Interview Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser „Die Krise macht Tempo 100 auf Autobahnen nötig“

Interview | Berlin/Scharm el Scheich · Greenpeace-Deutschlandchef Martin Kaiser über Erfolge und Enttäuschungen bei der Klimakonferenz COP27, seine frühere Kollegin als deutsche Chefverhandlerin – und wen er in der Bundesregieurng als Bremser beim Klimaschutz sieht.

 Geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, bei der Klimakonferenz in Ägypten.

 Geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, bei der Klimakonferenz in Ägypten.

Foto: dpa/Christophe Gateau

Herr Kaiser, wird die Klimakonferenz in Ägypten aus Ihrer Sicht ein Erfolg?

Kaiser Die Bedingungen für die Konferenz sind schlecht: Der russische Krieg in der Ukraine überschattet die Verhandlungen und gibt wegen des stark gestiegenen Bedarfs an Alternativen zu russischem Gas den Ländern mit großen Vorkommen fossiler Energieträger wie Öl und Gas reichlich Rückenwind. Das trübt die Erfolgsaussichten ein.

Welche positiven Signale gibt es?

Kaiser Sehr bedeutend war das Treffen von US-Präsident Joe Biden mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping am Rande des G20-Gipfels in Indonesien, wo beide ihren strategischen Klimadialog wieder aufgenommen haben. Der hatte wegen der Taiwan-Spannungen pausiert. Schlagartig wirkte sich das positiv auf die Verhandlungen hier in Ägypten aus. Auch dass die Demokraten die Mehrheit im US-Senat behalten haben, lässt uns auf engagierte Klimaschutzzusagen der amerikanischen Regierung hoffen.

Was fehlt Ihnen bei der COP27?

Kaiser Wir hatten gehofft, dass die G20 beim Klimaschutz über ihre bisherigen Ziele hinausgehen würden. Das hat sich allerdings nicht bestätigt, weil viele dieser Industrienationen weiterhin ihre Wirtschaftsmodelle mit fossilen Energien betreiben und Maßnahmen für das 1,5-Grad-Ziel nicht ausweiten. Insofern wird der Abschluss hier in Ägypten hoffentlich nicht von Ländern wie Saudi Arabien blockiert.

Was muss sich ändern?

Kaiser Wir müssen dieses ambitionierte Limit von 1,5 Grad von Paris runterbrechen auf konkrete CO2-Reduktionsziele, Projekte und Maßnahmen vor allem der G20 Länder, letztendlich auf alle der 190 Nationalstaaten. Wir müssen im Gesamtkonzert einen Abwärtstrend bei den Emissionen zementieren und dafür mit großen Schritten nach dem Kohleausstieg den Gas- und Ölausstieg vorantreiben. Das zeichnet sich hier nicht ab. Und es braucht einen neuen Geldtopf, aus dem heraus schnell Schäden und Verluste aus vulnerablen Ländern finanziert werden können. Hierzu gibt es hoffnungsvolle Signale. Ich hoffe, die USA werden am Schluss auch zustimmen.

Wird es 2023 ein neues Rekordjahr bei dem weltweiten Emissionen geben?

Kaiser Ja, ich befürchte einen erneuten Anstieg und einen weiteren Emissionsrekord in 2023 aufgrund der starken Gas-Nachfrage und dem Wiederanschalten einiger Kohlekraftwerke in der Energiekrise. 2024 muss sich das dann umso stärker ändern. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.

Reichen die von Kanzler Olaf Scholz zugesagten sechs Milliarden Euro ab 2023 als deutscher Beitrag für Anpassungen an den Klimawandel aus?

Kaiser Deutschland gilt bei der internationalen Klimafinanzierung als führend. Doch selbst die Bundesregierung bleibt mit den sechs Milliarden Euro weit hinter dem angemessenen Beitrag für Klimawandelanpassungen zurück. Dieser würde bei zehn Milliarden Euro pro Jahr liegen. Die Lücke von 15 Milliarden Euro bei den weltweit zugesagten 100 Milliarden Euro für Anpassungen in ärmeren Staaten ist zynisch angesichts der in der Energieversorgungskrise locker gemachten Finanzmittel von alleine 200 Milliarden Euro in Deutschland.

