Kritik an Literaturnobelpreisträger Graumann wirft Grass Israel-Hetze vor

Frankfurt · Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, hat den Schriftsteller Günter Grass erneut heftig attackiert und ihm Israel-Hetze vorgeworfen.

Günter Grass - Thesen und Fakten zum Israel-Gedicht
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Foto: dapd, JENS MEYER

Zugleich versicherte Graumann am Donnerstag bei der traditionellen Gedenkfeier zur Reichspogromnacht in der Frankfurter Paulskirche, dass die Juden in Deutschland sich "mit rundum positivem jüdischen Spirit" in die Gesellschaft einbringen und sich auch angesichts neuer Bedrohungen nicht verstecken wollten. "Ein Judentum in Hinterzimmern wird es hier nicht geben", betonte er. "Wer meint, wir ließen uns ins Ghetto der Verunsicherung verbannen, der irrt, wie man nur irgend irren kann."

Zu Grass sagte Graumann, der Literaturnobelpreisträger habe Israel als "alleinigen Haupt-Störenfried der ganzen Welt" gebranntmarkt. Das im April veröffentlichte Gedicht "Was gesagt werden muss" sei ein "Dokument von Hass und Hetze gegen den jüdischen Staat, ein Versatzstück voller Verdrehungen und Verbogenheiten". Der Schriftsteller habe einer unterschwelligen israelfeindlichen Stimmung eine gewichtige Stimme gegeben, sie verstärkt und befeuert.

Der 85-jährige Grass hatte sich in den vergangenen Monaten gegen gleichlautende Kritik zur Wehr gesetzt und betont, er sei ein Freund Israels und kein Antisemit. Israel sei aber eine Atommacht außerhalb jeder Kontrolle und missachte als Besatzungsmacht sämtliche Resolutionen der Vereinten Nationen (UN). Seine Kritik gelte nicht dem Land, sondern insbesondere der gegenwärtigen Regierung Netanjahu.

Lob an die Medien

Graumann lobte zugleich das Verhalten der deutschen Medien in der Grass-Debatte. Praktisch alle Zeitungen hätten diese "literarische Todsünde" verdammt. "Es war eine wahre Glanzleistung der deutschen Presse, die, mit all ihren Differenzierungen, gemeinsam den richtigen Instinkt hatte."

Der Zentralratspräsident verurteilte aktuelle Übergriffe gegen Juden in Deutschland, etwa den Angriff auf einen Rabbiner Ende August in Berlin. Dass heutzutage "das Wort Jude auf deutschen Schulhöfen und auf deutschen Sportplätzen als Schimpfwort benutzt" werde, sei "ein himmelschreiender Skandal, eine brennende Wunde, die alle Menschen im Land eigentlich in Aufruhr versetzen muss". Weite Teile der Gesellschaft verhielten sich aber passiv.

Zugleich bekräftigte Graumann gegenüber kritischen Stimmen im Ausland, dass "jüdisches Leben in Deutschland sicher ist und sicher bleibt". Das sei eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft und für die Behörden.

Der Zentralratspräsident erinnerte an die Ereignisse vom 9. November 1938: "Die Reichspogromnacht war weder Anfang noch Höhepunkt der Judenverfolgung in der Nazizeit. Sie war aber eine Explosion von Enthemmung. Pogrom pur. Überall in Deutschland." Die Ereignisse von damals verursachten auch heute noch "einen Schmerz, der einfach nicht vergehen will". Die Ereignisse dürften nicht vergessen werden, "gerade um es heute gemeinsam besser machen zu können".

Bei den im Volksmund auch als "Reichskristallnacht" bezeichneten Novemberpogromen waren um den 9. November 1938 im damaligen Reichsgebiet zwischen 400 und 1.300 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben worden. Über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Rund 30.000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt.

(KNA)
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