Schwerer Vorwurf Antisemitismus ist anscheinend lobbyfähig geworden

Meinung | Leipzig · Der Sänger Gil Ofarim, dessen Vater in Israel geboren wurde, ist nach eigenen Angaben Opfer eines antisemitischen Vorfalls geworden. Weil er einen Davidstern um den Hals trug, habe man ihm das Einchecken in einem Leipziger Hotel verweigert. Das wirft die Frage auf, wie gewöhnlich Antisemitismus in Deutschland geworden ist.

Der Sänger Gil Ofarim

Der Sänger Gil Ofarim

Foto: dpa/Gerald Matzka

Es ist nicht irgendein Vorfall, von dem Sänger Gil Ofarim in Leipzig berichtet: In einem großen Hotel der Stadt, im Westin Leipzig, der Name sei in diesem Fall genannt, sei ihm das Einchecken verweigert worden, weil er einen Davidstern um den Hals trägt. Ein jüdisches Symbol. Er solle „seinen Stern“ einpacken, soll ihm aus einer Ecke des Hotels zugerufen worden sein, als er in einer Schlange am Empfang warten musste und ihm mehrere andere Gäste vorgezogen wurden. Auch der Hotel-Mitarbeiter am Empfang habe daraufhin gesagt: „Packen Sie Ihren Stern ein.“ Ofarim berichtet davon gleich nach dem Vorfall draußen vor dem Hotel, und es ist absolut verständlich, dass er sichtlich aufgewühlt spricht. Und sein Video mit dem vorwurfsvollen Ausruf schließt: Deutschland 2021.

Es hat tatsächlich eine erschreckende Dimension, was da anscheinend in Leipzig geschehen ist. Denn eine Hotellobby ist ein öffentlicher Ort. Und Mitarbeiter am Empfang sind Leute in einer offiziellen Rolle. Gewöhnlich sind sie der Höflichkeit verpflichtet und den Umgang mit Menschen aus allen Teilen der Welt gewöhnt. Glaubte man zumindest. Wenn es an einem solchen Ort in einer deutschen Großstadt zu einem derart offensichtlichen Fall von Antisemitismus kommt, wirft das nicht nur Fragen an das Hotel auf. Zum Beispiel die, wie das Management sein Personal aussucht und welche Unternehmenswerte es vermittelt.

Es stellt vor allem Fragen an „Deutschland 2021“. Was ist geschehen, dass Leute mit antisemitischer Gesinnung offenbar nichts dabei finden, ihren Hass offen und aggressiv zu zeigen? Und zwar nicht im Schutz einer braunen Menge bei einem rechten Aufmarsch, auch nicht bei einer islamistischen Demo, sondern an einem zivilen Ort. Einem Ort des Kosmopolitismus. In einem Hotel.

Es gibt bisher kein Video von dem Vorfall. Ofarim berichtet auch nichts darüber, wie die Menschen in der Schlange am Empfang reagierten, als sie dem Sänger vorgezogen wurden und schließlich klar wurde, warum. Man kann nur hoffen, dass der Sänger nicht der einzige war, den das alles entsetzt und zutiefst empört hat. Am Abend gab es jedenfalls eine Solidaritäts-Demo vor dem Hotel. Doch am eigentlichen Vorfall ändert das nichts. Antisemitismus ist anscheinend lobbyfähig geworden in Deutschland. Und zwar eine aggressive, provozierende Form von Judenfeindschaft, die keinen Deutungsspielraum lässt. Diese erschreckende Diagnose ist zu stellen nach dem, was Gil Ofarim berichtet. Das geht alle an, nicht nur das Hotelmanagement in Leipzig.

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