Mit Staatssekretärin Jennifer Morgan aus dem Auswärtigen Amt führt eine frühere Kollegin von Ihnen die Verhandlungen für Deutschland. Nutzt das Ihren Anliegen?

Kaiser Jennifer Morgan hat sich schon immer engagiert für den Klimaschutz eingesetzt. Sie hat sich entschieden, Greenpeace zu verlassen und jetzt im Dienst der Bundesregierung zu verhandeln. Ein anderer Mensch ist sie dadurch nicht geworden. Insofern wird sie beweisen müssen, wie ernst sie es weiterhin mit ihrem Kampf gegen den Klimawandel meint. Und wir werden genau hinschauen, was sie bewirken kann.

Für Sie käme ein solcher Wechsel nicht infrage?

Kaiser Nein.

Ist das 1,5-Grad-Ziel denn noch zu erreichen?

Kaiser Hier in Ägypten sind 600 Lobbyisten von Öl- und Gasunternehmen unterwegs, die das 1,5-Grad-Ziel aufweichen wollen. Solange diese Personen weiterhin besten Zugang zu den Topetagen der internationalen Politik haben, fällt es mir schwer, an den dringend notwendigen Erfolg der Konferenz zu glauben. Trotzdem werden wir gemeinsam mit vielen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten weltweit den Kampf nicht aufgeben. Die Weltgemeinschaft hat in der Corona-Krise bewiesen, dass sie schnell und ungewöhnlich scharf reagieren kann. Die Klimakrise ist weitaus bedrohlicher, sie erfordert dasselbe entschiedene Handeln. Und zwar jetzt.

Wäre das Ziel auch nach einem Machtwechsel in den USA zu erreichen, wenn in zwei Jahren die Republikaner triumphieren sollten?

Kaiser Die US-Amerikaner haben in diesem Jahr zu spüren bekommen, zu was für katastrophalen Schäden die Klimakrise führt. Ein Leugner des menschengemachten Klimawandels wird hoffentlich nie mehr ins Weiße Haus einziehen. Das wäre fatal für den internationalen Klimaschutz. Zugleich spielt sich in den USA viel auf regionaler Ebene ab, darauf setzen wir.

Wer sind die Bremser in der Bundesregierung beim Klimaschutz?

Kaiser Die Bundesregierung ist mit ambitionierten Klimaschutzplänen gestartet. Die aktuellen Beschlüsse in der Energiekrise oder Pläne zur finanziellen Unterstützung von neuen Gasbohrungen machen diese teils zunichte. Das Gerede der FDP vom Fracking ist hanebüchen. Völlig unverständlich ist mir außerdem, warum beispielsweise im Verkehrsministerium kein Umdenken stattfindet. Die dort vorgelegten Ideen zum Klimaschutz sind absolut unzureichend.

Was sollte Verkehrsminister Volker Wissing tun?

Kaiser Eine der einfachsten Maßnahmen für den Klimaschutz wäre ein Tempolimit von 100 auf Autobahnen, 80 auf Landstraßen und 30 in Städten. Die aktuelle Krisenlage macht das nötig, damit meine ich auch die Klimakrise. Bis zu neun Millionen Tonnen CO2 könnten allein durch das Tempolimit eingespart werden. Auf ein solches Potenzial kann niemand mehr verzichten.

Welche Anreize braucht es für die Wirtschaft?

Kaiser Bundesfinanzminister Christian Lindner sollte in seinem Haus überlegen, welche finanziellen Maßnahmen sich anbieten, um Unternehmen zu mehr Klimaschutz zu bewegen und vorbildliche Betriebe zu belohnen. Umweltschädliche Subventionen sollten sofort abgebaut werden.

Erweist die sogenannte „Letzte Generation“ Ihren Zielen einen Bärendienst, weil sie so viel Kritik auf sich zieht?

Kaiser Der Protest der „Letzten Generation“ hat in einem demokratischen Land seine Berechtigung und wir teilen das Anliegen von konsequentem Klimaschutz. Wichtig ist, dass ziviler Ungehorsam gewaltfrei abläuft und niemanden gefährdet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort