf Weiteres" führt Deutschland wieder Kontrollen an der Grenze zu Österreich ein. Damit ist die deutsche und die europäische Flüchtlingspolitik bis auf Weiteres gescheitert."
"FAZ": "Bisher ist die Bundeswehr nur in Rufbereitschaft. Aber Soldaten helfen, so gut sie können - sie teilen sich Kasernen mit Flüchtlingen, sagen Reservistenmeisterschaften ab, stellen Busse und Sanitäter zur Verfügung. Hoffentlich bleibt es dabei. Oder muss die Bundeswehr bald zum Schutz von Unterkünften eingesetzt werden? (.) Jedenfalls muss es das Ziel sein, wenn schon die zur Flucht führenden schrecklichen Zustände nicht schnell beseitigt werden können, sich der Flüchtlinge möglichst frühzeitig anzunehmen. (.) Nicht nur die Annexionspolitik Putins lehrt Deutschland, dass Streitkräfte nicht überflüssig sind. Ihr Sinn ist aber nicht der eines bewaffneten technischen Hilfswerks, sondern die Verteidigung des Landes und unserer Freiheit."
"Braunschweiger Zeitung": "Bisher haben wir in Deutschland aber ein exemplarisches Bild gesehen. Politiker, Schauspieler, Lehrer und andere setzten ein Zeichen gegen Hetze und warben dafür, Flüchtlinge willkommen zu heißen. Die Flüchtlinge von heute sind unsere Nachbarn von morgen. Wenn sich die Nachrichten jetzt in eine andere Richtung drehen, ist zu befürchten, dass die Solidarität der Bürger schwinden könnte. Dass Deutschland jetzt die Grenzkontrollen wieder eingeführt hat, ist ein fatales Signal. Es ist wie eine Bestätigung der angstgenährten Abschottungspolitik, wie sie auch Ungarns Präsident Viktor Orbans betreibt. Es hat Signalwirkung für andere EU-Länder, deren Motivation zu helfen so sicher nicht gestärkt wird. Es könnte zu einem Stimmungswandel in der deutschen Gesellschaft führen. Dazu darf es nicht kommen: Wir müssen zusammenhalten. Wir, das heißt gemeinsam mit den Flüchtlingen, denn sie gehören jetzt auch zu Deutschland. Dann können wir weiter stolz auf uns sein."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Die Wiedereinführung der Kontrollen an den deutschen Grenzen sei ein "Signal an Europa", sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière. In der Tat: Die Umsetzung einen Tag vor dem Treffen der EU-Innenminister - das ist deutlich. An Deutlichkeit und vor allem Eindeutigkeit ließ es die Bundesregierung in den vergangenen Tagen vermissen. Was für ein Signal also ist es? Vielleicht dieses: Europa, dieser Kontinent, der immer wieder Vertreibung, Flucht und Migration erlebt hat, findet keine Antwort auf das Flüchtlingsdrama. Oder doch dieses? Europa, inzwischen eine Union, muss das Problem gemeinsam bewältigen. Weil es keine Alimentations-Union ist, sondern eine Solidargemeinschaft, in guten wie in schlechten Tagen. Das gilt für Berlin. Das gilt aber auch für London oder Budapest."
"Stuttgarter Zeitung": "Wenn demnächst wieder Wort und Unwort des Jahres zu wählen sind, dann bietet das Flüchtlingsleid reichhaltige Auswahl: Willkommenskultur, Flüchtlingsstrom, sicheres Herkunftsland. Ganz vorne mit dabei ist auch die Belastungsgrenze. Die einen sehen diese bereits erreicht, die anderen so gut wie. Hinreichend unkonkret ist das und somit ein Wort wie gemacht für die Politik: Es vermittelt den Eindruck von Exaktheit, ist aber weit davon entfernt. Kein Politiker wird die Zahl jener beziffern, die noch aufgenommen werden können - aus gutem Grund. Wäre diese Zahl erreicht, stellt sich die Frage nach Alternativen."
"Nordwest-Zeitung": "Mit der pauschalen Einreiseerlaubnis für Flüchtlinge aus Ungarn und der Aussage, es gäbe für Asyl keine Begrenzung, hat die Kanzlerin zusätzlich zu den eigentlichen Fluchtgründen die Sogwirkung nach Europa verstärkt. In Deutschland weiß unterdessen niemand, was mit den Hunderttausenden Neuankömmlingen passieren soll. Wenn das "Sommermärchen" verklungen ist, droht ein schwerer Kater, denn die Masseneinwanderung von Muslimen wird dieses Land nachhaltig verändern. Die Politik steht ohne Konzept an der Seitenlinie. Sie führt nicht, sie wird getrieben. Auch Grenzkontrollen sind nur ein Akt der Hilflosigkeit - Angela Merkel wurde überrollt vom eigenen, unbedachten Tun."
