Terminservice- und Versorgungsgesetz Spahn will Wartezeiten für Kassenpatienten verkürzen

Berlin · Oft dauert es Monate, bis gesetzlich Versicherte einen Termin bei einem Facharzt bekommen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will die langen Wartezeiten nun mit einem neuen Gesetz bekämpfen. Doch dieses beinhaltet einigen Sprengstoff. Ärzte und Kassen rebellieren.

 Gesundheitsminister Jens Spahn

Gesundheitsminister Jens Spahn

Foto: dpa/Christoph Schmidt

Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ist das bislang umfangreichste Projekt von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Am Mittwoch wird es in erster Lesung im Bundestag behandelt und soll am 1. April in großen Teilen in Kraft treten. Doch an Spahns Entwurf regt sich großer Widerstand. Von etwas Licht und viel Schatten ist in Fachkreisen die Rede. Das sind die strittigsten Passagen.

Sprechstunden Niedergelassene Ärzte sollen mit dem neuen Gesetz verpflichtet werden, mehr Sprechstunden anzubieten. Statt bisher 20 Stunden pro Woche sollen es künftig mindestens 25 Stunden sein, die für Kassenpatienten freigehalten werden. Bestimmte Facharztgruppen wie Orthopäden, Frauen- und Augenärzte müssen fünf Stunden als offene Sprechstunde – also ohne Termin – anbieten. Hausbesuche werden auf die Sprechzeiten angerechnet. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht diese Punkte kritisch. So ergab eine Umfrage der KBV, dass niedergelassene Ärzte schon heute rund 32 Stunden pro Woche für Sprechstunden aufwenden. 2,7 Stunden entfallen auf Hausbesuche.

Terminservicestellen Die Kassenärztlichen Vereinigungen müssen seit 2016 sogenannte Terminservicestellen bereitstellen. Diese haben die Aufgabe, den Patienten zeitnah einen Termin bei einem Facharzt zu besorgen. Der Termin muss binnen einer Woche vermittelt sein, die Wartezeit darf vier Wochen nicht übersteigen. Nach Spahns Gesetzentwurf sollen die Terminservicestellen demnächst auch zeitnahe Termine zu Haus- und Kinderärzten vermitteln sowie bei der Suche nach einem dauerhaft behandelnden Arzt helfen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen lehnen das ab. Die dauerhafte Behandlung sei in der Praxis ein Ergebnis eines Vertrauensbildungsprozesses sowohl auf Arzt‐ als auch auf Patientenseite, der nicht durch eine Vermittlung ersetzt werden könne.

Notdienstnummer In Deutschland gibt es zwei Rufnummern, über die dringliche Arzttermine geregelt werden. Die 112 dürfte jedem bekannt sein. Sie gilt bei lebensbedrohlichen, meist akuten Erkrankungen wie Herzinfarkt. Die Nummer 116117 hingegen vermittelt schnelle Termine in nicht lebensbedrohlichen Situationen. Der Bereitschaftsdienst hilft also bei Erkrankungen, mit denen der Patient normalerweise einen Arzt in einer Praxis aufsuchen würde, die Behandlung aber aus medizinischen Gründen nicht bis zum nächsten Tag warten kann. Der neue Gesetzentwurf sieht vor, dass die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen ebenfalls über die 116117 ihre Termine vermitteln sollen. Dazu soll die Nummer künftig rund um die Uhr erreichbar sei. Für die Ärztevertretung ein nicht zu leistender Mehraufwand.

Vergütung Spahn sichert vor allem den Hausärzten eine zusätzliche Vergütung zu. Zum Beispiel wenn diese einen neuen Patienten aufnehmen – einige Praxen haben einen Aufnahmestopp – oder einen Patienten an einen Facharzt weiterleiten. Für jede erfolgreiche Vermittlung soll es dann fünf Euro geben. Insgesamt sind im Gesetzentwurf 600 Millionen Euro zusätzlich für die Vertragsärzte eingeplant.

Psychotherapie Eine der weitreichendsten Änderungen in Spahns Gesetzentwurf betrifft die Behandlung seitens der Psychotherapeuten. Patienten mit psychischen Erkrankungen sollen sich, bevor sie eine Psychotherapie beginnen können, mit speziellen Ärzten oder Therapeuten treffen, die die Dringlichkeit einer Therapie einschätzen sollen – also als Gutachter auftreten. Eine Petition gegen dieses Modell der "gestuften und gesteuerten Versorgung" erzielte mehr als 200.000 Unterschriften. "Damit beschränkt der Gesetzgeber nicht nur die Wahlfreiheit der Patienten", kritisierte der Chef der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Eine solche Regelung speziell für Menschen mit psychischen Erkrankungen diskriminiere diese Patientengruppen auch.

Niederlassungsbegrenzung Auf dem Land sind Ärzte knapp, insbesondere Kinder- und Jugendmediziner. In vielen Regionen gibt es derzeit zudem eine Niederlassungsbegrenzung. Es darf also nur eine bestimmte Zahl an Praxen in einem Gebiet eröffnet werden. Dem will Spahn entgegenwirken, indem er die Niederlassungsbegrenzung zeitweilig aussetzt. Nach Ansicht des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) wird die Regelung die Versorgung in vielen Regionen jedoch eher verschlechtern. BVKJ-Präsident Thomas Fischbach fürchtet einen Run auf begehrte statt auf unterversorgte Standorte.

Kontrolle Ende vergangener Woche wurde Spahns Änderungsantrag Nummer 28 für das TSVG bekannt. Er könnte das deutsche Gesundheitssystem nachhaltig verändern. Spahn möchte dem Bundesgesundheitsministerium in Ausnahmefällen erlauben, über den Nutzen von Behandlungen zu entscheiden. Ob die Kosten für eine Behandlung von der jeweiligen Krankenkasse übernommen werden, hängt vom Wissensstand der medizinischen Forschung ab. Therapien müssen dann bezahlt werden, wenn ihr Nutzen wissenschaftlich bewiesen ist. Diese Bewertung übernimmt derzeit der sogenannte Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Er besteht aus Vertretern von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen. Sie sichten und prüfen wissenschaftliche Studien.

Spahn will den G-BA nun in Teilen entmachten und selbst über manche Untersuchungs- sowie Behandlungsmethoden entscheiden. Kritiker sehen die Gefahr, dass die Kassen künftig auch für Therapien bezahlen müssen, deren Nutzen eben nicht wissenschaftlich belegt ist. Das könnte auch schwerwiegende Folgen für die Patienten haben. Nach eigenen Aussagen will Spahn Betroffenen „schnell und unbürokratisch helfen“. Als Beispiel nannte er jüngst in der „FAZ“ die Behandlung von Lipödemen bei Frauen mithilfe einer medizinischen Fettabsaugung. Der Eingriff ist in der Wissenschaft umstritten, kann jedoch zur Linderung beitragen.

Patientenakte Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) ist hierzulande schon lange Gesprächsthema. Spahn will das Tempo nun erhöhen und verpflichtet die Krankenkassen in seinem Gesetzentwurf, spätestens ab dem 1. Januar 2021 eine von der Gesellschaft für Telematik (gematik) zugelassene elektronische Patientenakte zur Verfügung zu stellen. Versicherte sollen dadurch künftig auch via Smartphone und Tablet mobil und sicher auf ihre Patientendaten zugreifen können. Ärzte und Krankenkassen begrüßen diesen Schritt.

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