Interview mit Katrin Göring-Eckardt "Mehr Polizisten statt Videoüberwachung"

Düsseldorf · Katrin Göring-Eckardt will Spitzenkandidatin der Grünen für den Bundestagswahlkampf werden. Im Interview spricht sie über die Option Schwarz-Grün, Steuerpläne und darüber, warum sie es für möglich hält, die AfD von den Podien des Kirchentags auszuschließen.

 Katrin Göring-Eckardt ist gerade 50 geworden. Doch politisch möchte sie als Spitzenkandidatin der Grünen nochmal richtig durchstarten.

Katrin Göring-Eckardt ist gerade 50 geworden. Doch politisch möchte sie als Spitzenkandidatin der Grünen nochmal richtig durchstarten.

Foto: Bretz, Andreas

Die Grünen haben bei der letzten Bundestagswahl verloren, weil sie die Steuern erhöhen wollten. Jetzt schon wieder. Warum tun Sie sich das an?

Göring-Eckardt: Die Lage ist besser als 2013. Wir haben im Bund mehr Einnahmen, die wir brauchen, um nötige Investitionen in unsere Infrastruktur zu machen, um Menschen mit kleinem und mittelgroßem Geldbeutel zu entlasten und dabei gleichzeitig unseren Haushalt zu konsolidieren. Wir dürfen nicht übermütig werden, nur weil es gerade gut läuft. Richtig ist, wir diskutieren derzeit innerhalb der Grünen über eine Reform der Erbschaftssteuer oder die Wiedereinführung der Vermögenssteuer.

Was ist Ihre Position?

Göring-Eckardt: Beide sind grundsätzlich gerecht, aber umso kniffliger je mehr man sich mit ihnen beschäftigt. Deshalb müssen sie vor allem verfassungsfest sein. Ich finde: Wer mehr als eine Million Euro Vermögen besitzt, kann sich gut mit einem kleinen Teil seiner Kapitalerträge an den Gemeinwohlkosten beteiligen. Das knifflige bei einer Erbschaftssteuer wäre, Arbeitsplätze und Investitionen zu schonen.

…das ist sehr allgemein. Wie hoch soll die Vermögenssteuer sein?

Göring-Eckardt: Die Befürworter bei uns peilen maximal ein Prozent für Vermögen oberhalb einer Million Euro an Wir sollten uns nicht festlegen. Es geht erstmal darum, das Instrument wieder einzuführen.

Die Grünen wollen das Ehegatten-Splitting abschaffen ...

Göring-Eckardt: Nein, das ist so pauschal nicht richtig. Die schon Verheirateten, die mit diesem Steuermodell rechnen, sollen das auch weiterhin können. Es ist eine alte grüne Position, dass Familie dort ist, wo Kinder sind, und nicht nur jene besser gestellt werden, die einen Trauschein haben. Das kann man über eine Stichtagsregelung lösen und über einen anderen Weg Familien finanziell unterstützt, damit keine Familie schlechter gestellt wird.

Steuerüberschüsse für die Infrastruktur

Fast alle anderen Parteien versprechen den Bürgern Steuerentlastungen. Die Grünen nicht?

Göring-Eckardt: Wie gesagt: Wir wollen, dass kleinere und mittlere Einkommen mehr Geld zur Verfügung haben. Jetzt einfach die Haushaltsüberschüsse des Bundes so umzuverteilen, wäre falsch, weil wir als Gesellschaft riesige finanzielle Kraftakte stemmen müssen. Dass wissen die Wähler auch. Wir haben einen riesigen Investitionsstau bei der Verkehrsinfrastruktur, wir brauchen mehr Geld für den Breitbandausbau, die Integration der Flüchtlinge, Schulen und Kindergärten. Wenn der Verkehr besser fließt, das Internet endlich auch auf dem Land gut funktioniert, die Schulen und Kindergärten besser werden, dann ist das auch eine Entlastung für alle und nicht nur die, die genug verdienen und von niedrigeren Steuern profitieren würden.

In vielen Ballungsräumen können Bürger mit normalem Einkommen sich kaum noch Wohnungen leisten. Was läuft da schief?

Göring-Eckardt: Es ist tatsächlich eine Gerechtigkeitsfrage, wer wo wohnen kann. Wir brauchen eine Million zusätzliche günstige Wohnungen innerhalb der nächsten zehn Jahre — und zwar nicht am Rande der Stadt, sondern mittendrin, in lebendigen Stadtteilen. Der soziale Wohnungsbau ist bislang eine reine Kompetenz der Länder. Das führt dazu, dass dieses Problem nur von Ländern angepackt wird, die sich das auch leisten können. Sozialer Wohnungsbau ist aber eine gesamtpolitische Aufgabe, die Bund und Länder gemeinsam angehen müssen.

Wie lautet die Aufgabe?

Göring-Eckardt: Wir wollen die so genannte Wohngemeinnützigkeit wieder einführen, die es in Westdeutschland bis 1989 gegeben hat und die Millionen Deutschen zu günstigem Wohnraum verholfen hat. Man kann auch eine stärkere Verknüpfung der Themen Sozialer Wohnungsbau und Verkehr vorgeben. Oder die Standorte von Sozialwohnungen. Wir müssen sicherstellen, dass Sozialwohnungen nicht aus Kostengründen aus den Innenstädten verdrängt werden.

Ihr Parteifreund, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, empfiehlt den Grünen im Bund ein Bündnis mit der CDU …

Göring-Eckardt: Zumindest gefällt ihm sein Bündnis in Baden-Württemberg. Aber ich erinnere ich mich noch daran, dass er 2012 in seinem eigenen Wahlkampf eine Koalition mit der SPD wollte und auch bekommen hat.

Ist Schwarz-Grün für Sie eine Option?

Göring-Eckardt: Wir werden nicht den Fehler wie beim letzten Mal machen und uns einseitig nur auf Gespräche mit der SPD vorbereiten und nicht mit der Union. Wir müssen mit beiden Seiten im Gespräch sein.

Auch auf Landesebene in NRW?

Göring-Eckardt: Das ist Ländersache, da mische ich mich aus Berlin nicht ein.

Hat die Kölner Silvesternacht die Sicht der Grünen auf die Flüchtlinge geändert?

Göring-Eckardt: Grundsätzlich nicht. Aber mich haben die Übergriffe natürlich entsetzt. Gewaltexzesse sind immer schockierend. So ein Ereignis wie in Köln, das gab es ja auch in anderen Städten. Wir fragen uns eher: Was war da mit der Polizei los? Wieso waren in der Kölner Silvesternacht nicht mehr Polizisten vor Ort?

Die Grünen auf Landesebene haben danach dem Ausbau der Videobeobachtung zugestimmt. Wie finden Sie das?

Göring-Eckardt: Man muss erstmal wissen, wo wirklich ein Gefahrenschwerpunkt ist. Videoüberwachung muss immer auch in der richtigen Balance zu Datenschutz und Privatsphäre stehen. Videoüberwachung an zu vielen Orten schafft eine Scheinsicherheit. Das Material ist ja gar nicht effizient auswertbar. Wir brauchen mehr Polizisten und nicht mehr Videoüberwachung.

Hat die Bundesregierung die Flüchtlingspolitik im Griff?

Göring-Eckardt: Nein, denn die Bundeskanzlerin wiederholt gerade ihre Fehler von 2014 vor dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen. Deutschland wird wieder nicht vorbereitet sein, wenn wieder mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Außerdem fehlt der Bundesregierung ein echtes Integrationskonzept. Dazu gehört auch ein Integrationsministerium.

Sie sind im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Was erwarten Sie für politische Impulse vom Reformationsjubiläum 2017?

Göring-Eckardt: Luther war für mich biographisch total wichtig. Das Reden von der Freiheit war für mich, als jemanden, der in der DDR aufgewachsen ist, sehr zentral. Davon abgesehen hat der Bundestag fraktionsübergreifend einen Beschluss dazu gefasst, welch hohen Rang das Ereignis hat. Das hat damit zu tun, dass es um Grundlagen für Demokratie, Bildung und die Kirche geht. Die Trennung von Staat und Kirche nach der alten Zwei-Reiche-Lehre und trotzdem die nach wie vor vernünftige Verbindung von beidem ist auf Luther zurück zu führen. Ich würde mich am meisten freuen, wenn wir ganz viel über Freiheit sprechen. Da gibt es ja genügend Gründe. Durch die rassistischen Tendenzen in Teilen der Gesellschaft und in der AfD müssen wir als Politiker wieder viel mehr über Freiheit und Demokratie reden.

Sie haben beim Katholikentag befürwortet, dass die AfD von den Podien ausgeschlossen wurde. Unter evangelischen Christen gibt es einige, die mit den Ideen der AfD sympathisieren. Wie gehen Sie mit solchen Mitgliedern Ihrer Kirche um? Halten Sie eine ähnliche Entscheidung für den Evangelischen Kirchentag für möglich?

Göring-Eckardt: Ich streite in meiner Kirche auch mit Christen, wenn sie anfangen sich rassistisch zu äußern. Ich habe die Bibel immer so verstanden, dass es um Nächstenliebe geht. Und wenn ich die Forderungen von Frau Petry anschaue, fällt mir nicht ein, was das mit Nächstenliebe zu tun haben soll. Trotzdem kann natürlich jemand, der mit der AfD sympathisiert, Kirchentagsteilnehmer sein. Die Kirchentagsveranstalter müssen die Freiheit haben, über das Für und Wider zu entscheiden. Ich scheue mich nicht vor der Auseinandersetzung.

Neulich haben die Letten die Frauenordination abgeschafft. Die EKD war da plötzlich sehr still.

Göring-Eckardt: Es gab zwar keinen Beschluss, aber viele öffentliche Äußerungen von Mitgliedern des Rates, auch viele sehr kritische. Der lutherische Weltbund war da sehr eindeutig. Gerade weil die Frauenordinationen hier selbstverständlich ist.

(heif)
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