"Landeszeitung": "Noch vor vier Tagen galt in der Flüchtlingskrise das Wort der Kanzlerin: "Asyl kennt keine Obergrenze." Doch der Konter gegenüber der kritisierenden CSU-Spitze ist bereits verhallt. Deutschland legt Schengen vorerst auf Eis. Angesichts einer kaum beherrschbar scheinenden Dynamik gilt nun: Deutschlands Hilfsbereitschaft hat ebenso Obergrenzen wie Deutschlands Mut zu Alleingängen in Europa. Doch ebenso wenig wie eine Politik der offenen Arme das Leid in Nahost effektiv lindert, vermögen Grenzkontrollen die Verzweifelten aufhalten. Wer der Flüchtlingskrise Herr werden will, muss das Gemetzel in Syrien, Irak und Afghanistan beenden."
"Trierischer Volksfreund": "Die Maßnahme verschafft Deutschland nicht viel mehr als eine Atempause für den Moment. Eine Lösung kann es nur auf gesamteuropäischer Ebene geben. Genau dafür ist die Aufnahme der Kontrollen ein Signal, und man kann nur hoffen, dass es ankommt. Es besagt: Es gibt Grenzen des Umgangs miteinander. Grenzen der Ignoranz und des Verschiebens der Probleme. Deutschland hat auch Grenzen. Zur Not kann es sie sogar schließen."
"Abendzeitung": ""Wir schaffen das", sagt Angela Merkel. Das ist etwas unpräzise formuliert. Richtiger wäre: "Die Münchner schaffen das." Man will sich gar nicht ausmalen, wie die vergangenen 48 Stunden ohne die überwältigende Hilfsbereitschaft am Hauptbahnhof verlaufen wären. Während der Rest Deutschlands und der Rest Europas mehr oder weniger die Hände in den Schoß legt, packen die Hiesigen an und sorgen dafür, dass es zu keiner Katastrophe kommt. Der Zorn des Oberbürgermeisters ist gerecht und verständlich. Das geht so nicht. Auch die rot-grün-regierten Bundesländer, die so viel von Solidarität reden, sollten sich fragen lassen, ob ihren Worten wirklich Taten folgen oder sie sich lediglich hinter Verteilungsschlüsseln und Einsatzplänen verschanzen. Es muss sich etwas ändern. Nicht morgen, nicht übermorgen, sondern sofort. Auch in der Politik der Bundesregierung. Zum Herz sollte sich wieder der Verstand gesellen, zur Großherzigkeit die Vernunft."
"Thüringer Allgemeine": "Der Zustrom von Flüchtlingen lässt sich vielleicht an der Grenze stoppen. Aber er bringt uns zugleich an unsere ureigenen Grenzen. Das zeigt sich nicht zuletzt an den Gerüchten, die durchs Land jagen. Mal werden Epidemien heraufbeschworen. Mal sind es Plünderer, Autodiebe und Vergewaltiger. Und sonst? Und sonst könnte man all die Gedanken einfach abtun als Hirngespinst. Oder aber: Wir gehen den Befürchtungen auf den Grund. Dass sich viele Menschen ängstigen, lässt sich ebenso wenig wegwischen wie die Frage: Warum denken sie so? In einer solchen Situation hilft nur eines. Ruhe bewahren, sachlich bleiben. Alles andere wäre eine Bankrotterklärung."
"Badische Zeitung": "Eine prinzipielle Abkehr von einer Politik der Offenheit gegenüber Flüchtlingen ist damit nicht verbunden, wohl aber der Hinweis, dass Bund, Länder und Kommunen einstweilen an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt sind. Wer chaotische Zustände wie in Ungarn verhindern will, der muss versuchen, den Zuzug zu verlangsamen und in geordnetere Bahnen zu lenken. Übrigens auch deshalb, um den skeptischen Teil der einheimischen Bevölkerung nicht über Gebühr zu beunruhigen. Man darf annehmen, dass die Bundesregierung außerdem hofft, dass sich die Nachricht auch dort herumspricht, wo Hunderttausende von Deutschland als sicherem Zufluchtsort träumen. Vor allem aber ist der Regierung an einem Signal an Europa gelegen. So richtig es ist, dass die EU Flüchtlinge aufnehmen muss, wenn es seine moralischen Werte nicht verraten will, so richtig ist auch, dass kein Land dabei alleingelassen werden sollte."
"Hessische Niedersächsische Allgemeine": "Das Tor, das Angela Merkel spektakulär öffnete, lässt sich offenbar nicht mehr anders schließen als auf den Trümmern europäischer Schönwetter-Regeln. Adieu also, Schengenabkommen, bis zur nächsten großeuropäischen Sonntagsrede. Die deutsche Selbstvergessenheit war einträglich und bequem. Spätestens jetzt aber gilt es Interessen zu definieren. Und die können in Deutschland nur deutsch sein, auch wenn "deutsch" noch so europäisch gedacht und gemeint ist. Das ist übrigens bei allen anderen Europäern ganz genau so. Die Bundesregierung hat es nur sehr spät bemerkt."
"Nürnberger Nachrichten": "Die Regierung zieht die Notbremse, weil die Lage aus dem Ruder zu laufen droht. Dass Woche für Woche Zigtausende von Asylsuchenden unkontrolliert einreisen - das kann auf Dauer nicht funktionieren. Deshalb sind die gestern abend verhängten rigiden Schritte notwendig. Sie belegen aber auch, dass die Kanzlerin die Konsequenzen ihrer pauschalen Einreise-Zusage unterschätzte: Seitdem hat sich der Zustrom nach Deutschland noch verstärkt. Die Grenzkontrollen sind zudem ein Alarmruf für Europa: Es kommen ja auch deshalb so viele Menschen zu uns, weil andere Staaten, vor allem Ungarn, Flüchtlinge einfach durchwinken nach Deutschland. Darüber wird heute in Brüssel verhandelt - mit momentan denkbar schlechten Erfolgsaussichten."
"Mitteldeutsche Zeitung": "Nur kurz währte das deutsche Septembermärchen. Die Gegner der Merkelschen Flüchtlingspolitik, in Deutschland und Europa, werden sich nun bestätigt fühlen. Sie werden triumphieren und der Kanzlerin nachweisen, dass ihre Politik nicht bis zum Ende durchdacht war. Und das stimmt ja auch, die öffentliche Geste der Kanzlerin hat dazu geführt, dass sich noch mehr Menschen auf den Weg nach Deutschland gemacht haben. Doch ist das wirklich eine politische Niederlage? Es ist auf jeden Fall ein Markstein in Merkels Kanzlerschaft. Aber was wäre die Alternative gewesen?"
"Münchner Merkur": "Die gellenden Hilferufe aus München haben der Kanzlerin im Flüchtlingsdrama vor Augen geführt, wie brutal Stimmungen kippen können, wenn das Krisenmanagement in einer nationalen Notlage versagt und in der lange schweigenden Bevölkerungsmehrheit das Gefühl von Kontrollverlust um sich greift. Und wie rasch selbst eine bis dahin unangefochtene Regierung dann unter Druck geraten kann. Die plötzliche Wiedereinführung von Grenzkontrollen ist ein erster, auch symbolisch wichtiger Schritt. Überrollt von der Entwicklung zieht die Kanzlerin die Notbremse. Das Sommermärchen ist vorbei. Er glaube nicht, dass sich der Geist in die Flasche zurückdrängen lasse, hatte Horst Seehofer zuletzt geunkt. Doch genau das ist die Aufgabe, vor der die Regierung nun steht."
"Südwest Presse": "Deutschland führt die Grenzkontrollen wieder ein. Das ist ein notwendiger Schritt, der nichts damit zu tun hat, dass die Regierung die Willkommenskultur unterbinden will. Vor allem Bayern und deren Hauptstadt München ächzen unter der Last, die sie zu tragen haben. Die Bereitschaft, Bayern zu unterstützen, fiel bei einigen Ländern dürftig aus. Der fehlende Schulterschluss im eigenen Land ist keine gute Voraussetzung für das, was Deutschland heute in der europäischen Gemeinschaft durchsetzen will: eine faire Verteilung nach Quote. Auch in der EU sperren sich vor allem die Länder, die nach dem Niedergang des Ostblocks gerne auf die Aufbauhilfe aus dem Westen zurückgegriffen haben und das noch tun. Wie wäre es damit: Demjenigen, der keine Flüchtlinge aufnimmt, werden die EU-Gelder deutlich gekürzt."