Schraubenzieher statt Hammer Deutschland sucht den smarten Lockdown

Meinung | Berlin · Zehn Tage wollten Ministerpräsidenten und Kanzlerin abwarten, wie die Maßnahmen wirken, die sie zur Eindämmung von Corona verabredeten. Die Zeit ist um und die damalige Zahl von 4000 Infektionen täglich hat sich verdreifacht. Nun muss die Politik nachsteuern. Worauf es dabei ankommt.

 Ein Polizist kontrolliert in einer Hamburger Bar die Einhaltung der Corona-Vorschriften (Archiv).

Ein Polizist kontrolliert in einer Hamburger Bar die Einhaltung der Corona-Vorschriften (Archiv).

Foto: dpa/Markus Scholz

Von Gregor Mayntz

 Ein Blick auf die Nachbarländer zeigt, dass es von alleine weder abflacht noch aufhört. Deutschland stolpert vom gelben Warnwert 35 Infektionen je 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen über den roten mit 50 und den dunkelroten mit 200. Die Werte in Belgien sind inzwischen vierstellig. Etliche europäische Länder bereiten sich darauf vor, in der zweiten Welle im zweiten Lockdown die Lösung zu finden. Denn überall füllen sich die Krankenhäuser und Intensivstationen.

Letztlich dienten alle Schritte in Deutschland dem Ziel, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Der Alptraum „Triage“ soll nicht Wirklichkeit werden, bei dem die Medizin wegen zu vieler Patienten auswählen muss, wen sie zu retten versucht und wen nicht. Dabei wird zum einen übersehen, dass viele auch die künstliche Beatmung nicht überleben. Und zum anderen wird immer noch die Belegung der Intensivstationen als eigentliches Stoppzeichen missverstanden: Wenn sie sich rapide zu füllen beginnen, ist es zum Umsteuern zu spät. So als wollte man bei Tempo 130 erst aufs Gaspedal drücken, wenn die ersten Millimeter des Autos bereits den Baum umfassen.

Die sieben Monate zwischen den beiden Corona-Wellen haben die Deutschen in Teilen gut genutzt. Es gibt zusätzliche Reserven in den Krankenhäusern, es gibt mehr Tests und es gibt viel mehr Masken. Und es gibt Erfahrungen, was wann wie wirkt. Darauf muss nun aufgebaut werden. Wir brauchen einen smarten Lockdown. Also keinen, der unterschiedslos alles runterfährt, sondern der präziser ansetzt. Die Politik muss also den Hammer im Werkzeugkasten lassen und stattdessen den Schraubenzieher herausholen.

Virologen haben der Politik erläutert, dass sie die Pandemie-Eskalation nur wieder einfangen können, wenn sie dafür sorgen, dass sich die Zahl der Kontakte schlagartig halbiert. Also müssen nicht alle Schulen sofort dichtgemacht werden, sondern die möglichen Begegnungen verringert werden. Längst hätten die Vorbereitungen anlaufen müssen, den Unterricht auf den Tag zu verteilen. Diese Analyse muss sich durch alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ziehen. Von der Bildung über das Demonstrationsrecht bis zur Kultur: So müssen nicht alle Museen schließen, wenn die Menschen drinnen auf Abstand bleiben.

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